Netanyahu: Der israelische "Wahl-Magier"

Verschmitzes Siegerlächeln Netanyahus
Wie Premier Netanyahu nach aussichtsloser Position das Ruder herumriss und an neuer Koalition bastelt.

Die Meinungsforscher haben zu verantworten, dass sich die israelische Linke schon auf den Sieg freute. Für den Sieg Benjamin Netanyahus muss das Volk geradestehen. Wer oder was aber ist in Israel das Volk? Da sind Juden orientalischer und westlicher Herkunft, Einwanderer und Alteingesessene, Religiöse und Nichtreligiöse, und irgendwie sind auch die Araber dabei. Alle ebenfalls wieder in Untergruppen nicht etwa gespalten, sondern zersplittert. Politisch wie sozial verworren und schwer überschaubar. Auch für Netanyahu. Doch hat der von allen den besten Überblick.

Netanyahu: Der israelische "Wahl-Magier"
epaselect epa04666805 Isaac Herzog (R), leader of the Zionist Union party with Tzipi Livni, the number two the party's ticket, as they speak from their election results headquarters in Tel Aviv, Israel, late 17 March 2015 after the television predictions giving the first results of the Israeli general election. EPA/JIM HOLLANDER
Er überzeugt keineswegs. Sicher nicht mit seiner Politik. Vor den Wahlen war der Überdruss an Netanyahu deutlich spürbar. Es war kein Zerrbild der Medien. Er endete auch nicht am Wahltag. Aber "Bibi" bringt die Leute dazu, genau zum Wahltag alle Vorbehalte zu vergessen. Danach schwankt die Stimmung wieder und fließen die Meinungen wie zuvor. Netanyahu kennt die Sprache, die von den meisten Teilen der Öffentlichkeit Israels verstanden wird. An der Urne. Was sie zwischen den Urnengängen denken, ist nicht entscheidend. Israels linke Opposition hat diese Sprache nicht gelernt, und ein Lehrer ist nicht in Sicht.

Steilvorlage

So spöttelte der Maler Yair Garbus auf einer Solidaritätskundgebung der Linken über die Rechtswähler: "Diese Abergläubigen mit ihren Amuletten", womit er die Solidarität auch vieler Nicht-Abergläubigen unter den Wechselwählern verspielte. Bibi nahm die Steilvorlage auf, stilisierte sich zum Verehrer alter Traditionen. Wobei auch er, wie Garbus, kaum weiß, auf welche kabbalistischen Texte die alten Bräuche beruhen. Über so etwas wird eben nicht gelacht.

Es ist nicht Netanyahu, der mit Angst spielt. Isaac Herzog, sein Herausforderer, sprach ihm die Angst zu, sich selbst die Hoffnung. Ein schönes Bild, aber letztlich stand Angst gegen Angst. Wobei die Angst um die Existenz, Krieg und Terror am Wahltag die Wähler stärker lenkte. Mehr als ihre Ängste um die wirtschaftliche Unsicherheit. Nicht weil Bibi so überzeugend war. Sondern weil die Opposition noch weniger überzeugte. Sie wagte es nicht, die von Netanyahu geschürten Ängste infrage zu stellen. Sie fragte nicht nach den Kosten der Siedlungspolitik, nach dem wirtschaftlichen und militärischen Preis der wachsenden Isolation Israels weltweit. Netanyahu war in den letzten Tagen vor den Wahlen so konkret, dass er seine eigene Politik der letzten Jahre vom Tisch wischte: Kein Territorialverzicht, Siedlungen und wieder Siedlungen. Die Opposition, ob Angst oder Hoffnung, blieb verschwommen. Unglaubhaft.

Suche nach Partnern

Doch Vorsicht: Israels Politik ist vielschichtiger als Wahlslogans. Sieg und Jubel können täuschen. Zwei Mal kam Netanyahu mit dem Schüren von Ängsten an die Regierung. Ein Mal verlor er damit, als Israels Wähler den hohen wirtschaftlichen Preis weltweiter Isolation, vor allem in den USA, nicht zahlen wollten.

Eine Koalition kann Netanyahu jetzt zusammensetzen. Es soll eine enge, rechte Koalition werden. So versprach er es vor den Wahlen. Das Postengefeilsche wird nicht leicht, doch sind Ministersessel ein guter Klebstoff für Regierungsbündnisse. Auch wenn jeder Partner in ihr eine solche Koalition von einem Tag auf den anderen zu Fall bringen kann. Umso enger (also rechter) die Koalition wird, desto enger der politische Spielraum. In einer solchen Koalition wären weitere Verhandlungen mit den Palästinensern nicht zu erwarten.

Eine Sprecherin des Weißen Hauses kommentierte auf Anfrage der Medien nur: "In Wahlkämpfen wird immer viel versprochen, nicht immer in der Absicht, es auch einzuhalten."

Opposition leckt Wunden

Auch die offizielle Reaktion der Palästinensischen Autonomieregierung fiel trocken aus: "Wir waren und sind weiter bereit, mit jeder Regierung in Israel über Frieden und ein Ende der Besatzung zu verhandeln", meinte Nabil Abu Rudeine, ein Vertrauter von Präsident Mahmud Abbas. Die in Gaza herrschende militante Hamas hingegen sprach vom Ende jedweder Verhandlungen. Netanyahus Handlungsfähigkeit in einer kleinen Koalition muss nicht in Ramallah bewiesen werden.

Eine Große Koalition würde das politische Leben Netanyahus nicht nur international vereinfachen. Doch schloss er eine solche im Sturmwirbel vor den Urnen aus. Aber die Sprecherin im Weißen Haus mag ja recht behalten.

Allerdings wird es Herzog schwer fallen, seine gewachsene, jüngere und linkere Fraktion in eine Große Koalition mit Netanyahu zu bewegen: "Wir müssen uns jetzt neu finden, neue Akzente vor allem in der Wirtschaftspolitik setzen", erklärte Eytan Kabel, ein bekannter Sprecher der Sozialdemokraten.

"Israel hat den Weg des Rassismus, der Besatzung und des Siedlungsbaus gewählt und nicht den Weg der Verhandlungen und der Partnerschaft mit uns" – so reagierte die Palästinenserführung am Mittwoch auf den Wahlausgang. Yasser Abed Rabbo, ranghoher Beamter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), sagte: "Vor uns liegt ein langer und schwerer Weg des Kampfes gegen Israel.

Die Palästinenser müssten ihre Vorhaben deshalb vorantreiben, die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel zu beenden und Israel wegen des Siedlungsbaus und des Vorgehens im Gaza-Krieg 2014 vor den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu bringen.

Netanyahu hatte vor der Wahl einen Palästinenserstaat ausgeschlossen, so lange er israelischer Premier sei.

Der Iran sieht die Wahl gelassen: "Uns ist das egal, da alle Parteien dort gleichermaßen an den Verbrechen gegen die Palästinenser beteiligt sind", sagte Außenamtssprecherin Marsieh Afcham. Allerdings wäre es nach Einschätzung politischer Beobachter vor Ort für den Iran wegen der Atomverhandlungen mit den USA besser gewesen, wenn der Hardliner Netanyahu verloren hätte.

Eines muss man Premier Benjamin "Bibi" Netanyahu lassen: Er ist ein Polit-Schlachtross der Sonderklasse. Als Demoskopen den Konservativen knapp vor der Knessetwahl schon abgeschrieben hatten, warf sich dieser nochmals in die Arena mit allem, was er hatte und ohne Rücksicht auf Verluste. Palästinenserstaat? Mit mir nie! Selbst am Tag des Urnenganges trommelte er potenzielle rechte Wähler zusammen und wandelte dabei hart an der Grenze zum Rassismus: Die Araber stürmten in "Horden" zur Abstimmung, meinte er, helft uns!

Die Rechnung ging auf, "Eisen-Bibi" steht vor seiner vierten Amtszeit als Regierungschef. Aber zu welchem Preis: Die Verhandlungen mit den Palästinensern kann er vergessen, doch wollte er die in Wahrheit ohnehin nie. Die Europäer sind zu recht sauer wegen des anhaltenden Siedlungsbaus. Und das Verhältnis zu US-Präsident Obama ist mehr als zerrüttet nach Netanyahus Auftritt im Kongress, der am Weißen Haus vorbei eingefädelt wurde. Dort geißelte der Premier die Atomverhandlungen mit dem Iran und den sich abzeichnenden vermeintlich schlechten Deal. Israels Existenz sei dadurch bedroht.

Es war diese Politik der Angst, die am Ende "Bibi" triumphieren ließ. In reißenden Furten – der "Islamische Staat" vor der syrischen Haustüre, radikale Palästinenser im Wohnzimmer – vertraut man lieber auf Krisen-erprobte Pferde. Dem wenig charismatischen und energischen Herausforderer Isaac Herzog traute die Mehrheit der Israelis diesen Ritt offenbar nicht zu.

Schade, das Land bräuchte dringend einen Neubeginn – in den Verhandlungen mit den Palästinensern und innenpolitisch, um die sozialen Verwerfungen auszugleichen, materiell (arm/reich) wie gesellschaftspolitisch (religiös/säkular).

Das alles kann Netanyahu nicht bieten. Israel hat eine Chance vertan.

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