Putin droht Türkei nach Jet-Abschuss

Putin droht Türkei nach Jet-Abschuss
Die türkische Luftwaffe hatte ein russisches Flugzeug abgeschossen. NATO ruft zur Ruhe auf.

Im so genannten Kampf gegen den Terror hat sich am Dienstag eine weitere Front aufgetan: Ein russisches Kampfflugzeug vom Typ SU-24 wurde von der Türkei abgeschossen. Nach türkischen Angaben wurde der Jet zehn Mal binnen fünf Minuten gewarnt, dass er in fremden Luftraum eingedrungen sei. Daraufhin habe man eigene F-16-Jets geschickt und die Maschine abgeschossen. Das russische Verteidigungsministerium erklärte hingegen, die Maschine habe den türkischen Luftraum nicht verletzt und sei über Syrien getroffen worden. Es habe offenbar Beschuss vom Boden gegeben, meldete Interfax. Auch das Regime in Damaskus hat der Türkei eine Verletzung ihrer Souveränität vorgeworfen.

Russlands Präsident Wladimir Putin hat den Abschuss in scharfen Worten verurteilt. Im Kampf gegen den Terror sei das ein Schlag von hinten gewesen, „begangen von Helfershelfern von Terroristen“, sagte Putin live im russischen Fernsehen. Der russische Jet sei etwa vier Kilometer von der Grenze entfernt auf syrischem Gebiet abgestürzt. Das russische Flugzeug habe keine Gefahr für die Türkei dargestellt. Die Türkei sei der russischen Luftwaffe "in den Rücken gefallen". Der Vorfall werde ernste Konsequenzen für das türkisch-russische Verhältnis haben, so Putin.

NATO-Sondertreffen

Auch die NATO ist alarmiert. Vertreter der NATO-Staaten kamen rasch zu einer Sondersitzung zusammen und sicherten dem Bündnispartner Türkei ihre Solidarität zu. Gleichzeitig warnten sie allerdings vor einer weiteren Zuspitzung der Lage. "Ich rufe zu Ruhe und zu Deeskalation auf", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstagabend nach der Sitzung.

Putin droht Türkei nach Jet-Abschuss
epa05040138 US President Barack Obama (R) and French President Francois Hollande (L) shake hands during a joint press conference in the East Room of the White House in Washington, DC, USA, 24 November 2015. During their first meeting since the 13 November terrorist attack in Paris, Obama and Hollande discussed the cooperation of coalition forces fighting the Islamic State (IS). EPA/MICHAEL REYNOLDS
Auch US-Präsident Barack Obama stellte sich hinter den NATO-Verbündeten. "Die Türkei hat wie jedes Land das Recht, ihren Luftraum zu verteidigen", sagte Obama am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Staatschef Francois Hollande in Washington. Allerdings sei es nun wichtig, dass die Türkei und Russland Gespräche aufnehmen würden, um "herauszufinden, was genau passiert ist". Es müsse "jede Art der Eskalation" verhindert werden. Auch Hollande warnte davor. er ist in den USA, um die Allianz gegen den IS zu intensivieren. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte nach Angaben seines Sprechers eine "glaubwürdige und sorgfältige" Untersuchung des Zwischenfalls. Außerdem müssten "dringende Maßnahmen zur Beruhigung der Spannungen" ergriffen werden.

Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu hatte mitgeteilt, sein Land habe das Recht zu antworten, wenn sein Luftraum trotz Warnungen verletzt werde. Die Welt solle wissen, dass die Türkei tun werde, "was auch immer notwendig" sei, um seine Sicherheit zu garantieren, sagte Davutoglu. Die türkische Regierung zitierte Diplomaten aus Russland, den USA, Frankreich, China und Großbritannien zu sich, um sie über den Abschuss zu informieren, sagte ein türkischer Regierungsangehöriger. Zuvor hieß es bereits, der russische Militärattaché werde ins Außenministerium in Ankara zitiert.

Bangen um Piloten

Auf Videomaterial von dem Abschuss, dass türkische Medien zeigten, ist zu sehen, dass sich die beiden Piloten zunächst per Schleudersitz aus der Maschine retten konnten. Die Reste des Flugzeuges gingen in einer als "Turkmenischer Berg" bekannten Region in Nordsyrien an der Grenze nieder. Eine Gruppe mit dem Namen Zehnte Brigade verbreitete am Dienstag über das Internet ein Video, das den Leichnam eines der Piloten zeigen soll. Zu sehen ist eine leblose Person in Uniform. Dazu heißt es, sie sei "durch die Hände von Rebellen" umgekommen.

Der Vize-Kommandant der Rebellengruppe, Alpaslan Celik, sagte am Dienstag in Syrien zu Journalisten, man habe beide Piloten erschossen. "Unsere Kameraden eröffneten auf sie das Feuer und sie starben in der Luft", erklärte Celik. Zum Beweis zeigte er angebliche Stücke des Fallschirms der Piloten.

Aus türkischen Regierungskreisen hörte man hingegen, die Piloten seien vermutlich noch am Leben. Offenbar seien sie in der Gewalt syrischer Aufständischer, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters von einem Insider. "Unsere Leute arbeiten daran, sie wohlbehalten von den Rebellen überstellt zu bekommen." Russland geht aber davon aus, dass mindestens ein Pilot ums Leben kam.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte einen für Mittwoch geplanten Besuch in der Türkei ab. Auch rate das russische Außenministerium keinem Russen, derzeit die Türkei zu besuchen, hieß es in einer Erklärung. Die Terror-Gefahr sei in der Türkei nicht geringer als in Ägypten

Turkmenen

Die Turkmenen sind in diesem Konflikt von entscheidender Bedeutung. Ankara kann sich darauf berufen, dass man die russische Armee seit Wochen gewarnt hat, dass man ihre Luftangriffe im Grenzgebiet nicht hinnehmen werde. Die bombardiert nämlich dort Dörfer, die fast ausschließlich von Turkmenen bewohnt werden. Die mindestens 200.000 Menschen umfassende Turk-sprachige Minderheit steht unter dem ausdrücklichen Schutz der türkischen Regierung.

Die Turkmenen aber sind Gegner des von Russland unterstützten Assad-Regimes in Damaskus. Als sunnitische Moslems kämpfen sie in den unterschiedlichsten Milizen gegen die Armee des Diktators. Die russische Luftwaffe greift die Turkmenen daher seit Wochen massiv aus der Luft an. Turkmenen-Vertreter sprechen von Dutzenden Toten unter der Zivilbevölkerung, von zerstörten Krankenhäusern und Schulen. Die Regierung in Ankara hat schon vor Tagen offiziell Protest gegen das russische Vorgehen eingelegt.

Doch Moskau will sich nicht irritieren lassen. Für die russische Armee ist die Region wichtig. Der Luftwaffenstützpunkt Latakia, auf dem bis zu 2000 russische Soldaten stationiert sein sollen, liegt mitten im Turkmenen-Gebiet.

Der Abschuss hat indes die Türkei-Anleger am Dienstag verunsichert. Sie verkauften die Währung des Landes und trieben dadurch den Kurs des Dollar binnen Minuten auf 2,88 von zuvor 2,858 Lira. Der Leitindex der Istanbuler Börse baute seine Verluste aus und notierte um zwei Prozent tiefer.

Oktober 2015: Die türkische Armee schießt eine unbemannte Drohne unbekannter Herkunft in der Provinz Kilis ab. Das Objekt sei in den türkischen Luftraum eingedrungen, teilt die Regierung mit. Wenige Tage zuvor hatten russische Kampfflugzeuge den türkischen Luftraum an der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien mehrfach verletzt.

Mai 2015: Türkische Kampfjets feuern an der Grenze Raketen auf eine syrische Maschine, die dann abstürzt. Nach Angaben des Militärs war der Pilot über türkisches Gebiet geflogen.

März 2014: Ein syrischer Kampfjet wird von der türkischen Luftwaffe in der nordwesttürkischen Provinz Kocaeli abgeschossen. Damaskus protestiert gegen die "türkische Aggression".

September 2013: Die türkische Luftwaffe schießt im Grenzgebiet einen syrischen Militärhubschrauber ab. Er sei bis zu zwei Kilometer tief im türkischen Luftraum gewesen, heißt es in Ankara.

Juni 2012: Der Abschuss eines türkischen Jets durch Syriens Luftabwehr verschärft das angespannte Verhältnis zwischen beiden Ländern. Der Jet war nahe der Küstenstadt Latakia kurzzeitig in den syrischen Luftraum eingedrungen.

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