Der Sturz des US-Diplomaten

Er reist, vermittelt und will eine sofortige Lösung - dennoch erntet John Kerry Kritik von allen Seiten.

In der griechischen Mythologie ermahnt Dädalus seinen Sohn: "Ikarus, halte dich auf mittlerer Bahn, damit, wenn du zu tief gehst, nicht die Wellen die Federn beschweren, und wenn du zu hoch fliegst, das Feuer sie nicht versengt." Erst dann hebt Ikarus ab und fliegt davon. Ob John Kerry diese Geschichte kennt? Derzeit befindet sich der US-Außenminister öfters in der Luft als am Boden: Seit Wochen jettet er zwischen den Krisenherden dieser Welt umher.

Seine Flugbilanz kann sich sehen lassen. In eineinhalb Jahren als US Secretary of State hat Kerry 52 Länder bereist, rund 500.000 Meilen zurückgelegt, war 220 Tage unterwegs, davon 44,3 Tage im Flugzeug. Zum Vergleich: Seine Vorgängerin Hillary Clinton, die als sehr reisefreudig bekannt war, besuchte in vier Amtsjahren 112 Länder und brachte es auf insgesamt 956.733 Flugmeilen. Diesen Rekord könnte der Mann aus Massachusetts knacken. Doch statt Anerkennung für seine Friedensbemühungen, erntet Kerry harsche Kritik und Häme.

Kritiker: Kerry schlägt sich auf eine Seite

Nachdem ein von Kerry ausgearbeiteter Vorschlag für eine beidseitige Waffenruhe im Gaza-Konflikt veröffentlicht wurde, wollten ihm Kritiker sofort die Flügel stutzen. Statt eines ausgewogenen Plans zur Entmilitarisierung, flog Kerry lieber nach Paris um mit den Hamas-Verbündeten Türkei und Katar zu sprechen. Die Regierungen in Kairo und Jerusalem zeigten sich sichtlich enttäuscht. Mit dem Vorschlag und dem Treffen in Paris habe er das Gleichgewicht in den Gesprächen zu Gunsten der Hamas verändert. Moshe Yaalon, der israelische Verteidigungsminister, nannte Kerrys Bemühungen "messianisch" und "obsessiv". Auch die gemäßigten Palästinenser um Präsident Mahmoud Abbas waren irritiert.

Kommentatoren in Israel, ob links oder rechts, beschuldigten seitdem Kerry, er würde Partei für die Hamas ergreifen. Sie erklärten den US-Außenminister zum Betrüger. Der Journalist Barak Ravid, der den Vorschlag veröffentlicht hatte, bezeichnet Kerry als Alien, dessen Raumschiff zufälligerweise im Nahen Osten notgelandet sei. Ari Shavit, Kolumnist bei Haaretz, schlug äußerst rücksichtslos vor, jede künftige Bodenoffensive "Operation John Kerry" zu nennen.

Kritik kommt auch aus den Vereinigten Staaten. Die konservative Journalistin Jennifer Rubin legt Kerry in ihrem Washington Post-Blog "Right Turn" den Rücktritt nahe: "Manchmal ist es besser einen reinen Tisch zu machen. Neue Leute tragen nicht den Rücksack der vergangenen Fehler mit sich." Ebenso weht dem Außenminister aus der liberalen Ecke rauer Wind entgegen. Angetrieben von der kurzfristigen Notwendigkeit, habe sich Kerry zu sehr für ein sofortiges Abkommen zwischen Hamas und Israel eingesetzt, so der renommierte Journalist David Ignatius. Doch er müsse langfristiger denken und die Palästinensische Autonomiebehörde mehr in die Gespräche integrieren.

Der Sturz des US-Diplomaten
Benjamin Netanyahu (li.) und Barack Obama (re.)

Doch die Beziehung zwischen den USA und Israel sei bereits seit einigen Jahren "frostig", berichtet die englische Ausgabe von Al Jazeera. Das liege nicht unbedingt an John Kerry. Als US-Präsident Barack Obama kurz nach Beginn seiner Präsidentschaft 2009 ein Ende des israelischen Siedlungsbaus im Westjordanland forderte, klingelten bei Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (links) die Alarmglocken. Die vergeblichen Vermittlungsversuche von John Kerry belasten das Verhältnis zwischen den langjährigen Verbündeten jedoch zusätzlich.

USA: Kritik nicht gerechtfertigt

Zur Kritik äußerte sich der Außenminister sichtlich frustriert: Sein umstrittener Vorschlag war noch nicht spruchreif und trotzdem wurde er in den israelischen Medien veröffentlicht. Das sei "ärgerlich" und zugleich "schädlich" für den Friedensprozess, berichtet die New York Times.

Auch die Regierung in Washington zeigte sich verstimmt. Die Obama Administration sprach von einer bewussten "Desinformationskampagne" aus Israel. "Aus unserer Sicht ist das einfach nicht die Art, wie Partner und Verbündete miteinander umgehen", sagte Außenamtssprecherin Jen Psaki. Kerry habe einen Weg gefunden "um die Blutung in Nahost zu stoppen" und seine Bemühungen werden Früchte tragen.

Der Sturz des Ikarus

Der Aufwand, den John Kerry betreibt, ist zweifelsohne mustergültig. Er jettet von einem Krisenort zum nächsten, legt einen Friedensvertrag nach dem anderen vor und veröffentlicht tadelos seine Absichten und Ergebnisse. Doch trotz diplomatischer Kenntnisse und Fähigkeiten, könnte ihm das gleiche Schicksal wie Ikarus ereilen:

Der Sohn Dädalus' begann sich über den kühnen Flug zu freuen, trennte sich von seinem Vater und, angezogen durch die Begierde nach dem Himmel, nahm er einen höheren Weg. Die Nähe der glühenden Sonne machte das duftende Wachs, das Band der Federn, weich. Das Wachs war geschmolzen. Ikarus schwingt die nackten Arme, und und fällt in das blaue Meer.

Der US-amerikanische Jurist und Politiker John Forbes Kerry ist seit Februar 2013 der 68. Außenminister der Vereinigten Staaten. Er folgte Hillary Clinton, die von 2009 bis 2013 das Amt als US Secretary of State bekleidete. Davor war der hochdekorierte Vietnam-Veteran seit 1985 US-Senator von Massachusetts. Berühmt wurde er durch eine leidenschaftliche Rede nach seiner Rückkehr aus dem Vietnam. Er beschuldigte die US-Armee schwerer Kriegsverbrechen.

Der Sturz des US-Diplomaten

File photo of the Theodore Dwight Woolsey statue a
Der Sturz des US-Diplomaten

Kerry PurpleHeartCase Jonathunder.jpg
Der Sturz des US-Diplomaten

Kerry_medals.jpg
Der Sturz des US-Diplomaten

Kerry_Fulbright_Commission.jpg
Der Sturz des US-Diplomaten

USA ELECTIONS KERRY
Der Sturz des US-Diplomaten

U.S. Senator Kerry listens to a question during hi

2004 scheiterte John Kerry als Kandidat der Demokratischen Partei für das Amt des US-Präsidenten an George W. Bush. Statt einer Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2008, die er zuvor noch ankündigte, gab der jetzige Außenminister am 10. Januar 2008 seine Unterstützung für den Kandidaten Barack Obama bekannt.

Verheiratet ist der Demokrat mit Teresa Heinz-Kerry, die Erbin der weltbekannten Marke "Heinz-Ketchup".

Kommentare