Nach Köln: Neuer #aufschrei heißt #ausnahmslos

Betroffenheit in Köln
Sexisten sind nicht nur "die Anderen": Deutsche Netzaktivistinnen stellen nach Kölner Übergriffen in offenem Brief Forderungen.

Anne Wizorek ist nicht jedem ein Begriff - doch der Hashtag, den sie 2013 initiierte, ging der deutschen Gesellschaft durch Mark und Bein: das simple Wort #aufschrei. Unter dem Begriff posteten abertausende Frauen ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt, Diskriminierung, Erniedrigung online. Die Initiative der Netzaktivistin und Medienberaterin startete kurz nach einem Stern-Artikel der Journalistin Laura Himmelreich. In der Geschichte "Der Herrenwitz" schilderte Himmelreich anzügliche Bemerkungen des FDP-Politikers Rainer Brüderle. Wizorek stieß mit dem Hashtag daraufhin eine Debattenlawine los, die bis heute nachhallt.

Nach den Übergriffen von Köln, als eine offenbar organisierte Horde von Männern hunderte Frauen in der Silvesternacht bedrängten, blieb der Aufschrei zunächst aus - zumindest bis jetzt. Nun hat Wizorek erneut einen Hashtag ausgegeben - der sich allerdings gegen Sexismus und Rassismus gleichermaßen richtet: #ausnahmslos.

Gleichzeitig veröffentlichte sie zusammen mit anderen Feministinnen unterschiedlicher Nationalitäten einen offenen Brief, indem sie präzise Forderungen stellen, die manche überraschen könnten. Die Gruppe setzt sich besonders dafür ein, nicht in die Rassismus-Falle zu tappen. Man sei sich der Zusammenhänge zwischen Sexismus und Rassismus nicht immer bewusst, heißt es da. Die beiden großen -ismen unserer Zeit würden zu oft gegeneinander ausgespielt.

"Der konsequente Einsatz gegen sexualisierte Gewalt jeder Art ist unabdingbar und von höchster Priorität. Es ist für alle schädlich, wenn feministische Anliegen von Populist_innen instrumentalisiert werden, um gegen einzelne Bevölkerungsgruppen zu hetzen, wie das aktuell in der Debatte um die Silvesternacht getan wird. Sexualisierte Gewalt darf nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich 'Anderen' sind: die muslimischen, arabischen, Schwarzen oder nordafrikanischen Männer".

14 Forderungen an Politik, Gesellschaft und Medien folgen. So müsse etwa in Deutschland sexuelle Belästigung eine eigenständige Straftat werden. Die mediale Berichterstattung dürfe Opfer nicht verhöhnen und die Taten nicht verschleiern; das Problem des Sexismus und der sexualisierten Gewalt dürfe zudem nicht „islamisiert“ und damit pauschal einer Religion zugeschrieben werden.

Schon vor Veröffentlichung ist der offene Brief Hunderte Male unterzeichnet worden, etwa von der deutschen Familienministerin Manuela Schwesig und anderen prominenten Politikerinnen - auch von österreichischen, etwa von der Wiener Frauenstadträtin Sandra Frauenberger oder der Nationalratsabgeordneten Berivan Aslan.

Auch international bekommen die Übergriffe von Köln immer mehr Aufmerksamkeit. In den vergangenen Tagen berichteten zalhreiche große Medienhäuser auf der ganzen Welt darüber. Auch immer mehr Solidarität kommt für die Opfer, etwa aus Italien. Die römische Zeitung Il Messaggero rief unter dem Hashtag #tutteacolonia (alle nach Köln) Frauen aus aller Welt dazu auf, am 4. Februar für einen Protestzug in die deutsche Stadt zu reisen. Am Tag der Weiberfastnacht sollen die Teilnehmerinnen gemeinsam in Köln zeigen, dass sich Frauen nicht einschüchtern lassen.

Kommentare