Drei Flüchtlingsschiffe im Mittelmeer in Seenot

Nach Tragödie mit 950 Toten sind drei Boote vor Libyen im Sinken - 300 Menschen sollen an Bord sein. EU-Sondergipfel am Donnerstag.

Während in Luxemburg Europas Innen- und Außenminister beraten, wie die Flüchtlingspolitik auf neue Beine gestellt werden kann, schockieren Meldungen über weitere sinkende Flüchtlingsschiffe: Drei Schiffe seien derzeit vor der Küste Libyens in Seenot, an Bord eines der Boote sollen laut einem Hilferuf mehr als 300 Menschen sein, teilte am Montag die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf mit.

Die Boote befänden sich bereits im Sinken. Es gebe bereits "mindestens 20" Tote; den Angaben des Anrufers zufolge sind drei Schiffe dicht beieinander vor der libyschen Küste unterwegs, er sitze in einem von ihnen. Die genaue Position konnte jedoch zunächst nicht bestimmt werden. Die IOM alarmierte die Küstenwache, Italien und Malta hätten nach Hilferufen der drei Boote Rettungseinsätze eingeleitet, sagte Italiens Regierungschef Matteo Renzi am Montag nach einem Treffen mit Maltas Premierminister Joseph Muscat. Vor Rhodos war zuvor ein Boot mit 83 Menschen an Bord gesunken, drei Tote werden befürchtet.

EU-Sondergipfel am Donnerstag

Erst in der Nacht auf Sonntag hatte sich die jüngste Tragödie im Mittelmeer ereignet. Bis zu 950 Opfer werden befürchtet. Ein Überlebender sagte aus, dass auf dem Fischerboot vom Sonntag auch 40 bis 50 Kinder und etwa 200 Frauen waren. Gerettet wurden nur 28. Die Suche seither war erfolglos. „Die Schmuggler haben die Türen geschlossen und verhindert, dass sie herauskommen“, erzählte der aus Bangladesch stammende Augenzeuge. Nun steht die europäische Flüchtlingspolitik am Pranger, auch ein Sondergipfel in Brüssel soll am Donnerstag dazu stattfinden.

Mikl-Leitner für Asylzentren in Afrika

Nun beraten die EU-Innen- und Außenminister bei einem Treffen in Luxemburg über die Flüchtlingspolitik. Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Für Österreich sind Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz bei dem Treffen am Montag anwesend. Mikl-Leitner hat im Vorfeld erneut Verhandlungen mit den nordafrikanischen Ländern zur Schaffung von Asylzentren des UNO-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR in der Region gefordert - etwas, was das UNHCR selbst jedoch "für den Moment unrealistisch" hält, so Sprecherin Ruth Schöffl. Stattdessen brauche es eine Ausdehnung der Rettungsprogramme - dem kann auch Österreich etwas abgewinnen. Kurz forderte, dass die EU unmittelbar den Kampf gegen Schlepper verstärke. Dazu sollte die EU auch eine gemeinsame sicherheitspolitische Mission andenken.

Drei Flüchtlingsschiffe im Mittelmeer in Seenot
epaselect epa04712791 A handout picture made available by German shipping company Opielok Offshore Carriers (OOC) on 20 April 2015 shows a boat with refugees close to the cargo ship 'OOC Jaguar' in the Mediterranean sea on 12 April 2015. The ships of the German shipping company Opielok Offshore Carriers have rescued more than 1,500 people in the Mediterranean sea since December 2014. EPA/Opielok Offshore Carriers Mandatory Credit: Opielok Offshore Carriers HANDOUT EDITORIAL USE ONLY
Italien und die UNO jedenfalls rechnen mit einer weiteren Massenflucht aus Libyen, schließlich sind Migranten für Schlepperbanden ein riesiges Geschäft. "Es gibt hunderttausende Menschen, die zur Abfahrt in Nordafrika bereit sind", sagte UNHCR-Sprecherin Carlotta Sami. Sie hob hervor, dass Menschenhändler auch brutal mit Flüchtlingen umgegangen seien.

Italien wird passend dazu der EU eine Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels über das Mittelmeer vorlegen. "Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die wir Brüssel unterbreiten wollen. Man muss technische Lösungen finden, wir arbeiten daran", so der italienische Premier Matteo Renzi. Rom setzt inzwischen schon erste Handlungen und verschärft die Offensive gegen den Menschenhandel. Die Polizei von Palermo hat einen internationalen Schlepperring zerschlagen, der Hunderte Migranten nach Italien geschleust haben soll. 24 Personen aus Eritrea, Äthiopien, Ghana und Cote d'Ivoire wurden am Montag festgenommen.

Drei Flüchtlingsschiffe im Mittelmeer in Seenot
Todesopfer auf Migrations- und Fluchtrouten weltweit seit Anfang 2015 - Weltkarte Grafik 0485-15-Fluechtlinge.ai, Format 88 x 70 mm

Maßnahmen vor Ort

Im Mittelpunkt der EU-Gespräche dürften aber Optionen für ein europäisches Engagement im Krisenland Libyen stehen, das wichtigste Transitland für Bootsflüchtlinge nach Europa. Mogherini hat dazu in den vergangenen Wochen eine Liste mit Vorschlägen erarbeitet. Sie reichen nach Angaben aus Diplomatenkreisen von einfacher Beratung bis hin zur Entsendung von EU-Friedenstruppen. Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen wird allerdings vorerst nicht erwartet. Einen Einsatz internationaler Kräfte auf libyschem Boden schloss etwa Renzi entschieden aus.

Aufschrei der Hilfsorganisationen

"Es ist eine simple Gleichung", sagt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International, zur neuerlichen Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer. "Wenn immer mehr Leute die gefährliche Mittelmeerroute nehmen und gleichzeitig immer weniger Ressourcen für die Such- und Rettungsaktionen aufgewendet werden, dann wird es immer mehr Tote geben."

Auch die internationale humanitäre Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) fordert nach der erneuten Tragödie im Mittelmeer groß angelegte Such- und Rettungsaktionen der EU-Staaten, um weitere Tote auf hoher See zu verhindern. "Im Mittelmeer entsteht ein Massengrab, für das die europäische Politik verantwortlich ist", sagt Loris De Filippi, der Präsident von Ärzte ohne Grenzen Italien.

Das Mittelmeer als Massengrab: Zum Kommentar

Drei Flüchtlingsschiffe im Mittelmeer in Seenot

Zehntausende Flüchtlinge aus den Krisengebieten Afrikas und Vorderasiens warten an der Küste Libyens auf ihre "Chance". Sie wollen nach Europa, doch die Überfahrt über das Mittelmeer ist gefährlich, wie die jüngste Katastrophe vor Lampedusa erneut bewies. Warum nehmen diese Menschen das tödliche Risiko auf sich? Einige Fragen und Antworten zum Drama in den Gewässern zwischen Libyen und Italien:

Warum stechen die Boote gerade von Libyen aus in See?

Nach dem Sturz des Langzeit-Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 ist das Land nach und nach im Chaos versunken. Es gibt keine funktionierende Regierung. Die Mittelmeerküste zieht sich über Hunderte Kilometer hin. Das Nachbarland Tunesien liegt wesentlich näher an Lampedusa, doch sind die Küsten dort viel besser bewacht.

Was erleichtert den Schleppern gerade in Libyen das Geschäft?

Im Land herrschen verschiedene Milizen, die sich nebenbei im einträglichen Schlepper-Geschäft verdingen. Flüchtlinge aus dem Inneren Afrikas sind auf ihre Dienste bereits angewiesen, wenn sie die große Libysche Wüste durchqueren wollen, die auf ihrem Weg zur Mittelmeerküste liegt.

Was kostet so eine Überfahrt mit ungewissem Ausgang?

Quellen in Libyen sprechen von einem Preis zwischen 500 und 1000 Euro pro Person. Es ist ein schmutziges Geschäft, nicht nur wegen der bedingt seetauglichen Schiffe, auf die die Fluchtwilligen gepackt werden. Oft zwingen sie die geldgierigen Milizionäre mit brutaler Gewalt auf die Schiffe, wie der Italien-Chef von Amnesty International, Gianni Rufini, bestätigte. Aber auch die unmenschlichen Zustände in den libyschen Auffanglagern veranlassen viele Flüchtlinge, sich auf die gefährliche Überfahrt einzulassen.

Aus welchen Ländern kommen die Migranten, weshalb verlassen sie ihre Heimat?

Im Vorjahr stand unter den Herkunftsländern Syrien an erster Stelle, gefolgt von Eritrea und verschiedenen Ländern Schwarzafrikas. In Syrien fliehen die Menschen vor einem mörderischen Bürgerkrieg mit bisher mehr als 200.000 Toten. In Afrika treiben Hunger, Dürren, chaotische Verhältnisse und islamistische Terrormilizen wie die nigerianische Boko Haram die Menschen massenhaft in die Flucht.

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