Nach der Nacht der Angst: Trauer und Aufatmen

Blumen für die Opfer beim Olympia-Einkaufszentrum in München
Amokläufer tötet neun Menschen. München im Schock.

Fast könnte man an diesem Samstagmorgen kurz vergessen, was sich in der Parallelstraße von dieser ruhigen Wohnsiedlung mit viel Grün zwischen den Häusern einen Abend zuvor abgespielt hat. Doch dann hastet eine Frau mit Tränen in den Augen vorbei. Hier herrschte für Stunden die absolute Panik.Vor dem Haus von Doris Priestermüller ist eine Blutlache. Hier hat sich der Täter gerichtet. Sie will nicht darüber sprechen. Die 58-Jährige war selbst im nur einen Steinwurf entfernten Olympia-Einkaufszentrum, als der Horror seinen Lauf nahm. "Ich war am Haupteingang, als Schüsse gefallen sind. Ich bin mit vielen anderen hinten rausgerannt und in meine Wohnung."Birgit Berger steht am Tag danach mit drei Teenagerinnen am Straßenrand und telefoniert. Sie sieht müde und abgekämpft aus. "Wir haben die Schüsse gehört, und dann sind Menschen in unser Haus geflüchtet. Bei uns haben sieben fremde Personen übernachtet", erzählt die 48-Jährige. Zwei der Mädchen sind Touristinnen aus Belgrad, die aus dem Olympia-Einkaufszentrum um ihr Leben rannten, als ein 18-Jähriger Freitagabend gegen 18 Uhr auf Menschen in der Shopping Mall zu schießen begann.

Zuvor hatte der Schüler mit deutscher und iranischer Staatsbürgerschaft bereits in einem gegenüberliegenden Fast-Food-Restaurant das Feuer eröffnet. Neun Menschen starben im Kugelhagel, acht davon Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren.

Berger weiß, dass auch ihre Tochter unter den Opfern sein hätte können. "Mein Kind ist auch oft dort und wollte kurz davor sogar rübergehen", sagt die Mutter und umarmt das Mädchen.

Nach der Nacht der Angst: Trauer und Aufatmen
Stundenlang war die Großstadt München im Bann der Angst. Nach der Schießerei war zunächst unklar, ob es einen oder drei Täter gab. Sie könnten überall im Stadtgebiet sein, warnte die Polizei, die von einer "Terrorlage" sprach. Bis zu 2300 Einsatzkräfte wurden in München zusammengezogen. Der öffentliche Verkehr wurde von der Exekutive stillgelegt. Menschen irrten zu Fuß durch die Stadt. Über die sozialen Netzwerke warnte die Polizei in mehreren Sprachen vor der Bedrohung.

Zuflucht

Erst gegen 1.30 Uhr gab es ein erstes Aufatmen, wurde der Sperrbezirk rund um den Tatort zum Teil aufgehoben. Einer der vielen Gestrandeten, die nicht mehr in ihre Häuser konnten, ist Dirk. "Ich wollte gerade ins Einkaufszentrum fahren, um etwas zu besorgen, als ich von dem Anschlag erfahren habe", erzählt er. In einem Hotel knapp zwei Kilometer vom Tatort entfernt fand er Unterschlupf. "Sie haben uns das Zimmer kostenlos zur Verfügung gestellt", sagt Dirk dankbar. Viele andere Hotels in der Stadt öffneten ebenfalls ihre Pforten für Touristen und Einheimische. Auch Kirchen und Moscheen boten Zuflucht. In der Stunde der Gefahr hielt München zusammen. Unter dem Hashtag #OffeneTür boten Bürger Schlafplätze an.

Noch in der Nacht teilten die Behörden mit, dass es sich bei dem Angreifer um einen Einzeltäter handeln dürfte, der sich nach seinem Anschlag selbst das Leben nahm. Das Aufatmen in der Stadt war Samstagfrüh spürbar. Am Münchner Hauptbahnhof herrschte um neun Uhr bereits wieder reger Reiseverkehr.

Wie an mehreren Orten in der Stadt hatte es auch hier am Abend zuvor nach einem Fehlalarm Panik gegeben. "Ich wollte um halb acht gerade zur S-Bahn, als plötzlich alle Leute gerannt sind", erzählt Edith Widmann, die in einem Bahnhofsgeschäft arbeitet. Was bleibt nach dieser Nacht? "Ein mulmiges Gefühl", sagt die 59-Jährige.

Doch es scheint, als würde München schnell wieder in die Spur finden. Gegen 10 Uhr beginnt sich die Fußgängerzone am Stachus, wo es ebenfalls Panik gab, zu füllen. Als die Polizei Samstagmittag vor Medien von "einen klassischen Amoklauf" spricht, herrscht in der Innenstadt fast Normalbetrtieb.

Blumen für die Opfer

Im Westen der Stadt kommen indes immer mehr Menschen zum Tatort. Es herrscht Grabesstille und tiefe Betroffenheit. Medizinstudentin Caroline Köhler ist mit Blumen gekommen. "Ich will meine Anteilnahme zeigen", sagt sie. Sie ist ein Stück weit erleichtert, dass nicht erneut Islamisten zugeschlagen haben: "Da hätte man Angst, dass es bald wieder einschlägt."

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