Reif für die Insel

Schirm, Charme und Melone dürfen bei einem Sir in der City of London bis heute nicht fehlen.
Die Briten blicken stolz auf ihre jahrhundertealten Traditionen zurück.

Sie wollten auf ihrer Insel immer schon ein bisserl anders sein als wir vom Kontinent. Haben ihre eigene Art, höflich zu sein, ihre eigene Mode, ihren Witz, ihre eigene Religion, stellen sich an der Bushaltestelle anders an. Und sie bestehen heute noch darauf, in Fuß und Inch zu messen, mit dem britischen Pfund zu zahlen, in eigens für sie konstruierten Taxis und auf der linken Straßenseite zu fahren. Für all diese Schrullen hatten wir durchaus Verständnis, ja Sympathien. Bis sie den Brexit wählten.

Reif für die Insel
The union flag flies over the Houses of Parliament in Westminster, in central London, Britain June 24, 2016. REUTERS/Phil Noble

Insel und Kontinent

Schuld an der ewigen Kluft zwischen Insel und Kontinent war die Eiszeit, an deren Ende es zu Land-Senkungen und zu einer Meeresspiegel-Erhöhung kam, die die Abtrennung Britanniens vom europäischen Festland zur Folge hatten. In der Antike überwanden die Römer den an seiner schmalsten Stelle nur 34 km breiten Ärmelkanal und machten England zur römischen Provinz, im Mittelalter wurde die Insel von Sachsen, Dänen und Normannen beherrscht, was immer mit blutigen Kriegen verbunden war.

Die glänzendste Periode seiner Geschichte begann für das Empire im 18. Jahrhundert, als es dank seines Kohle- und Eisenerz-Reichtums zur führenden Industrienation wurde, zu deren Stärken neben dem Bergbau die Metall- und die Textilerzeugung zählten. Auf der Insel schien es von da an ständig bergauf zu gehen, vor allem als 1837 mit Queen Victoria das "goldene Zeitalter" anbrach.

Die Kronkolonien

Die industrielle Revolution bescherte dem Vereinigten Königreich aber auch gewaltige Unruhen, da die Arbeiterschaft erkennen musste, dass ihr Anteil an der florierenden Wirtschaft nur allzu gering blieb und die Armut in den unteren Schichten stetig stieg.

Längst schon durch Sklavenhandel und Raubzüge als Handelsimperium etabliert, wurde England im ausgehenden 19. Jahrhundert zur weltweit größten See- und Kolonialmacht. Auf allen Kontinenten fanden sich britische Kronkolonien und Protektorate, etwa in Südafrika, Indien, Ägypten, Australien, Kanada, in weiten Teilen Amerikas, in Birma, Ceylon, Hongkong, Kuwait, Palästina, Singapur, im Irak… – fast ein Viertel der Erdoberfläche war "britisch", und Englisch wurde zur Weltsprache Nr. 1. Erst nach dem Ersten Weltkrieg verlor das Empire an Gewicht, England fiel als Weltmacht hinter die USA und gründete den Commonwealth als Vereinigung der nunmehr autonomen, früheren Kolonialstaaten. Die Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 markierte das faktische Ende des britischen Imperiums.

Very, very british

Nicht nur als Kolonialherren ließen die Briten viel Blut fließen. Sondern etwa auch durch ihren König Heinrich VIII., der seine Ehefrauen reihenweise enthaupten oder einsperren ließ und einer Scheidung zuliebe die anglikanische Kirche gründete. Oder durch die Hinrichtung ihres Königs, Charles I., im Jahr 1648. Und durch den Nordirlandkonflikt, der zwischen 1969 und 1998 rund 3500 Todesopfer forderte. Etwas harmloser auch durch Edgar Wallace, Agatha Christie und Ian Fleming, den erfolgreichsten Krimiautoren der Geschichte, die alle very, very british waren. Ja, und nicht zu vergessen: natürlich auch durch Shakespeares Königsdramen.

England ist aber auch das Mutterland der modernen Demokratien, dessen Parlamentarismus auf das 13. Jahrhundert zurückgeht. Und Großbritannien hat im Zweiten Weltkrieg tapfer gegen Hitler gekämpft und dabei große Opfer gebracht.

Die Dynastien

Als Königreich ist England mehr als 1000 Jahre alt, in denen mehrere Dynastien regierten, darunter die Häuser Lancaster, York, Tudor, Stuart und Hannover. Seit 1901 ist das Haus Sachsen-Coburg-Gotha an der Reihe, das im Ersten Weltkrieg den Namen Windsor annahm.

1973 trat das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – der heutigen EU – bei. Womit die jahrhundertelangen Konflikte mit dem Festland ein für alle Male beendet schienen.

Die Schotten

Aber auch gegen die im Norden der stolzen Insel lebenden Schotten führten die Engländer einst zahllose Kriege, meist weil sie versuchten, ganz Schottland zu unterwerfen, doch den schottischen Königen gelang es immer wieder, ihre Unabhängigkeit zurückzugewinnen. Da konnte es schon vorkommen, dass Queen Elisabeth I. ihre eigene Cousine, die schottische Königin Maria Stuart, aufs Schafott brachte.

Reif für die Insel
A barman pulls a pint of Vardy's Volley beer at the Dog and Gun pub in Syston near Leicester, Britain April 20, 2016. Leicester City's Premier League title dream became reality on Monday as their only remaining challengers Tottenham Hotspur drew 2-2 at Chelsea to complete one of the greatest ever sporting achievements.The Foxes' Premier League campaign has captivated fans in the provincial English city as well as sports fans worldwide. REUTERS/Darren Staples SEARCH "STAPLES FOXES" FOR THIS STORY. SEARCH "THE WIDER IMAGE" FOR ALL STORIES

Zur Vereinigung der beiden Länder kam es, als mit der selben – kinderlos gebliebenen – Elisabeth im Jahr 1603 das englische Königshaus ausstarb, worauf Maria Stuarts Sohn, Jakob I., zusätzlich zum schottischen auch den englischen Thron bestieg. Es sollte freilich noch mehr als 100 Jahre dauern, bis aus den zuvor verfeindeten Staaten das Königreich Großbritannien wurde.

Dieses könnte nun, ginge es nach den EU-freundlichen Schotten, viel schneller wieder auseinanderbrechen.

Kommentare