Empörung über Austritts-Idee der Briten

Fingerzeig: David Cameron gibt Großbritannien die Richtung vor.
Europa reagiert auf David Camerons Grundsatzrede und das angekündigte Referendum.

Die Grundsatzrede des britischen Premierministers David Cameron zur Position Großbritanniens in der EU zog quer durch Europa kritische Statements nach sich. "Es darf keine neuen Extrawürste für Großbritannien geben", stellt etwa der Vizepräsident des EU-Parlaments Othmar Karas klar. "Der britische Premierminister macht einen Fehler, wenn er glaubt, die europäischen Institutionen und Regierungschefs erpressen zu können, damit sie dem Vereinigten Königreich endlos viele Ausnahmeregeln gewähren", sagt der sozialdemokratische Fraktionschef Hannes Swoboda.

Der Briten-Rabatt und die Opt-outs belasten schon jetzt die Solidarität in der EU", betonte Karas. Swoboda sprach von einer "tragisch-komischen Rede", die Cameron gehalten habe. Sie habe in jeder Hinsicht die Erwartungen nicht erfüllt. "Herr Cameron hat heute eine absurde, vorgezogene Wahlkampagne gestartet", sagte Swoboda, der in Anlehnung an Shakespeare noch hinzufügte: "Viel Lärm um nichts."

Eher zurückhaltend reagiert die EU-Kommission. Eine Sprecherin von Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso ging am Mittwoch in Brüssel auf konkrete kritische Aussagen Camerons gegenüber der Kommission nicht ein. Angesprochen darauf, dass der britische Premier vor Ende 2017 ein Referendum über die Frage eines Verbleibs in der EU angekündigt hat, erklärte die Sprecherin, ein "konkretes Austrittsverfahren" gebe es nicht. Allerdings konzedierte sie, dass die Möglichkeit eines Verlassens der EU im Lissabon-Vertrag vorgesehen sei. Nur eben kein konkretes Verfahren dazu. "Der Fall ist ja bisher auch noch nicht aufgetreten", sagte Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde.

Rosinenpicken

Bereits zuvor hatte Parlamentspräsident Martin Schulz Camerons Kritik gekontert: "Da sind diejenigen, die an den Verzögerungen in Europa maßgeblich Schuld sind, diejenigen, die mit dem Finger auf Europa zeigen." Notwendige Reformen , um die EU effektiver, demokratischer, transparenter und schlanker zu machen, seien unter anderem an Großbritannien gescheitert.

Empörung über Austritts-Idee der Briten
epa03536557 Martin Schulz, President of the European Parliament, speaks to the Members of Parliament during the plenary session in the European Parliament, in Strasbourg, France 15 January 2013. EPA/PATRICK SEEGER
Auch in Österreich wurde die Rede des Briten-Premiers nicht positiv aufgenommen. Bundeskanzler Werner Faymann etwa kritisierte die mangelnde Kompromissbereitschaft, aus welcher heraus man sich nicht in eine Isolation begeben dürfe. "Das ist keine seriöse Politik, das ist nicht im Interesse der Bürger und der Wirtschaft Europas und auch nicht im Interesse der Bürger und der Wirtschaft Großbritanniens", so der Kanzler laut einer Aussendung.

Für VP-Außenminister und Vizekanzler Michael Spindelegger hat der britische Premier David Cameron aus seiner Problemanalyse der EU die falschen Schlüsse gezogen: Die Antwort dürfe nicht "Rosinenpicken durch einen Mitgliedsstaat" liegen, sondern müsse "mehr Europa und mehr Gemeinschaft lauten", so der Außenminister.

Roter Teppich

"Bildhaft" positionierte sich dagegen Frankreich. "Wenn Großbritannien Europa verlassen will, werden wir für euch den roten Teppich ausrollen", hatte Frankreichs Außenminister noch Laurent Fabius noch am Vormittag im Radio angekündigt, nur um am Nachmittag versöhnlichere Töne anzuschlagen - ein Referendum über einen Austritt sei "gefährlich für Großbritannien selbst". Großbritannien außerhalb der EU wäre "schwierig". "Wir hoffen, dass die Briten positive Elemente zu Europa beitragen", so Fabius.

Auf die Ankündigung Camerons, die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien neu verhandeln zu wollen, sagte Fabius auf France Info, Europa sei wie ein "Fußballverein": "Man tritt diesem Club bei, aber wenn man einmal drinnen ist, kann man nicht sagen: 'Ich spiele jetzt Rugby.'" Ein "Europa a la Carte" sei nicht möglich.

Es war die allzeit bereite Populismus-Wunderwaffe für den Premierminister. Wuchs der Unmut der Briten über die ohnehin ungeliebte EU wieder einmal an, trat man in Downing Street auf den Plan und kündigte an, über den Verbleib in der EU abstimmen zu lassen. Tony Blair hat ein solches Referendum wiederholt angekündigt – und vergessen, als sich die Briten wieder über andere Dinge ärgerten als Brüssel.

Als der Labour-Langzeitpremier verbraucht und sein Nachfolger Gordon Brown im Eiltempo politisch verunglückt war, schnappte sich David Cameron die Idee mit dem EU-Referendum. Und die blies er im erfolgreichen Wahlkampf 2010 so lange lautstark hinaus, bis auch die wütendsten EU-Gegner in der Partei überzeugt waren, dass er es dem bösen Brüssel schon zeigen werde.

Doch anders als bei Labour sitzt die Europaskepsis bei Camerons Konservativen traditionell tief, und zwar bis in die Regierungsspitze. Mit Finanzminister Osborne und Außenminister William Hague hat Cameron zwei Vertreter direkt an seiner Seite.

Die Euro-Krise und dazu der deutsche Ruf nach mehr Budgetdisziplin spielt den Skeptikern in die Hände. All das nährt den alten Verdacht vieler Briten, dass man sich mit der EU, an der man eigentlich nur den freien Warenverkehr schätzt, deutsches Großmachtstreben und französische Bummel-Bürokratie eingekauft hat.

Druck der EU-Gegner

Unter wachsendem Druck hat Cameron nun die Flucht nach vorne angetreten. Er hat ein Referendum über den EU-Austritt fix angekündigt, und zugleich versucht, es möglichst lange hinauszuzögern. 2015 bis 2017: Bis dahin will der Premier der EU einiges an Freiheiten für die Briten abverhandeln.

Doch damit gerät er in eine Zwickmühle. Die EU, in der Krise um mehr Zusammenhalt bemüht, kann es sich gar nicht leisten, sich um britische Eigenbrötlereien zu kümmern. Den Euro-Skeptikern daheim aber wird jeder Erfolg, den Cameron erzielen kann, als zu klein, jeder Kompromiss als Freiheitsberaubung der Briten erscheinen. Und mit der europafeindlichen UKIP hat er eine Oppositionspartei am Hals, die es auf seine konservativen Wähler abgesehen hat – mit Erfolg.

(Von Konrad Kramar)

Geht es nach dem Willen ihres Premierministers David Cameron, sollen die Briten nach 2015 über ihren Verbleib in der EU abstimmen. Die Ankündigung gilt im Falle einer Wiederwahl der konservativen Tories. Die Briten wählen im Frühjahr 2015 ein neues Parlament. (Die Rede im englischen Originalwortlaut finden Sie hier.)

Cameron erklärte, bis dahin wolle er das Verhältnis Großbritanniens zur EU neu verhandeln. "Wir haben Zeit für eine ordentliche, vernünftige Debatte", sagte Cameron. Die EU müsse sich grundlegend verändern. Das Bündnis müsse flexibler, wettbewerbsfähiger und demokratischer werden. Es müsse auch möglich sein, dass nationale Befugnisse nicht nur von den Mitgliedsländern in Richtung Brüssel wandern, sondern auch in die umgekehrte Richtung.

"Die Zukunft Großbritanniens ist in einer reformierten EU besser gesichert als außerhalb der EU", erklärte er am Mittwoch in London. Voraussetzung sei aber, dass die EU-Partner eine Vertragsänderung akzeptierten die eine "flexiblere und offenere" Union erlaube. Hauptgrund für die Mitgliedschaft Großbritanniens sei der Binnenmarkt.

Pro EU-Verbleib

Und er wolle "nicht nur einen besseren Deal für Großbritannien, sondern auch für Europa", fügte er hinzu. Die EU stehe vor drei großen Problemen: Die Schwierigkeiten der Eurozone, die Auswirkungen auf alle EU-Staaten habe, die Krise der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit im weltweiten Vergleich sowie der wachsenden Entfernung der EU zu den Bürgen. "Es gibt eine wachsende Frustration, dass die EU den Menschen angetan wird, anstatt in ihrem Interesse zu handeln."

In ihrem jetzigen Zustand drohe die EU zu scheitern. "Wir müssen uns diesem Thema stellen." Er selbst sprach sich jedoch gegen einen Austritt aus. "Ich möchte, dass die Europäische Union zu einem Erfolg wird". Sein Land habe mehr Macht und Einfluss in einer starken Gemeinschaft, so Cameron mit dem Verweis auf die NATO. "Großbritannien sollte in der EU bleiben."

Für Großbritannien stehe der Binnenmarkt als wichtigstes Element im Vordergrund. Er werde mit "Herz und Seele" dafür kämpfen, dass Großbritannien Mitglied in einer offeneren und flexibleren EU bleibe. Cameron hatte seine Rede in der vergangenen Woche verschoben, das Geiseldrama in Algerien hatte Priorität gehabt.

Großbritannien stellt sich bei vielen Verhandlungen in Brüssel quer, hat Sonderwünsche und will Ausnahmeregelungen. Jetzt kündigt der Premierminister David Cameron ein Referendum über den Austritt seines Landes an. Warum sind die Briten so euro-skeptisch?

Nationale Identität:
Als ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen.

Meinungsmacher in der Londoner City:
Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze.

Soziales & Arbeitsmarkt:
Großbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen.

Bürokratie in Brüssel:
Die Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen.

Presselandschaft:
Die britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister.

Heute, Mittwoch, wird David Cameron seine langerwartete Rede zur EU halten. Sein Berater, Phillip Blond, als Vortragender beim 10,. „Wiener Kongress Com.Sult“ in Wien, erläutert im KURIER-Interview die Forderung der Briten nach Reformen.

KURIER: Was ist die Strategie Großbritanniens für die EU?
Phillip Blond: Die Briten wollen ganz von Neuem überlegen, wie wir Europa gestalten – und wir sind nicht allein damit. Wir haben dem Euro in der EU zu viel Bedeutung gegeben. Das Euro-Projekt ist möglicherweise das, was die EU zerstört.

Was ist das Problem der aktuellen EU-Strategie zur Euro-Rettung?
Der Fiskalpakt und alles, was dazugehört, wird die Wirtschaftspolitik zentralisieren und die wirtschaftliche Eigenständigkeit abschaffen. Der Euro wird durch extreme Zentralisierung der Budgetpolitik überleben. Die Wirtschaftspolitik von Dublin bis Madrid wird dann von irgendeiner Art von EU-Institution entschieden. Dieser kurzfristige Versuch der Euro-Rettung wird langfristig die EU untergraben und den politischen Bruch in der EU auslösen. Also wird die wirtschaftliche Zentralisierung Europas die politische Zersplitterung mit sich bringen.

... und wie sehen diese politischen Konsequenzen aus?
Ich erwarte den Aufstieg einer Anti-EU-Bewegung: In den südlichen Ländern von der Linken dominiert – und in den nördlichen von der Rechten. Für die Linke wird das Hauptargument sein: Wir können diese Zentralisierung der Wirtschaftspolitik und die Zerstörung unseres Lebensstandards nicht akzeptieren. Und für die Rechte: Wir wollen nicht dafür bezahlen. Wir werden einen Umbruch im Süden und im Norden erleben. Die deutschen Pensionisten werden sich irgendwann weigern, für die französischen zu bezahlen.

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Was kann Großbritannien der EU anbieten?
Die Briten haben ihre Position vielleicht nicht sehr sympathisch präsentiert, sie haben ihre Manieren verloren. Aber sie haben ein wertvolles Angebot für Europa. Der EU fehlt politische Glaubwürdigkeit. Wir wollen kein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Wenn die EU ein politisches Konzept hat und nicht einfach mit dem Euro gleichgesetzt wird, kann man auch Verschiedenheit zulassen: Einzelne Staaten, die immer noch einen Raum haben, in dem sie sich frei bewegen können. Nur so kann Europa vorankommen.

Welche Rolle haben die Briten darin?
Großbritannien ist eine Weltmacht, aber nur, wenn es sich selbst als Teil Europas sieht. Wir haben uns nie wirklich um die Macht in Europa gekümmert. Unsere einzige Rolle war, als Gegner aufzutreten, wenn eine andere Macht in Europa die absolute Vorherrschaft anstrebte: Spanien, Napoleon, Hitler ... Wenn es England nicht gäbe, gäbe es die Freiheit in Europa nicht. Europa braucht die Briten, auch heute, um es militärisch zu verteidigen.

Werden sich die Briten in einer Volksabstimmung für Europa entscheiden?
Wenn das ein Referendum über den Ausstieg Großbritanniens wird, werden trotzdem jene gewinnen, die in der EU bleiben wollen. Niemand hat bisher ein konkretes Ausstiegsszenario vorgelegt: Die Wirtschaft ist für den Verbleib in der EU, auch die USA wollen, dass wir als ihr Anker in Europa drinbleiben. Jetzt steht es in Umfragen 50 zu 50, doch wenn wir diese Argumente anbringen, wird es 70 zu 30 für Europa stehen.

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