Machtkämpfe in Regierung und Opposition

2014 haben David Cameron und Boris Johnson noch miteinander gesprochen.
Die politische Situation in Großbritannien gleicht einem Shakespeare-Drama.

Wenn es darum geht, Politik auf den Punkt zu bringen, ist Englands Boulevardpresse traditionell unschlagbar. "Du hast den Premierminister ermordet. Wir werden dich kriegen", lieferte das Schwergewicht am Boulevard, The Sun, in einer raumfüllenden Schlagzeile seinen aktuellen Frontbericht aus der regierenden konservativen Partei.

Dort hatte ja Premierminister David Cameron das Desaster beim Referendum am vergangenen Donnerstag gerade einmal um ein paar Stunden überlebt. Schon Freitagmorgen kündigte der Regierungschef seinen Rücktritt an. Er hatte die Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens vor vier Jahren ausgerufen, um dem ewigen Streit über die ungeliebte EU ein Ende zu setzen. "Unnötig hoch gepokert – und noch höher verloren", kommentierte die Times Camerons Niederlage.

Der Mann, der ihn beerben will, und der sich deshalb an die Spitze der nun siegreichen EU-Gegner gestellt hat, blieb trotz seines persönlichen Triumphes am Wochenende überraschend einsilbig. Boris Johnson galt noch am Donnerstag als fix gebucht für das Amt des Premierministers. Doch wie nicht nur die Sun, sondern auch die seriösen politischen Kommentatoren deutlich machen, gilt er für viele in der Partei inzwischen als Königsmörder, der aus reiner Machtgier die tiefe Spaltung bei den Konservativen angezettelt hat.

Frei nach Shakespeare

Rund um die Innenministerin Theresa May, eine enge Vertraute Camerons und Gegnerin des EU-Austritts, hat sich eine Gruppe von führenden Parteimitgliedern formiert, die Boris Johnsons Weg an die Partei- und Regierungsspitze mit allen Mitteln verhindern will. Dazu kommt, dass auch bisherige Verbündete Johnsons, die mit ihm gemeinsam für den EU-Austritt geworben haben, auf einmal ihr durch den Sieg gewachsenes politisches Gewicht für eigene Pläne nützen wollen. So denkt etwa Ex-Verteidigungsminister Liam Fox plötzlich laut über eine Kandidatur für den Parteivorsitz nach.

Rebellion bei Labour

In Krisensituationen bekommt britische Politik – angetrieben von den nur zu gerne Blut riechenden Medien – traditionell die Dramatik Shakespear’scher Königsdramen. Doch durch das Chaos, in das das Land nach dem "Nein" zur EU-Mitgliedschaft driftet, wird der politische Machtkampf mit noch größerer Brutalität als sonst geführt.

Nachdem der Premier bereits gestürzt ist, droht dem Chef der Labour-Opposition, Jeremy Corbyn, möglicherweise schon heute das gleiche Schicksal. Der altlinke Corbyn, der sich noch nie so recht für die böse kapitalistische EU begeistern konnte, hatte bestenfalls halbherzig für den Verbleib in der Union geworben.

Grund genug, für gewichtige Parteigenossen offen seinen sofortigen Rücktritt zu fordern – schlimmer noch, ihn quasi mit Gewalt zu erzwingen. Im Stakkato traten am Sonntag die Mitglieder aus Corbyns Schattenkabinett – also die Führung der Opposition rund um den Parteichef – zurück. Corbyn, der sich bis zuletzt entschlossen zeigte, auf seinem Posten auszuharren, steht beinahe ohne Mannschaft da. Montagabend schon trifft sich die Labour-Parlamentsfraktion. Ein inoffizielles Misstrauensvotum gegen Corbyn wird von immer mehr Abgeordneten unterstützt.

Demos vor Parlament

Die Tage des Parteichefs scheinen gezählt. Der aber weiß zwar nicht seine Parteispitze, dafür aber die Basis hinter sich.

Die hat ihn erst im Vorjahr in einer offenen Revolte gegen die Parteigranden an die Spitze gehievt – und ist entschlossen, für ihn zu kämpfen. Wenn am Montag die Abgeordneten im Parlament tagen, wird man vor der Tür für Corbyn demonstrieren. "Die sollen ruhig zu hören bekommen, wen wir unterstützen", kündigen die Veranstalter trotzig an.

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