Ungarn sollen über Einwanderung abstimmen

Ungarns Regierungschef Viktor Orban will strengere Einwanderungsgesetze.
Mit einer umstrittenen Briefumfrage schürt Premier Orban die Emotionen.

Nationale Konsultation über Terrorismus und Migration" steht schon auf dem Umschlag jener Briefe zu lesen, die jedem Ungarn über 18 Jahren in den vergangenen Tagen ins Haus geflattert sind. Janos Tiborcz regt das ziemlich auf: "Das ist sehr tendenziös, da werden Migranten und Terroristen in den gleichen Topf geworfen", ärgert sich der Pensionist aus Budapest.

Und auch die zwölf Fragen, die Ungarns konservative FIDESZ-Regierung bis Ende Juni von ihren Staatsbürgern beantwortet haben möchte, gehen in eine eindeutige Richtung: "Nach gewissen Meinungen steht die durch Brüssel falsch gehandhabte Einwanderung in Zusammenhang mit der Zunahme des Terrorismus. Teilen Sie diese Meinung?", lautet etwa Frage Nr. 3. (Antwortmöglichkeiten: vollkommen einverstanden – eher einverstanden – nicht einverstanden). Selbst die UNO protestierte. Die Art der Fragen diente nur dem Zweck, Fremdenfeindlichkeit zu schüren, hieß es in einer offiziellen Stellungnahme.

Stimmungsmache

Den früheren Beamten Tiborcz empört am meisten die 12. und letzte Frage: "Stimmen Sie mit der ungarischen Regierung darin überein, dass statt der Migration eher die ungarischen Familien und ihre geplanten Kinder gefördert werden sollen?" Was da wie eine Art Wahl – entweder Unterstützung für Familien oder Zuwanderer – daherkommt, empfinden viele Ungarn als reine Stimmungsmache der Regierung. Denn rechtlichen Belang hat die briefliche Befragung keinen. Und bei der Auszählung der Antwortschreiben gibt es keine oppositionelle Kontrolle – Vertreter anderer Parteien werden nicht anwesend sein.

"Kein Schweizer Käse"

Zu erwarten aber ist, dass Ungarns Premier Viktor Orban das Ergebnis der "Nationalen Konsultation" im Herbst zur Rechtfertigung für strengere Einwanderungsgesetze nutzen wird. Seit Monaten macht der konservative Regierungschef, getrieben auch von der ultra-nationalistischen Jobbik-Opposition, Stimmung für strengere Regeln. "Wir können kein Schweizer Käse sein, wo jeder ein und ausgehen gehen kann", polterte Orban jüngst. Flüchtlingsquoten, wie sie die EU-Kommission für die EU-Länder vorschlägt lehnt, Orban denn auch konsequent ab. Obwohl Ungarn nach diesem Plan nur 1.134 Flüchtlinge aufnehmen müsste, sieht der ungarische Premier darin nur einen "Wahnsinn, weil der Quotenplan noch einen Anreiz für Zuwanderung schafft".

Tatsächlich spürt auch Ungarn den Zustrom an Flüchtlingen massiv. Über die Balkanroute – Griechenland, Mazedonien, Serbien – kamen heuer schon Zehntausende Flüchtlinge an. Allein im ersten Quartal 2015 wurden 33.000 Asylanträge gestellt. Im gesamten Vorjahr waren es 42.000.

Vergangenes Pfingstwochenende wurde an der serbisch-ungarischen Grenze knapp 500 Flüchtlinge verhaftet. Die Mehrheit von ihnen kam aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Fast alle aber ziehen, sobald sie in Ungarn ihren Asylantrag gestellt haben, in Richtung Westen, also auch über Österreich, weiter.

Ungarn sollen über Einwanderung abstimmen
A girl holds a placard during a protest against Hungarian Prime Minister Viktor Orban's immigration policy proposals in central Budapest, Hungary, May 19, 2015. Hungarian Prime Minister Viktor Orban decried EU proposals for migrant quotas as "bordering on insanity" on Tuesday, and defended his recent calls for the possible reintroduction of the death penalty. REUTERS/Bernadett Szabo
Während die meisten FIDESZ-Wähler den Ängsten der Regierung Glauben schenken, wonach das Land wegen der vielen Flüchtlinge in "zehn Jahren nicht mehr wieder zu erkennen" sei, mahnen viele andere Solidarität ein: Die tatsächliche Zuwanderung in Ungarn sei nach wie vor gering. Und nicht zuletzt haben viele Ungarn nicht vergessen, dass 1956 auch 250.000 Menschen fliehen mussten. Österreich, das damals Zigtausende geflohene Ungarn aufgenommen habe, meint Janos Tiborcz, "hat damals auch keine Briefumfragen gemacht".

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