Kiew: Absturz nach Explosion und Druckabfall

Ein ukrainisches Expertengremium äußerte sich zur Absturzursache.

Der mutmaßliche Abschuss des malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine könnte nach Einschätzung der Vereinten Nationen als Kriegsverbrechen geahndet werden. Das geht aus einem am Montag vorgestellten UN-Bericht hervor. "Dieser Verstoß gegen internationales Recht könnte unter den derzeitigen Umständen einem Kriegsverbrechen gleichkommen", erklärte UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay. Es werde alles unternommen, um die Verantwortlichen für den Absturz der Passagiermaschine vor Gericht zu bringen.

Montagmittag hat der ukrainische Rat für Sicherheit und Verteidigung indes bekannt gegeben, dass der Absturz der Maschine durch einen "Druckabfall in Verbindung mit einer starken Explosion" verursacht worden sein soll. Dies habe die Untersuchung eines Expertengremiums ergeben. Die Auswertung der Flugschreiber durch internationale Ermittler habe ergeben, dass das Flugzeug von mehreren Raketensplittern getroffen worden sei, teilte ein Sprecher des ukrainischen Rats mit. "Der Grund für die Zerstörung und den Absturz des Flugzeuges war ein massiver explosionsartiger Druckabfall, der durch die Durchlöcherung infolge einer Raketenexplosion entstand."

Das Niederländische Untersuchungsbüro für Sicherheit (OVV), das die internationalen Untersuchungen zum Absturz von Flug MH17 leitet, wollte die Angaben weder bestätigen noch dementieren. Das OVV werde sich erst äußern, wenn sich aufgrund der Ermittlungsergebnisse ein vollständiges Bild der Vorgänge abzeichne, sagte Sprecherin Sara Vernooij der Nachrichtenagentur AFP. Die Blackboxes werden derzeit von der britischen Untersuchungsbehörde für Luftunfälle (AAIB) ausgelesen. Analysiert werden die Daten von einem internationalen Team unter Führung der Niederlande.

Beim Absturz des Flugzeugs der Malaysia Airlines waren am 17. Juli 298 Menschen ums Leben gekommen, die meisten von ihnen Niederländer. Die Leitung der Untersuchung zu dem Absturz liegt auf Wunsch der ukrainischen Regierung deshalb bei den Niederlanden. Die bisher geborgenen Toten waren in einer Luftbrücke bis Samstag nach Eindhoven ausgeflogen worden. Immer noch ist unklar, wie viele Tote gefunden worden sind. Ein erstes Opfer, ein Mann aus den Niederlanden, konnte gerichtsmedizinisch identifiziert werden. Der niederländische Polizeichef bereitete indes die Öffentlichkeit darauf vor, dass es sein könne, dass nicht alle Überreste und Habseligkeiten der Opfer gefunden werden.

Die Boeing 777 war auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur gewesen. Die Regierung in Kiew und westliche Staaten werfen den prorussischen Separatisten vor, Flug MH17 mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen zu haben.

Bergungsarbeiten erneut unterbrochen

Kiew: Absturz nach Explosion und Druckabfall
epa04333789 Members The Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) and the Dutch and Australian forensic investigation teams in Donetsk, Ukraine 28 July 2014. Fighting in the area around the Malaysia Airlines crash site in eastern Ukraine prevented a team of unarmed Dutch and Australian police officers from reaching the wreckage for a second consecutive day on 28 July 2014. EPA/IGOR KOVALENKO
Heftige Kämpfe in der Ostukraine machten indes Bergungsarbeiten an der Absturzstelle von Flug MH17 erneut unmöglich. Experten aus den Niederlanden und Australien brachen zwar am Montag von Donezk Richtung Grabowo auf, mussten aber unverrichteter Dinge zurückkehren, wie das Justizministerium in Den Haag mitteilte. Gerichtsmediziner und unbewaffnete Polizisten sollten nach bisher ungeborgenen Opfern suchen.

Begleitet wurde die Experten-Gruppe von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in Europa, wie die OSZE mittelte. Aufständische stellten die Eskorte. Am Montag waren erneut Explosionen und Gefechtslärm zu hören. Die ukrainische Armee versucht dort in einer Großoffensive, das Separatistengebiet zu spalten.

Dem aktuellen UN-Bericht zufolge ist die Zahl der in den Auseinandersetzungen zwischen Armee und pro-russischen Separatisten Getöteten in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen: "Stand 26. Juli wurden mindestens 1129 Menschen getötet und 3442 verletzt." In einem UN-Bericht vom 18. Juni lag die Zahl der seit April Getöteten noch bei 356. UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay verurteilte zudem den Einsatz "schwerer Waffen in Wohngebieten" durch beide Konfliktparteien. Den Rebellen warf sie vor, in den von ihnen eroberten Gebieten eine "Herrschaft des Terrors" errichtet zu haben. Zivilisten würden von den Rebellen entführt, gefoltert und ermordet.

Bei Kämpfen um Donezk und Luhansk (Lugansk) hätten die ukrainische Armee wie die Separatisten schwere Waffen in bewohnten Gegenden eingesetzt, darunter Artillerie, Panzer und Raketen. Auch dies sei möglicherweise ein Kriegsverbrechen, so Pillay.

Armee übernimmt teilweise Kontrolle über Absturzort

Die ukrainische Armee ist indes bei ihrer Offensive im Osten am Montag bis in das Absturzgebiet des malaysischen Passagierflugzeugs vorgedrungen. "Die Ukrainer haben Teile des Absturzortes unter ihre Kontrolle gebracht", sagte der Vize-Regierungschef der selbstproklamierten "Volksrepublik Donezk", Wladimir Antjufejew. Der Pressedienst der ukrainischen Armee für den Militäreinsatz erklärte, die Truppen seien in die Städte Schachtarsk und Tores eingedrungen. Auch um die Ortschaften Perwomaysk und Snischne gebe es Kämpfe mit prorussischen Separatisten mit dem Ziel der "vollkommenen Befreiung".

Russland versus USA: Gegenseitge Vorwürfe

Russland forderte, die Ermittlungen zur Absturzursache unter die Leitung der Vereinten Nationen zu stellen. Eine solche Untersuchung sollte möglichst schnell beginnen, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. "Dafür sollte der Weltsicherheitsrat eine entsprechende Entscheidung treffen." Moskau sehe mit Besorgnis, dass einige Beteiligte versuchten, bilateral mit der Ukraine eine Untersuchung der Tragödie zu vereinbaren. Er warnte davor, dass Spuren verwischt werden könnten.

Zugleich warnte Lawrow die USA vor möglichen Waffenlieferungen an die Ukraine. "Diese Maßnahme wäre Öl ins Feuer gießen und würde eine kriegerische und kompromisslose Lösung des Konflikts vorantreiben", sagte er.

Dagegen legte die US-Regierung Satellitenfotos als angebliche Beweise vor, dass die russische Armee über die Grenze hinweg ukrainische Streitkräfte beschossen hat. Den US-Angaben zufolge belegen die Aufnahmen auch, dass Russland die Separatisten mit schwerer Artillerie beliefert hat.

EU einigt sich auf Sanktionen gegen weitere Personen

Die 28 EU-Staaten weiten in der Ukraine-Krise die Sanktionen gegen Russland auf weitere Personen aus. Die Botschafter der 28 EU-Staaten beschlossen am Montag in Brüssel eine Liste mit Namen, gegen die Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt werden. Dabei soll es nach früheren Angaben von Diplomaten um den inneren Kreis rund um den russischen Präsidenten Wladimir Putin gehen.

Die Namen sollen aber erst zu einem späteren Zeitpunkt bekanntgegeben werden. Bisher hat die EU Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen 87 Personen sowie 18 Organisationen und Unternehmen beschlossen.

BERGUNG VON OPFERN Gerichtsmedizinische Experten sollen die restlichen Leichen sowie persönlichen Eigentümer der Opfer bergen. 23 niederländische Forensik-Experten und 40 Militärpolizisten sind im ostukrainischen Donezk. Das Team soll um je 60 Experten und Polizisten aufgestockt werden. Australien hat 50 Polizisten in dem Gebiet und will weitere 100 schicken. Malaysia will 68 Polizisten entsenden.

UNTERSUCHUNGEN ZUR URSACHE 25 Experten aus der Ukraine, den Niederlanden, Malaysia, Australien, Frankreich, Deutschland, USA, Großbritannien und Russland sollen unter Leitung des niederländischen Sicherheitsrates Spuren und andere Informationen sammeln, um die Absturzursache festzustellen. Ein Teil des Teams ist an einem nicht genannten Ort in der Nähe des Trümmerfeldes, der Rest in Kiew. Die Daten der Flugschreiber werden von Spezialisten in Großbritannien analysiert.

STRAFRECHTLICHE ERMITTLUNGEN Ein niederländischer Staatsanwalt ist mit zwei Mitarbeitern in Kiew zu einer Voruntersuchung. In Den Haag sollten am Montag Juristen aus den zehn Herkunftsländern der Opfer und der Ukraine zu ersten Gesprächen zusammenkommen.

KONTAKT MIT DER UKRAINE Die Niederlande und die Ukraine bereiten einen Vertrag vor, nach dem die internationalen Experten von bewaffneten Polizisten geschützt werden dürfen. Dabei soll es nur um Waffen zur persönlichen Verteidigung gehen.

KONTAKT MIT DEN PRORUSSISCHEN SEPARATISTEN Verhandlungen mit den prorussischen Rebellen über den sicheren Zugang zur Absturzstelle führen Mitarbeiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

ROLLE DER VEREINTEN NATIONEN Die Niederlande und Australien streben eine breite internationale Unterstützung der Ermittlungen an, insbesondere durch Russland. Der UN-Sicherheitsrat soll über die Bemühungen informiert werden. Die Entsendung einer internationalen Schutzmacht schließen die Niederlande zur Zeit aus. Russland möchte, dass die UN die Ermittlungen leiten.

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