Australien, Niederlande schicken Sicherheitskräfte

Ostukraine: Die Ermittlungen wurden bisher behindert. Am Freitag wurden neue Wrackteile und Leichen gefunden.

Noch immer liegen Leichen an der Absturzstelle von MH17 und die Ermittler haben weiter keinen freien Zugang: Wegen der Behinderungen der Bergungsarbeiten wollen Australien und die Niederlande nun eigene Sicherheitskräfte zum Absturzort der malaysischen Boeing in die Ostukraine schicken. Australiens Premier Tony Abbott sprach am Freitag von 190 Soldaten und Polizisten, die "zum Teil bewaffnet sein könnten". Den Haag bereitet das Entsenden von 40 Polizisten vor. Laut Abbott soll es eine "humanitäre Mission" werden, deren Bedingungen in einem Abkommen mit der Regierung in Kiew festgelegt würden. Das Ziel bestehe darin, die 28 australischen Insassen der Maschine, die zu den insgesamt 298 Toten gehören, in die Heimat zu bringen.

Das Abkommen mit der ukrainischen Regierung stehe kurz vor dem Abschluss, sagte Abbott. 90 australische Polizisten wurden bereits nach Europa verlegt, hundert weitere Sicherheitskräfte, dieses Mal Soldaten, sollen laut Abbott folgen. Die niederländischen Polizisten sollen nur zum Teil bewaffnet sein. Die australischen Sicherheitskräfte sollen sich an einem internationalen Einsatz beteiligen, der am Absturzort nach verbliebenen Todesopfern und Hinweisen auf die Absturzursache sucht. Ein Großteil der Leichen wurde inzwischen in die Niederlande ausgeflogen, die die Leitung des Einsatzes übernommen haben. Die Niederlande bereiteten nach Angaben von Ministerpräsident Mark Rutte die Entsendung von 40 Polizisten und 23 Ermittlern vor.

Bei dem Absturz der Boeing 777-200 über dem Konfliktgebiet waren vor einer Woche 298 Menschen getötet worden. Die meisten stammten aus den Niederlanden. Dorthin werden die Opfer übergeführt. Die Suche nach den Leichen und die Ermittlungen in der Osukraine wurden bisher erheblich dadurch beeinträchtigt, dass das Absturzgebiet von prorussischen Separatisten kontrolliert wird, die die ukrainischen Sicherheitskräfte bekämpfen.

Neue Wrackteile gefunden

Mehr als eine Woche nach dem Absturz des Malaysia-Airlines-Flugzeugs haben Ermittler ein neues großes Wrackteil sowie weitere Leichen gefunden. Der Fundort liegt unweit der anderen Wrackteile. Die Ermittler - darunter zwei australische Diplomaten und ein Forensiker - seien zunächst nicht dafür ausgerüstet gewesen, die Leichen zu bergen, berichteten der Fernsehsender ABC und die Zeitung Sydney Morning Herald am Freitag.

In einem dichten Waldstück sei man plötzlich auf den großen Rumpf-Wrackteil gestoßen, sagte Michael Bociurkiw von der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa dem australischen Sender ABC. "Es schien fast so, als sei er wie aus dem Nichts aufgetaucht, denn es waren keine abgebrochenen Äste oder ähnliche Anzeichen zu sehen, die darauf hinweisen, dass ein großes Stück Rumpf dort zu Boden gefallen ist", sagte Bociurkiw. Sitze und Fenster sollen noch intakt sein. Auf besonderes Interesse bei den Ermittlern sei das Cockpit der abgestürzten Boeing 777-200 gestoßen. Dort seien "sowohl persönliche als auch professionelle Gegenstände der Piloten" noch vorhanden. In dem Absturzgebiet sei nach dem Fund der neuen Leichen und Leichenteile eine detaillierte Überprüfung des Geländes vonnöten, um sicherzustellen, dass nichts übersehen werde, sagte Bociurkiw weiter.

Ukraine sagt Übergabe von Satellitenbildern zu

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat die Übergabe von Satellitenbildern zugesagt, auf denen der Absturz der malaysischen Passagiermaschine MH17 genau dokumentiert sein soll. "Für eine transparente Untersuchung des Terroraktes vom 17. Juli werden die Aufnahmen internationalen Ermittlern überlassen", teilte das Präsidialamt in Kiew am Freitag mit. Auf den Bildern sei auch zu sehen, wohin die Wrackteile der zerbrochenen Boeing 777-200 gefallen seien. "Es kann also bewiesen werden, dass die Terroristen nach dem Absturz Trümmer entfernt haben", hieß es. Die Führung in Kiew wirft den Separatisten die Vernichtung von Beweismitteln vor.

Unklar war, woher die Satellitenbilder stammen. Die Ex-Sowjetrepublik verfügt offiziell nicht über eigene Flugkörper zur Aufklärung.

Das russische Luftfahrtamt hat die Ukraine mit Nachdruck aufgefordert, Beweise für den angeblichen Abschuss der malaysischen Passagiermaschine vorzulegen. Die Führung in Kiew habe bisher nichts unternommen, um Splitter einer möglichen Rakete zu finden, sagte Behördenchef Alexander Neradko am Freitag in Moskau. "Die Ukraine ist internationalen Regeln zufolge verpflichtet, eine solche Suche zu organisieren", sagte er der Agentur Interfax zufolge.

Neue Vorwürfe

Unterdessen haben die USA in der Ukraine-Krise neue Vorwürfe gegen Russland erhoben. Es gebe Anzeichen dafür, dass russische Militärs mit Artillerie von russischem Gebiet auf ukrainische Einheiten schössen, sagte die Sprecherin des Washingtoner Außenministeriums, Marie Harf. Sie berief sich auf Hinweise von Geheimdiensten befreundeter Staaten. Der Westen und die Regierung in Kiew beschuldigen Russland, nicht stark genug auf die Separatisten einzuwirken, um den Konflikt im Osten des Landes zu entschärfen. US-Außenamtssprecherin Harf warf der Regierung in Moskau am Donnerstag vor, weitere Raketenwerfer an die Aufständischen liefern zu wollen. Zugleich nähmen russische Truppen von russischem Gebiet aus ukrainische Verbände mit Artillerie unter Beschuss.

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A piece of the wreckage is seen at a crash site of the Malaysia Airlines Flight MH17 in the village of Petropavlivka (Petropavlovka), Donetsk region July 24, 2014. REUTERS/Maxim Zmeyev (UKRAINE - Tags: TRANSPORT DISASTER TPX IMAGES OF THE DAY)
Die USA verdächtigen die Separatisten, das malaysische Flugzeug abgeschossen zu haben. Russland und die Rebellen haben den Verdacht dagegen auf das ukrainische Militär gelenkt. Auch die malaysischen Ermittler am Absturzort gehen nach OSZE-Angaben von einem Raketentreffer aus. Dafür sprächen stark durchlöcherte Wrackteile, sagte Michael Bociurkiw von der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Donnerstag demZDF.

EU-Sanktionen

Die Europäische Union erweiterte unterdessen ihre Liste von Einreiseverboten und Kontensperrungen gegen Vertreter Russlands und der Separatisten. Mit den neuen Strafmaßnahmen erhöht sich die Zahl der betroffenen Personen in Russland und der Ostukraine auf 87, wie Diplomaten sagten. Erstmals wurden auch 18 Organisationen und Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt. Sie dürfen in der EU keine Geschäfte mehr machen. Über andere Verschärfungen der EU-Sanktionen soll später entschieden werden. Moskau hat reagiert und verbietet die Einfuhr von Milch und Käse aus der Ukraine.

Im Beisein von Angehörigen sind am Freitag zwei weitere Militärmaschinen mit Opfern des Flugzeugabsturzes in der Ostukraine im niederländischen Eindhoven gelandet. Es ist der dritte Transport in Folge aus dem ukrainischen Charkow. Eine australische und eine niederländische Militärmaschine brachten 75 Särge aus dem ukrainischen Charkow in die Niederlande.

An der kurzen Zeremonie am Flughafen nahmen auch mehrere niederländische Minister und Vertreter anderer Herkunftsstaaten der Opfer teil. Insgesamt sind nun 189 Särge mit den sterblichen Überresten von Passagieren des abgestürzten Fluges MH17 in den Niederlanden. Für Samstag wurde ein weiterer Transport von 38 Särgen angekündigt. Um wie viele Opfer es dabei geht, ist nicht ganz klar. Erst beim Öffnen der Leichensäcke könnten das die forensischen Experten feststellen.

Australien, Niederlande schicken Sicherheitskräfte
epa04329811 Australian Governor-General Sir Peter Cosgrove (3-R) and Lady Lynne Cosgrove (2-R) bow their heads before laying a wreath at a memorial for victims of the Malaysia Airlines Flight MH-17, at Schiphol Airport, the Netherlandss, 25 July 2014. A piece of the fuselage of Malaysia Airlines flight MH17 and more bodies have been found in a wooded area at the crash site in Ukraine, Australian media reported on 24 July 2014. Thirty-seven Australian nationals and residents were on the plane. EPA/DAN HIMBRECHTS AUSTRALIA AND NEW ZEALAND OUT

Nach einer Schweigeminute trugen Soldaten die Särge aus den Militärmaschinen. In einer langen Kolonne sollten die 75 Leichenwagen die sterblichen Überreste nach Hilversum bei Amsterdam fahren. Dort sollen alle 298 Opfer des Absturzes identifiziert werden. Die meisten Opfer waren Niederländer.

Am Mittwoch waren die ersten 40 Todesopfer der Katastrophe in den Niederlanden eingetroffen.

Wegen der wachsenden Spannungen zwischen dem Westen und Russland ist nach Angaben der russischen Agentur Itar-Tass ein italienisch-russisches U-Boot-Projekt gestoppt worden. Betroffen sei ein seit langem vereinbartes Geschäft zwischen der russischen Firma Rubin und der italienischen Werft Fincantieri, die gemeinsam ein U-Boot (S-1000) mit Dieselantrieb und Brennstoffzelle entwickeln wollen.

"Zu unserem Bedauern wurde das Projekt wegen der bekannten politischen Situation gestoppt", zitierte Itar-Tass den Chef des Marine-Entwicklungsbüros der Firma Rubin, Igor Wilnit. Die Firma wollte sich offiziell nicht dazu äußern.

Die Europäische Union diskutiert derzeit über einen generellen Stopp von Waffenlieferungen an Russland. Frankreich hat sich bisher geweigert, die Auslieferung eines bestellten Hubschrauber-Trägers nach Russland zu stoppen. Großbritannien wickelt mit Russland ebenfalls noch Geschäfte in Milliardenhöhe ab. Die EU will bis Ende Juli auch über Sanktionen gegen Russland in einzelnen Wirtschaftsbereichen entscheiden.

Während sich Tausende aus den umkämpften Gebieten in der Ostukraine in Sicherheit bringen, ziehen die Kämpfe dort Menschen eines besonderen Schlages an: Söldner und Freiwillige, Abenteurer mit krausen Weltvorstellungen – auf beiden Seiten dieses Konfliktes. Diese Woche meldeten russische Medien, pro-russische Separatisten hätten im umkämpften Lugansk einen schwedischen Freiwilligen gefangen genommen. Es handelt sich dabei um Mikael Skilt, einen bekennenden Neonazi, der nach eigener Darstellung in der Ukraine kämpft, um seine "weißen Brüder" gegen "zionistische Imperialisten" zu unterstützen. Er ist ausgebildeter Scharfschütze und kämpfte in den Reihen des Azow-Bataillons, einer Einheit der Nationalgarde, die dem Innenministerium untersteht.

Die Nationalgarde besteht aus einer Vielzahl an Einheiten, die sich aus Freiwilligen rekrutieren, vom Innenministerium ausgerüstet, trainiert und zur Unterstützung der maroden Armee eingesetzt werden.

Das Azow-Bataillon aber nimmt eine besondere Rolle ein – und eine, die besonnenen Ukrainern zunehmend Sorgen bereitet. Es ist wohl kein Zufall, dass ein schwedischer Neonazi genau hier anknüpfte. Angelobt werden die Kämpfer der Einheit unter der gelb-schwarzen Runen-Fahne der Organisation "Sozial-Nationaler Zusammenschluss" (SNA), eine Neonazi-Gruppe, die offen "Herrenrassengedanken" pflegt.

Kriegsblind

Der Link der Organisation zum politischen Establishment ist dabei Oleg Ljaschko, der bei den Präsidentenwahlen 8,3 Prozent erreichte. Auf der Liste seiner "Radikalen Partei" für den Stadtrat von Kiew stehen gleich vier Mitglieder der SNA. Auf einem Video ist Ljaschko zudem zu sehen, wie er einen gefangenen Separatisten misshandelt. Zwar besteht das Azow-Bataillon nicht nur aus SNA-Mitgliedern, die Kommandantenebene aber rekrutiert sich durchwegs aus deren Rängen sowie der Skinheadgruppe "Misanthropic Division".

Das allgemeine politische Chaos und die Kriegswirren setzen sich auch in der Berichterstattung ukrainischer Medien fort. Die Schattierungen und Grautöne des Begriffs "Patriotismus" gehen dabei teils verloren. Und so sind es zuweilen die liberalen Medien-Aushängeschilder der Revolution wie Hromadske-TV, die mehr als unkritisch über die anti-demokratische Ideologie der Azow-Kommandanten berichten. So saß ein Befehlshaber des Bataillons einmal mit Leibchen mit der Aufschrift "Black-Corps", Schwarzes Korps, im Studio. "Das Schwarze Korps" war die Zeitung der SS.

Auf der anderen Seite dieses Konflikts, in Russland, wird das genüsslich ausgeschlachtet – wenngleich nicht weniger dubiose Gestalten und Ideen hinter dem pro-russischen Aufstand stehen. Da ist etwa der Militärchef der Separatisten, Igor Girkin, ein aus Moskau stammender Militarist und Monarchist mit angeblich besten Verbindungen zu Russlands Militärgeheimdienst GRU. Unter seinem Kommando stehen neben tschetschenischen Söldnern vor allem russische Ultra-Nationalisten, Traditionalisten, Kosaken sowie einige lokale Kämpfer. Was Letztere vereint, ist der 2006 vom russischen Ultra-Nationalisten Mikhail Smolin geprägte Begriff der "russischen Einheit", der zufolge die Ukraine eine "Krankheit" und Ukrainer an sich "süd-russische Separatisten" sowie "Verräter an der orthodoxen Zivilisation" seien. Und in dieser Art werden schon gemäßigte ukrainische Patrioten in russischen Medien dargestellt – und diese stellen in den Rängen der ukrainischen Kräfte nach wie vor die breite Mehrheit.

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