Merkels heikle Mission in Istanbul: Viele Konfliktpunkte vor Treffen mit Erdogan

Kanzlerin übte sanfte Kritik an Ankara, will Flüchtlingsdeal aber unbedingt retten.

Und wieder machte sie sich auf in die Türkei, bereits zum fünften Mal innerhalb der vergangenen sieben Monate. Offizieller Anlass ist eine UN-Konferenz zu humanitären Fragen. Doch als viel wichtiger eingestuft wird das heutige Treffen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dieser hatte zuletzt Akzente gesetzt, die EU-Politiker als autoritär bezeichneten. Daran kommt auch Merkel nicht vorbei, doch zugleich darf sie den "Sultan" nicht vergraulen, braucht sie ihn doch in der Flüchtlingsfrage. CSU-Chef Horst Seehofer mahnte sie aber, deswegen zu große Nachsicht zu üben.

Das macht Merkels Mission am Bosporus zu einer heiklen, es gibt ein Bündel an Problemen mit Konfliktstoff:

Kurdenfrage

Das türkische Militär geht im Südosten und Osten des Landes massiv gegen die Kurden-Guerilla PKK vor, dabei gibt es auch immer mehr zivile Opfer zu beklagen. Und am vergangenen Freitag hat das Parlament in Ankara auf Fingerzeig Erdogans die Immunität von 138 Abgeordneten aufgehoben. Von den 59 Mandataren der Kurden-Partei HDP sind 50 betroffen. Ihnen droht nun Strafverfolgung. Dies erfülle sie mit "großer Sorge", ließ Merkel vor ihrem Abflug im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung leise Kritik anklingen. Die PKK sei zwar eine terroristische Organisation, doch sie wolle, dass die "kurdische Bevölkerung ihren gleichberechtigten Platz und eine gute Zukunft in der Türkei hat".

Meinungs- und Pressefreiheit

Immer mehr Kritiker der allein regierenden AKP und Erdogans sowie unabhängige Journalisten, aber auch Kurden-Politiker werden nach dem Terror-Paragrafen angeklagt (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung) und landen im Gefängnis.

Affäre Böhmermann

Nach der Veröffentlichung eines Schmähgedichts über Erdogan durch den deutschen Satiriker Jan Böhmermann im ZDF klagt der türkische Staatschef. Merkel stellte sich zunächst hinter den Moderator, bezeichnete dies später aber als Fehler.

Genozid-Resolution in Berlin

Auch eine Abstimmung im deutschen Bundestag dürfte das Verhältnis belasten. Die Mandatare wollen Anfang Juni einem Text zustimmen, in dem die Vertreibung und Ermordung der Armenier im Ersten Weltkrieg als Völkermord durch die Osmanen eingestuft wird. Ankara hat bei ähnlichen Voten immer wieder scharfe Töne angeschlagen.

Trotz dieser Hürden hält Merkel an dem Flüchtlingsdeal fest: Dafür dass die Türkei den Migrantenstrom nach Europa stoppt, erhält sie Geld und ihre Bürger erhalten die Visa-Freiheit in die EU. Doch dafür müssen die Terror-Paragrafen an EU-Standards angepasst werden. Das hat Erdogan brüsk zurückgewiesen. Die Kanzlerin ist um Ausgleich bemüht: Bis jetzt habe die Türkei ihre Zusagen eingehalten, "und ich werde mit dem türkischen Präsidenten über den Stand der Dinge sprechen".

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