Hunderte Bootsflüchtlinge täglich überfordern Italien

Laut Innenministerium in Rom wird heuer die Zahl der Neuankömmlinge erstmals 100.000 übersteigen. Für viele endet die Überfahrt tödlich.

In der süditalienischen Hafenstadt Messina prallten am Wochenende zwei Welten aufeinander: Während sich Urlauber am Strand sonnten und im Meer surften, hatten wenige Hunderte Meter entfernt syrische Flüchtlinge einen Überlebenskampf auf hoher See hinter sich. Vor dem Strand Paradiso im Zentrum der Stadt ankerte der dänische Öltanker "Torm Lotte". An Bord befanden sich 400 Syrer, die auf der Überfahrt von Libyen nach Süditalien gerettet wurden.

Während bei den Überlebenden der jüngsten Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufkeimt, trauert eine Mutter um ihren einjährigen Sohn, der die Überfahrt nicht überlebte. Für weitere 29 Menschen kam die Rettung ebenfalls zu spät. Ihre Leichen wurden nach Malta transportiert.

Da der Tanker aufgrund seiner Größe nicht im Hafen einlaufen konnte, mussten die Flüchtlinge mit Schleppbooten der Küstenwache an Land gebracht werden. Die Badegäste verfolgten die Rettungsarbeiten. Doch nicht alle zeigten Verständnis. "Wie traurig", sagte eine Frau aus Messina und rückte ihr Badetuch zurecht: "Italien hat aber selbst genug Probleme."

"Todesdreieick"

Die Arbeitslosenzahlen sind in Süditalien extrem hoch, die Wirtschaft liegt am Boden. Diese Tatsache ist auch den syrischen Flüchtlingen bekannt, die Italien ohnehin nur als Durchgangsstation betrachten.

Die Zahl der Asylanträge im Land ist rückläufig. Das italienische Fernsehen bezeichnet die tägliche Opferstatistik aus dem "Triangolo della morte" – dem "Todesdreieck" – zwischen Libyen, Tunesien und Lampedusa als Kriegsberichte.

Am Montag wurden weitere fünf Tote geborgen, die sich an Bord eines sinkenden Schlauchbootes vor der sizilianischen Küste befanden. 61 Migranten wurden gerettet. Laut Überlebenden waren insgesamt 80 Flüchtlinge an Bord des Bootes.

Gute Wetterbedingungen und ruhige See lassen die Abfahrten der Flüchtlingsboote aus Libyen rasant ansteigen. Sechs Marineschiffe und mehrere Helikopter sind im Dauereinsatz, um die bisher massivste Flüchtlingswelle der vergangenen Jahre zu bewältigen. Allein am Freitag hat die Marine binnen 12 Stunden im Rahmen der Rettungsaktion "Mare Nostrum" 1771 Personen vor der sizilianischen Küste in Sicherheit gebracht.

Laut Statistik der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind seit Anfang 2014 bis Mitte Juli 67.000 Flüchtlinge in Italien eingetroffen. Das italienische Innenministerium spricht von 84.000 Menschen.

Der Großteil der Männer, Frauen und Kinder stammt aus Eritrea und Syrien. Die Regierung geht davon aus, dass die Zahl auf ein Rekordhoch von 100.000 ansteigen wird. Premier Matteo Renzi hat erneut an die EU appelliert, Italien zu unterstützen.

Als erste Anlaufstelle ist Sizilien besonders betroffen. Die Auffanglager sind überfüllt. Schulen und Kasernen haben ihre Türen geöffnet, um die Menschen kurzfristig unterzubringen. Eine Luftbrücke nach Venedig und Triest wurde eingerichtet.

Norden ziert sich

Die norditalienischen Regionen Veneto und Friaul haben sich bisher geweigert, ausreichend Flüchtlinge aufzunehmen. Rechtsextreme Lega Nord-Politiker steigen auf die Barrikaden: "Wir wollen kein zweites Lampedusa im Norden."

Tausende Migranten sind auf dem Weg nach Norditalien, der Großteil davon in die Lombardei. In Bologna wurde ein aufgelassenes Flüchtlingslager wieder für 200 afrikanische Flüchtlinge geöffnet.

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