„Gulasch-Orbánismus mit nationalistischer Sauce“

Paul Lendvai im Interview, in seiner Wohnung, am 20.03.2013
Scharf kritisiert der bekannte Publizist Paul Lendvai in seinem neuen Buch die Regierung in Budapest.

KURIER: Herr Lendvai, wegen Ihrer Kritik an der rechtsnationalen Politik von Premier Orbán werden Sie attackiert, beleidigt, verleumdet. Empört Sie das?

Ich bin sehr traurig. Ungarn ist keine Diktatur wie Weißrussland oder Kasachstan. Das Land ist aber auf dem Weg zu einer Mischung aus Horthy-Zeit mit Rassismus und Antisemitismus, aus Kádár-Zeit mit der Verschleierung wirklicher Probleme und kleinen Konzessionen hin zu einem System des starken Mannes an der Spitze, zu einem Gulasch-Orbánismus mit nationalistischer Sauce.

Ein harter Vergleich?

Es ist meine Aufgabe als Kommentator über die Entwicklungen in Ost- und Südosteuropa offen zu sprechen. Die Regierung in Ungarn sieht Kritiker als Feinde. Wenn Medien dem Land einen Spiegel vorhalten, dann wird der Spiegel zertrümmert. Mich kann man aber nicht einschüchtern. Kritiker werden als Handlanger des internationalen Kapitals oder des Weltzionismus hingestellt.

Verstehen Sie ständige Verfassungsänderungen?

Das Prinzip der Vertragstreue wird nicht eingehalten. Verträge werden widerrufen oder geändert, all das erleben nicht nur österreichische Bauern. Banken, Unternehmen oder Handelsketten aus dem Westen werden benachteiligt. Das ist nationalistisch und populistisch. Das ist die Rückkehr zur Kommandowirtschaft, im entgrenzten Europa ist es eine Katastrophe für Ungarn.

Gibt es eine Chance auf Änderungen, auf eine Wende?

Ungarn sollte von der österreichischen Geschichte lernen: Wohin führten Hass und politische Spaltung 1934 und der Deutsch-Nationalismus 1938. Ich bin beeindruckt, wie offen und unbarmherzig in Österreich mit der Vergangenheit umgegangen wird. Ungarn bräuchte eine Dokumentation wie sie Hugo Portisch über Österreich gemacht hat. In Ungarn tauchen die Dämonen aus der Vergangenheit auf, das kann auch für uns gefährlich werden. Ich will Österreich, das 1956 so viel für Flüchtlinge aus Ungarn und später aus Ost- und Südosteuropa getan hat, schützen und verteidigen.

Wissen Ungarns Bürger über die Lage des Landes Bescheid?

Eine Minderheit ist informiert, die große Mehrheit nicht. Die von der Regierungspartei Fidesz kontrollierten oder indirekt geförderten Medien teilen nur mit, wie gut die Regierung ist, wie allein Ungarn ist und wie es einen Freiheitskampf gegen das internationale Kapital führen muss.

Kürzlich gab es Orden für Personen, deren Aussagen als antisemitisch und rassistisch eingestuft werden. Was sagen Sie?

In jedem Land gibt es Antisemiten und Fremdenfeindlichkeit. Es geht aber darum, ob eine Regierung so etwas duldet, und es geht um die Einstellung der politischen Klasse. Es ist unannehmbar, dass faschistische Schriftsteller als Lesestoff für Schüler vorgeschrieben werden.

Macht die EU genug?

Die EU hat mehr getan als erwartet. Sie ist oft parteipolitisch punziert. Sozialdemokraten haben gegen die Regierung Rumäniens zu spät und zu schwach reagiert, das gleiche tun Konservative gegenüber der Orbán-Regierung. Die Frage ist: Wie verhalten sich ÖVP oder Frau Merkel? In Ungarn geht es auch um ihre Klientel, um Bauern, Investoren, Aktionäre.

Außenminister Spindelegger hat zuletzt Orbán scharf kritisiert. Nicht genug?

Ich erwarte, dass österreichische Interessen verteidigt werden. Es gibt in der EU den Binnenmarkt. Kleine österreichischen Firmen und Bauern können sich nicht wehren. Alle Bundeskanzler von Kreisky bis Schüssel haben dem ungarischen Volk bisher geholfen. Ungarn geholfen. Jetzt bekommt Österreich Ohrfeigen von der Budapester Regierung.

Ungarn wählt im Frühjahr 2014. Ex-Premier Gordon Bajnai hat die Wahlplattform „Koalition der Hoffnung“ gegründet. Hat Bajnai ein Chance?

Bajnai ist sehr begabt und fähig, er ist auch im Ausland sehr geschätzt. Wenn die Oppositionsparteien (Sozialisten, Liberale, Grüne) die Eifersüchteleien hintanstellen, gibt es eine Chance. Bisher sehe ich das noch nicht. Die Opposition ist zersplittert. Fidesz hat viele Wähler verloren, wird aber immer noch von der Mehrheit unterstützt. Besorgniserregend ist die Stärkung der Rechtsradikalen Jobbik. Wegen der Politikverdrossenheit könnte sich die Partei der Nichtwähler als stärkste Kraft erweisen.

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