Kurz: Werbetour für "Mut zum Scheitern"

Daumen hoch: Außenminister Sebastian Kurz gemeinsam mit österreichischen Start-up-Unternehmern auf Arbeitsbesuch beim Social-Media-Giganten Facebook in Silicon Valley.
Der Außenminister will Start-ups forcieren und von Facebook profitieren.

Knapp sechs Flugstunden liegen zwischen Ost- und Westküste der USA. Mehrere US-Bundesstaaten. Ein Kontinent. In Wahrheit liegen Welten dazwischen.

Ging es für ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz am Montag in New York vor der UN-Generalversammlung noch um nukleare Abrüstung, geht es keine 24 Stunden später, vier Tage lang, um multimediale Aufrüstung.

Im kalifornischen Frühstücksfernsehen werden die Nachrichten über das Recht für Homosexuelle zu heiraten und der Ausnahmezustand in Baltimore nur kurz abgehandelt. Wichtiger ist, ob das Silicon Valley – ähnlich der Film-Industrie in Hollywood – ein eigenes, von Weitem sichtbares Signet erhält.

Dass das durchschnittliche reale Jahreseinkommen pro Kopf bei rund 70.243 Dollar liegt (in ganz Kalifornien aber nur 47.0375 US-Dollar) ist vor Ort, im Technologie-Tal südlich von San Francisco, auf gut 4000 Quadratkilometern auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Vielmehr versprühen die Straßenzüge den Charme von Fertigteilhäusern aus dem gehobenen Segment.

In New York wird man, der Legende nach, vom "Tellerwäscher zu Millionär". Im Silicon Valley, im Speziellen in Palo Alto (Heimat von Skype), Menlo Park (Facebook) und Mountain View (Google) vom Start-up-Unternehmer zum Milliardär. Wie das gehen soll, exerziert "German Accelerator" seit 2013 vor.

Bayern & Bootcamp

Die von der deutschen Regierung und Konzernen wie Volkswagen unterstützte Incorporation holt Kreative von Schleswig-Holstein bis Bayern ins Silicon Valley, um ihnen nach einem strikten Auswahlverfahren in einem einmonatigen "Bootcamp", die Tipps und Tricks im Business beizubringen.

Wer zu jenen 20 von 70 Menschen gehört, die das schaffen, lernt, wie österreichische Journalisten, die bei Kurz’ Trip dabei sind, Michael Meirer kennen. Er ist einer der Accelerator-Mentoren.

Der gebürtige Lienzer, der seit Jahrzehnten "im Valley" ist, mutet wie ein Extrembergsteiger a. D. an. Wären da nicht permanenter Anglizismus, das Suchen nach deutschen Worten, das stete Finden und Benutzen von Fachtermini. Die Start-ups made in Germany haben eine außergewöhnliche Idee, aber keine "Marketing-Tools". Sie wissen, was sie wollen, aber noch nicht, wie sie dazu kommen – zu "Benchmarks", "Venture-Capital", "Non Disclosure Agreements" und das alles dank "Gamification".

Bei Ghirardelli-Schokolade und Kaffee aus Drei-Liter- Tetra-Pak-Gebinden, dem Understatement gebührend, geht es ans Eingemachte. Um Erfolgsstrategien. Um Klartext. "Die Europäer sind zu schüchtern. Zu wenig direkt. Zudem steht ihnen zu oft die falsche Loyalität im Weg. Hier kündigst du heute bei einer Company, gehst morgen zur nächsten", kritisiert Startup-Mentor Meirer die europäische Mentalität.

"Du musst dich und dein Produkt verkaufen können, selbstbewusst sein, Mut haben." Was er damit meint? "Blamier dich! Täglich! Das macht stark, wettbewerbsfähig." Eine Einstellung, die Sigmar Gabriel, Deutschlands Minister für Wirtschaft und Energie, via " German Accelerator" unterstützt. Und an der Außenminister Sebastian Kurz Gefallen findet: "Der Mut zum Scheitern gehört dazu. Aus Fehlern zu lernen ist wichtig und erfolgversprechend, wie man hier eindrücklich sieht." Wie ein österreichisches Pendant konkret umsetzbar sein könnte, ist noch ungewiss.

Gewiss ist indes, dass derlei notwendig ist, um Österreich wettbewerbsfähig zu machen. Kurz: "Kein europäisches Unternehmen ist unter den Top-Ten-Internet-Firmen der Welt zu finden." Im "Valley" sind diese Firmen, überspitzt formuliert, an jeder zweiten Straßenecke zu vermuten. In Menlo Park, Hacker Way, jedenfalls zu finden.

Welt & WLAN

Der Parkplatz vor Facebook ähnelt dem eines Shoppingcenters, nur dass hier Elektroautos stehen, Parkwächter in blauen T-Shirts nach dem Rechten sehen. Der Campus ist für Fremde nur durch offizielle, langwierige Anmeldung zugänglich. Sobald die Personaldaten eingegeben und verifiziert worden sind, bekommen Besucher unaufgefordert die vermeintlich wichtigste Info: Das WLAN-Passwort. Viel interessanter ist jedoch die Welt, die sich hinter der Zutrittsschleuse befindet. Die reale Web-2.0-Welt.

Assoziationen der Mitangereisten werden umgehend und unumwunden laut: "Truman Show", "Designer-Outlet-Flair", "Virtual Reality". Die Hälfte der 9000 Facebook-Angestellten sind hier und durchschnittlich 28 Jahre alt. Sebastian Kurz ist Jahrgang 1986 und passt dennoch nicht in diese Kulisse.

Er arbeitet. Informiert sich über die Möglichkeiten, gemeinsam den IS-Terror, der sich auf der Social-Media-Plattform breitmacht, zu unterbinden. Die Facebook-Angestellten scheinen indes nur zu flanieren oder mit einem Firmen-blauen Fahrrad an der Hand schlendern zu wollen. Zu Brot und Spielen. Alle paar Meter lockt hier Kulinarisches aus allen Kontinenten. Hier ein Burger-Laden, da eine Snackbar, dazwischen Spielautomaten, Tischtennis-Tische und als individuelle Kreationen gepriesene Plakate mit Phrasen wie "Feedback is a gift" (Rückantwort ist ein Geschenk) oder "Pride connects us" (Stolz verbindet uns). Vielsagender ist das Schweigen der Mitarbeiter, sobald es um kritische Fragen geht. Transparenz. Datensicherheit. Kartellrechtsverletzungen.

Was die EU längst und österreichischer Zeitungsverband, Privatsenderverband und ORF jüngst lautstark kritisierten, wird bei den Betroffenen geflissentlich überhört. Lieber auf die Facebook-Wand gezeigt, wo Selfies gemacht und auf Fans verwiesen werden soll. 2,5 Millionen Österreicher sind täglich auf Facebook; 2,1 Millionen davon via Mobile. Wenige Autominuten weiter, in Mountain View, zeigt sich ein vergleichbares Bild.

Salat & Selfies

Erst Zutrittskarte und WLAN-Passwort, dann auf den Campus. Einzig: Statt blau sind die Fahrräder hier in den Google-Farben gehalten, die Autos mit Kameras bestückt und mit "self driving car" beschriftet, wiewohl sie von Menschen gefahren werden.

Bei Google gibt es Bowling statt Tischtennis, mehr technisches Gerät wie Adapter – und Salat statt Süßem zur freien Entnahme. Wieder allerorten und pausenlos. Gemeinsame Freizeit und Mahlzeiten steigern die Kreativität, tragen zum Erfolg bei, heißt es hier wie dort.

Was es heißt, Erfolg zu haben, weiß Charly Kleissner. Der gebürtige Österreicher, der an der Seite von Apple-Gründer Steve Jobs das Betriebssystem OS X entwickelte, arbeitet im Valley. Er tut dies auch buchstäblich, während er Außenminister Kurz und österreichischen Start-up-Jungunternehmern erzählt, wie er es von Tirol über die TU zum erfolgreichen Entrepreneur geschafft hat. Es geht um Mut und Motivation, Ideen und Investoren. Kleissners Enthusiasmus made in USA machen einmal mehr schlagartig klar, dass zwischen Europa und Amerika nicht ein Ozean, sondern Welten liegen. Materiell wie ideell.

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