Kein EU-Ausstiegs-Plan, Machtkämpfe in den Parteien

Theresa May will Boris Johnson als Premier verhindern
Boris Johnson bekommt eine Gegenkandidatin für Cameron-Nachfolge; Labour-Chef Corbyn wackelt.

Niemand in Großbritannien scheint zu wissen, wie und wann es mit dem Brexit, dem Austritt aus der Europäischen Union, jetzt weitergehen soll: Der scheidende britische Premier David Cameron sagte zwar am Montag, das Parlament solle mit den Vorbereitungen für den Austritt beginnen, und wann der Antrag auf den EU-Austritt nach Artikel 50 des EU-Vertrages aktiviert werde, sei Sache Großbritanniens – aber wann, sagte Cameron nicht.

Auch Boris Johnson, Londons Ex-Bürgermeister und Wortführer der Brexit-Anhänger beim Referendum vergangene Woche, sprach davon, dass Großbritannien weiter vom europäischen Binnenmarkt und der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren werde (was erst auszuhandeln ist), aber wann der Brexit-Knopf gedrückte werden soll, sagte er nicht.

In Wahrheit liegt die letzte Entscheidung vermutlich ohnehin beim britischen Parlament. Das Referendum ist rechtlich nicht bindend. Nach Ansicht von Experten müsste das Parlament über den vom Volk knapp gewünschten Austritt (51,9 zu 48,1 %) abstimmen. Und dort mehren sich die Stimmen, die einen Brexit doch noch verhindern wollen. Der Labour-Abgeordnete David Lemmy hatte schon am Freitag aufgerufen, "diesen Albtraum mit einem Votum im Parlament zu beenden".

Während also niemand den "schwarzen Peter" für die Einleitung des Austrittsprozesses haben will, hat der Poker in den beiden großen Parteien, bei den Konservativen und bei Labour, um die Führung schon begonnen.

Innenministerin will

Boris Johnson, dem nachgesagt wird, dass ihm ziemlich alles egal ist, selbst Großbritannien, so lange er nur Nachfolger von David Cameron als Parteichef und Premier wird, erwächst schon fünf Tage nach seinem Etappensieg ernsthafte Konkurrenz: Innenministerin Theresa May wolle in den nächsten Tagen bekannt geben, dass sie Nachfolgerin von Cameron als Parteichefin werden will, schreibt der Telegraph. Sie sei fest entschlossen der "Stop Boris"-Kandidat bei den Tories zu werden.

May dürfte die Unterstützung der Cameron-loyalen Abgeordneten haben, die den Rücktritt nach dem verlorenen Referendum nicht überwinden. May selbst galt als "zurückhaltende Remain-Anhängerin".

Die Nachfolge Camerons soll nun "schon" bist 2. September geregelt werden. Das gaben die Konservativen am Montag bekannt. Cameron hatte nach dem "Nein" der Briten zum Verbleib in der Europäischen Union seinen Rücktritt bis Oktober angekündigt und erklärt, eine formale Austrittserklärung obliege dann seinem Nachfolger. Das hatte vehemente Kritik aus Brüssel und EU-Staaten hervorgerufen.

Aber auch der Machtkampf innerhalb der Labour-Partei spitzt sich zu. Aus Protest gegen den zum linken Flügel der größten Oppositionspartei gehörenden Parteichef Jeremy Corbyn erklärte am Montag auch Angela Eagle ihren Rücktritt von ihrem Posten im Schattenkabinett. Sie vertrat Corbyn bisher bei Debatten im Parlament in dessen Abwesenheit. Damit verlor Corbyn bereits mehr als die Hälfte der Mitglieder seines Schattenkabinetts, zum Großteil mit Kritik an einer zu halbherzigen Remain-Kampagne Corbyns. Montag Abend befasste sich die Labour-Fraktionssitzung mit dem Misstrauensantrag zweier Labour-Abgeordneter gegen Corbyn.

Kommentare