Kein Ende der Kämpfe in der Ukraine

Zerstörte Gebäude in Donezk
Trotz mehrfacher Ankündigung eines Waffenabzugs gab es am Wochenende erneut Tote.

Trotz mehrfacher Ankündigung eines Waffenabzugs im Kriegsgebiet Donbass haben die Konfliktparteien in der Ostukraine wieder aufeinander geschossen. Im Gebiet Luhansk wurde nach Darstellung der prorussischen Separatisten vom Sonntag ein Mensch getötet. Die Militärführung in Kiew hatte am Wochenende von zwei toten und insgesamt mehr als 20 verletzten Soldaten berichtet.

Bis diesen Montag wollen die prowestliche Führung in Kiew und die Aufständischen nach den Worten von Präsident Petro Poroschenko ein Abkommen unterzeichnen, das den Abzug schwerer Kriegstechnik von der Front regelt. Ob es dazu bei einem im weißrussischen Minsk geplanten Treffen der Kontaktgruppe kommen werde, war zunächst offen.

Friedensplan

In der Kontaktgruppe beraten Vertreter Kiews, Russlands und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) über den Minsker Friedensplan. Ursprünglich sollte seit Mitte Februar eine entmilitarisierte Zone im Donbass geschaffen werden. Der Plan wurde aber bisher nicht vollständig umgesetzt.

Poroschenko besuchte zum Tag der Fallschirmjäger ukrainische Truppen im von den Regierungskräften beherrschten Teil des Donezker Gebiets. Die Behörden setzten elf ranghohe Vertreter der Separatisten auf eine Fahndungsliste. Die Aufständischen kritisierten dies als Verstoß gegen das Minsker Abkommen.

Das ukrainische Finanzministerium bestätigte unterdessen die Gewährung der zweiten Tranche über 1,7 Milliarden Dollar (etwa 1,5 Mrd. Euro) aus einem 17,5 Milliarden Dollar schweren Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF). Mit dem in den kommenden Tagen erwarteten Geld will die Regierung der krisengeschüttelten Ex-Sowjetrepublik vor allem die Währungsreserven aufstocken. Zudem sprach Vizeregierungschef Gennadi Subko vom Begleichen von Gasschulden.

KURIER: Herr Poroschenko, Sie waren sehr selbstkritisch in Ihrer Jahresrede. Sind Sie heute optimistischer?

Poroschenko: Ich bin absolut optimistisch. Ich denke, wir demonstrieren, dass wir sehr koordiniert vorgehen mit unseren Partnern aus der EU und den USA. Wir haben sehr schmerzhafte Reformen auf den Weg gebracht. Ich habe keinen Zweifel, dass wir es schaffen werden, Frieden zu bringen. Und dass die Reformen erfolgreich sein werden.

Aber gerade die Reformen – die wirken bisher sehr abstrakt.

Das stimmt nicht. Es tut mir leid, ich hasse, so etwas gegenüber Journalisten zu sagen. Gerade für Normalbürger sind es sehr konkrete Reformen. Es gibt kein Beispiel in der Welt, wo während eines Krieges, wo die Kosten für die Verteidigung massiv steigen, dass irgendeine Regierung wirkliche Reformen vorangebracht hat. Aber wir haben das Budgetdefizit reduziert. Wir haben die Tarife an die Weltmarktpreise angehoben – während des Krieges. Wir treiben voran und setzen die Dezentralisierung voran, eine sehr schmerzhafte Justizreform. Wir entbürokratisieren. All das ist schmerzhaft und unpopulär. Wir investieren unser eigenes Vertrauen, um dieses Land zu verändern. Das Defizit von Naftogaz betrug im Vorjahr 150 Milliarden Griwna (rund 6,5 Milliarden Euro). Heute sind es nur 30. Ich kenne niemanden in der EU, der ein solches Defizit in so kurzer Zeit reduzieren kann. Das ist verantwortliches Handeln. Erst gestern hat der IMF (International Monetary Fonds) zugesagt, die nächste Tranche zu überweisen, um einen finanziellen Polster für diese Reformen zu schaffen. Bisher hatten wir billige Energie, heute haben wir Marktpreise – aber auch Kompensationen für jene, die es wirklich brauchen.

Kein Ende der Kämpfe in der Ukraine
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Bild: Der Präsident im Gespräch mit KURIER-Redakteur Stefan Schocher (li.) mit einem finnischen und französischen Kollegen.

Aber sehr viele Menschen haben das Gefühl, dass diese Reformen zu langsam kommen.

Das macht unseren Job schwieriger. Aber wenn sie über die Reformen bei den Banken etwa sprechen, Wir hatten da keine Reformen bisher. Jetzt haben wir den Bankensektor gesäubert. Und wir haben die Verluste der Kunden gedeckt – aus dem Staatsbudget. Heute haben wir ein vertrauenswürdigeres Bankensystem.

Das BIP der Ukraine liegt heute unter dem von 1990. Was haben Sie Ihren Bürgern zu bieten? Verstehen Sie, dass solche Umstände UdSSR-Nostalgie nähren?

Ich denke diese Nostalgie gibt es nicht. Und die Resultate der Wahlen demonstrieren das auch. Für das niedrige GDP gibt es eine klare Erklärung. 25 Prozent unserer Wirtschaftsleistung ist unter Besatzung – aber wir haben die selben Ausgaben, weil wir nach wie vor Sozialleistungen an Menschen zahlen, die auf diesem Gebiet leben - haben aber keine Einnahmen von diesem Gebiet. Und zehn Prozent sind physisch zerstört oder fließen nach Russland. Klar hat das Auswirkungen. Zusätzlich haben sie (meint Russland) für die Ukraine den Markt geschlossen. Nicht genug mit der Krim oder der Ostukraine entgegen aller internationaler Gesetze, für uns wurde auch der russische Markt geschlossen.

Sie haben die Justizreform angesprochen. Es gibt Stimmen, die sagen, dass diese Reformen noch nicht einmal begonnen haben?

Es ist kein einfacher Job. Aber ich stimme nicht zu, dass diese Reform noch nicht auf dem Weg ist. Wenn Sie auf die Straßen gehen, sehen Sie die Polizei, die motiviert, nicht korrupt ist und vor allem das Vertrauen der Menschen hat. Was wir brauchen ist Transparenz und Unabhängigkeit des Gerichtswesens. Menschen wollen Änderungen gleich und sofort und sie haben ein Recht dazu. Nichts wurde gemacht in den 25 Jahren unserer Geschichte – sie haben das Recht Veränderungen zu verlangen. Wir haben 3000 Staatsanwälte gefeuert. Das ist bereits passiert. Und wir haben 700 neue eingestellt, die sauber und unabhängig sind.

Stichwort Verfassung: Die war und scheint nach wie vor ein Quell für Konflikte zu sein. Wie geeint ist die Regierung hinter diesen Reformen?

Wir haben demonstriert, dass die Verfassungsänderungen etwa, die wir vorangetrieben haben, breite Unterstützung haben - von der Fraktion des Präsidenten und des Premierministers. Wir geben keinem Hoffnung, der versucht, diese Einheit zwischen dem Präsidenten und der Regierung zu zerstören.

In einer solchen Situation gibt es viele Stimmen, die sich mit guten Ratschlägen melden. Eine davon sitzt in Wien – Dmytro Firtasch. Dessen Agentur zur Modernisierung der Ukraine, kennen Sie die? Würden Sie der zuhören?

Ich kann Ihnen garantieren, dass keine dieser Art Agenturen irgendwelche Privilegien genießt, auf die Regierung einzuwirken, das ist sicher. Firtasch hat, denke ich, andere Probleme, um die er sich kümmern sollte, bevor er sich mit Ratschlägen an uns wendet.

Was jüngst in Mukatschewo passiert ist, dass Angehörige des Rechten Sektor um sich schießen. Wie sehen Sie das? Von außen sieht das aus, als würde der Pravij Sektor als Privatarmee außerhalb jeden Gesetztes agieren.

Zu einem gewissen Teil. Als alles angefangen hat, hatten wir sehr viele Freiwillige – an der Front und innerhalb des Landes. Im letzten Jahr haben wir eine effektive Armee aufgebaut. Die meisten Freiwilligenbataillone wurden integriert. Leider nehmen sich einige Kriminelle heraus, sich unter das Banner einer bekannten Organisation zu stellen und Verbrechen zu begehen. Die haben keinen politischen Hintergrund. Die Reaktion des Staates muss genau so aussehen. Sie müssen als Kriminelle betrachtet werden. Aber man darf diese Gefahr auch nicht übertreiben. Wir haben die Lage unter Kontrolle und erlauben nicht, dass die Lage innerhalb des Landes destabilisiert wird.

Sie sprechen über Kriminelle – sagen Sie damit auch, dass Dmitry Jarosch, der Chef des Rechten Sektor, ein Krimineller ist?

Nein. Man kann eine politische Partei haben. So wie Österreich, Frankreich, Finnland, haben auch wir eine radikale Partei. Das ist leider oder zum Glück Teil der Demokratie. Aber wenn diese Parteien bewaffneten Einheiten haben, dann ist das illegal – und diese Leute werden als illegale bewaffnete Gruppen betrachtet – so wie in Österreich, Frankreich oder Finnland.

Sie haben die Armee als effektiv beschrieben. Aber der Krieg wird zunehmend unpopulär, er ist teuer, die Rekrutierung ist problematisch. Wieso trennen Sie den Donbass nicht einfach ab?

Erstens: Wir haben eine effektive Armee und wir haben kein Problem mit der Anzahl der Soldaten. Der Donbass ist ukrainisches Gebiet auf dem ukrainische Bürger leben, die unter dem Druck von Truppen leben, die mein Land okkupiert haben. Zwei Dinge müssen passieren: Der Abzug ausländischer Truppen und die Schließung der Grenze. Wir Ukrainer, haben keine Probleme, einen Kompromiss untereinander zu finden. Das ist kein Konflikt in der Ukraine, das ist eine Aggression gegen die Ukraine. 9000 russische Soldaten mit den modernsten Waffen haben mein Territorium okkupiert. 60.000 russische Soldaten haben die Krim okkupiert. Das ist ein massiver Bruch internationalen Rechts und unmöglich auch nur einen kleines Territorium herzugeben.

Was denken Sie, wie weit wird Putin gehen?

So weit wie wir es ihm erlauben – das gilt nicht für die Ukraine sondern für die ganze Welt. Ist es möglich, dass er Finnland angreift: Ja. Dass er die baltischen Staaten angreift: Ja. Die Staaten des Schwarzen Meeres: Ja. Wir kämpfen im Osten nicht nur für die Unabhängigkeit unseres Landes sondern für Demokratie, die Freiheit die Sicherheit Europas.

Unterstützt die EU da genug? Von Schengen ist keine Rede mehr. Auch nicht von der EU-Mission in der Ostukraine.

Erstens: Wir brauchen europäische Solidarität mit der Ukraine. Und wir haben sie. Da bin ich sicher. Zweitens: Wir brauchen transatlantische Einheit. Drittens: Unterstützung für die Reformen – auch finanzielle Unterstützung. Viertens: Mechanismen, den Aggressor zu zwingen, Verpflichtungen einzuhalten – Sanktionen als Motivation, sich an Verpflichtungen zu halten. Fünftens: Effektive Koordination bei der Umsetzung des Minsk-Abkommens. Was bedeutet das, Frieden zu schaffen? Das Parlament hat dem Sonderstatus der Regionen Donezk und Lugansk zugestimmt, der Dezentralisierung. Wir arbeiten an der Vorbereitung von Wahlen. Wie haben eine Arbeitsgruppe, die sich um soziale Fragen kümmert, und was die Freilassung von Geiseln angeht. Aber Russland und Russland-unterstützte Terroristen, setzen nichts um. Dazu braucht es EU-Friedenstruppen.

Sie persönlich waren nicht immer in der Politik: Sie waren, sind Unternehmer?

Nein

Anders gefragt: Hat es denn Vorteile für Unternehmer, Ihnen nahe zu stehen?

Nein. Um ganz klar zu sein. Es ist ganz normal, dass reiche Menschen die Möglichkeit haben, sich in der Politik engagieren zu können. Und das hier ist mein freiwilliger Schritt, mich von meinen Unternehmen zu distanzieren. Es ist schwierig, während des Krieges Anteile zu verkaufen. Wir haben einen Deal mit renommierten westlichen Investmentfirmen, die meine Anteile verwalten. Ich denke, das ist ein zivilisierter Mechanismus. Und ich stelle klar, dass kein Schritt von mir als Präsident mit Aktivitäten meines Eigentums in Verbindung steht.

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