Der Aufstand der Händchenhalter

Der Aufstand der Händchenhalter
Reportage: Die Wahl kümmert die Jugend des Landes kaum. Sie wollen mehr Freiheit – oder einfach fort.

Die Präsidentenwahl hin oder her, Politik interessiert Farough und seine Freunde einfach nicht mehr. „Ständig mischt sich diese Politik überall in mein Leben ein“, ärgert sich der 23-jährige Student: „Ich kann keine Party machen, keine Ausstellung, nichts, ohne dass ich mich hundert Mal anmelden muss und ständig kontrolliert werde.“ Doch das ist nur einer der Gründe, warum der angehende Bauingenieur an diesem Vormittag vor der deutschen Botschaft in Teheran Schlange steht. Er und seine Freunde – Physiker, Mathematiker, Informatiker sind darunter – wollen weg, und Deutschland ist derzeit das westliche Land, bei dem junge Iraner die besten Chancen auf ein Visum und einen Studienplatz haben.

No Future

Jeder dritte Junge aus dem Mullah-Staat spielt ernsthaft mit dem Gedanken, seine Heimat zu verlassen – und das in einer Gesellschaft, in der mehr als 60 Prozent unter 30 sind. Es sind die gut ausgebildeten, urbanen Iraner, die gehen, einfach, wie es Nariz, eine Englischlehrerin aus Isfahan, ganz simpel deutlich macht, „weil wir eine Zukunft haben wollen“.

Und die kann ihnen dieses Land immer weniger bieten. Die Sanktionen des Westens haben die chronische Wirtschaftskrise weiter verschärft. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt offiziell bei 20 Prozent, die realistische Zahl ist weit darüber.

Mehr als 30 Jahre nach der Islamischen Revolution, sind bei den meisten die Träume von einer Reform des Mullah-Regimes verflogen. Dass ältere Iraner auf Hashemi Rafsandjani, den 76-jährigen millionenschweren Ayatollah, als Präsidenten setzen und von ihm mehr politische und gesellschaftliche Freiheiten erhoffen, darüber können viele Junge nur bitter scherzen. „Ein 76-jähriger schwerreicher Geistlicher. So einem wollte ich schon immer meine Sorgen anvertrauen“, will Saeed beim Plaudern in einem Teheraner Teehaus von derartigen Aussichten nichts wissen.

Kleines Stück Freiheit

Die Teehäuser, das ist ein kleines Stück alltäglicher Freiheit, das sich junge Iraner geschaffen haben. Hier trifft man sich zum Rauchen der Shisha, der Wasserpfeife, zum Teetrinken und einfach, um einmal locker und entspannt beieinanderzusitzen: Burschen und Mädchen gemeinsam.

Keine Alltäglichkeit in diesem Land, wo die Behörden das Zusammentreffen der Geschlechter überall mit Argwohn verfolgen. In den öffentlichen Parks, wo Pärchen die angenehme Frühlingssonne genießen, sind regelmäßig Polizisten oder Vertreter der Revolutionsgarden als Sittenwächter unterwegs.

Doch auch wenn die meist in Zivil auftreten, die Jugendlichen sind viel zu erfahren im Umgang mit dem Sitten-Diktat des Regimes, um nicht zu wissen, mit wem sie es da zu tun haben. Sobald die üblichen Verdächtigen durch den Park streifen, rücken die Pärchen ein Stück auseinander, werden die Kopftücher der Mädchen wieder ein paar Zentimeter tiefer in die Stirn gezogen.

Kleine Rebellion

Manche Jugendliche aber nehmen die Herausforderung inzwischen an. „Ich lass mir das Händchenhalten mit meiner Freundin nicht verbieten“, macht sich ein Parkbesucher in Isfahan stark: „Denen erzählen wir einfach, dass wir schon verlobt sind.“ Solche kleinen Rebellionen können allerdings auch übel ausgehen, immer wieder passiert es Mädchen, dass sie von den Sittenwächtern Prügel kassieren.

Doch im Allgemeinen hält sich Ahmadinejads Regime – bei aller radikalen Rhetorik – mit öffentlicher Gewalt zurück. Da versucht man lieber, mit neuen bürokratischen Hindernissen den Freiheitsdrang der Jugendlichen auszubremsen. In Städten wie Isfahan und Shiraz sperren die lokalen Behörden immer häufiger Teehäuser zu. Einen Vorwand, irgendeine vernachlässigte Vorschrift findet sich immer, um wieder einen dieser Treffpunkte stillzulegen.

Die Jungen reagieren darauf mit einem noch konsequenteren Rückzug ins Private. Wer als Gast im Iran die Chance bekommt, bei einer bürgerlichen Familie in einer Großstadt eingeladen zu werden, darf erleben, wie sich gleich hinter der Wohnungstür ein ganz anderes Lebensgefühl verbirgt. Ein Whiskey, den der Vater aus der Tiefe der Wohnzimmer-Vitrine herausholt, die Sammlung westlicher Popsongs in ihrem MP3-Player, die die Tochter unbedingt zur Gänze vorspielen will: All das wird dem Gast aus dem Westen mit Stolz präsentiert, ganz so wie das Wissen über deutsche Literatur oder das Salzburger Mozarthaus, auch wenn man das bisher nur aus dem Bildband kennt. Bürgerliche Iraner haben sich immer mit Europa verbunden gefühlt, und sie versuchen fast verzweifelt, diese Verbindung auch nach 30 Jahren unter den Mullahs aufrechtzuerhalten.

Sex und Partys

In der Privatsphäre vieler Jugendlicher geht es aber nicht nur um Mozart und einen gut gehüteten Whiskey. Die Partys in den nobleren Vierteln im Norden von Teheran sind berüchtigt. „Klar hab ich eine Freundin, und ich hab auch Sex“, vertraut ein junger Mann in einem Fast-Food-Restaurant ungefragt dem Gast aus dem Westen an. Dass er das trotzdem nur halblaut und nach dreimaligem Um-sich-Blicken tut, macht auch ohne viele Worte klar, dass man ständig aufpassen muss, damit das Privatleben auch privat bleibt. Und genau davon haben Farough und seine Freunde vor der Botschaft genug: „Ich will einfach mein Leben leben, und ich seh’ nicht mehr ein, warum ich das nicht darf.“

Twitter, Facebook und YouTube galten nach den Wahlen 2009 als Revier der Protestbewegung. Jener jungen Iraner, die gegen den angeblichen Wahlbetrug der Konservativen demonstrierten. Dort formierten sie sich, dort verbreiteten sie Bilder von Verletzten und Toten, dort machten sie die Welt auf die Gewalt aufmerksam, die von den Mächtigen im Land ausging.

Seitdem sind die sozialen Netzwerke im Iran blockiert. Doch – und das weiß jeder – man kann sie immer aufrufen, wenn man die Internetsperre umgeht. So macht das auch einer der Kandidaten, die dem Ayatollah Ali Khamenei nahestehen. Mit dem Hashtag #WhyVote4Jalili meldet sich seit einigen Tagen der erzkonservative iranische Atom-Unterhändler Said Dschalili zu Wort. Auch der Oberste Geistliche Führer Khamenei hat ein Twitter-Konto. Ob die jungen Iraner so für die Wahlen mobilisiert werden, bleibt dahingestellt.

Geht man nach einem Teil der iranischen Medien, dann kommt es bei der Präsidentschaftswahl am 14. Juni zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ex-Präsident Ali Akbar Hashemi Rafsandjani und Esfandiar Rahim Mashaei, einem Günstling von Staatschef Ahmadinejad. Aber auch die von Khamenei unterstützten Kandidaten werden mitmischen: Ex-Außenminister Ali Velayati, der Teheraner Bürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf und Dschalili.

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