Nationalität der Istanbul-Attentäter geklärt

Trauer in Istanbul nach dem Anschlag auf den Atatürk Flughafen
Die Attentäter vom Atatürk-Flughafen stammten aus Usbekistan, Kirgisistan und Dagestan. Nach dem Anschlag mit mindestens 42 Toten wurden Razzien in mehreren Stadtvierteln Istanbuls durchgeführt.

Bei den Selbstmordattentätern am Atatürk-Flughafen in Istanbul hat es sich um einen Usbeken, einen Kirgisen und einen russischen Staatsbürger gehandelt. Das wurde am Donnerstag aus türkischen Regierungskreisen bestätigt. Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, der russische Staatsbürger stamme aus der Region Dagestan. Die türkische Regierung verdächtigt die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), hinter dem Angriff vom Dienstagabend mit insgesamt mindestens 45 Toten zu stecken.

Die Regierung in Moskau bestätigte einen Attentäter mit russischer Staatsbürgerschaft zunächst nicht. „Wir haben keine Informationen über die mögliche Beteiligung eines russischen Staatsbürgers“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Usbekistan, Kirgisistan und Dagestan sind überwiegend muslimisch und gehörten einst zur Sowjetunion. Zahlreiche Extremisten aus dem Kaukasus und aus Zentralasien haben sich dem IS in Syrien und im Irak angeschlossen.

Festnahmen

Nach dem verheerenden Terrorangriff auf den Atatürk-Flughafen in Istanbul mit Dutzenden Toten sind in der Türkei 13 Verdächtige festgenommen worden. Darunter seien drei Ausländer, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag. Die Polizei habe die Razzien an 16 verschiedenen Adressen durchgeführt.

Sondereinsatzkommandos hätten in einigen armen Stadtvierteln Istanbuls zugegriffen, darunter in Pendik, Basaksehir und Sultanbeyli, berichtete die Agentur Anadolu am Donnerstag, ohne Quellen zu nennen. Ob es einen direkten Zusammenhang zwischen den Anschlägen von Dienstag und diesen Razzien gab, war zunächst unklar.

Die türkische Regierung vermutet die Miliz "Islamischer Staat" (IS) hinter dem Anschlag. Der IS bekannte sich zunächst nicht zu der Tat. Die Zahl der Todesopfer stieg unterdessen auf mindestens 42. Mindestens 239 Menschen wurden verletzt. Österreicher waren nach derzeitigem Wissen nicht darunter.

In Izmir wurden der Agentur zufolge zudem neun mutmaßliche Extremisten festgenommen, die Kontakte zu IS-Mitgliedern in Syrien gehabt haben sollen. Ihnen werde vorgeworfen, sie hätten den IS finanziell unterstützt, Mitglieder angeworben und logistische Unterstützung geleistet.

Russischer EM-Teilnehmer entging Anschlag knapp

Weiters wurde bekannt, dass der russische Fußball-Nationalspieler und ehemalige Bundesliga-Profi Roman Neustädter dem verheerenden Terroranschlag in der türkischen Metropole knapp entgangen ist.
Laut der Zeitung Hürriyet kam Neustädter am Dienstagabend für Verhandlungen mit dem türkischen Spitzenclub Fenerbahce nach Istanbul und landete am Atatürk-Flughafen.

Nationalität der Istanbul-Attentäter geklärt
Russia's midfielder Roman Neustaedter answers journalists' questions after a training session in Croissy-sur-Seine, outside Paris, on June 9, 2016, on the eve of the beginning of the Euro 2016 football tournament. / AFP PHOTO / MARTIN BUREAU

Ablauf des Anschlags

Einer der drei Selbstmordattentäter ist nach Angaben aus Regierungskreisen doch in die Abflughalle des Internationalen Terminals gelangt. Der erste Attentäter habe sich an der Sicherheitskontrolle im Eingangsbereich in die Luft gesprengt.

Er habe damit Chaos ausgelöst, sodass der zweite Attentäter ins Gebäude gelangen und seinen Sprengsatz in der Abflughalle im ersten Stock zünden konnte, hieß es am Mittwochabend aus Regierungskreisen. Ein dritter Attentäter sprengte sich demnach anschließend draußen vor dem Gebäude in die Luft. Mutmaßlich habe er damit fliehende Menschen treffen wollen.

Zunächst hatte es aus Regierungskreisen geheißen, keiner der drei Angreifer habe die Sicherheitsschleusen zum internationalen Terminal passiert. Augenzeugenberichte und Videos in sozialen Medien hatten jedoch früh darauf hingedeutet, dass mindestens ein Angreifer in den Innenbereich gelangte.

Erdogan: "Das sollen Muslime sein?"

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat den Selbstmordattentätern vom Istanbuler Atatürk-Flughafen jegliche religiöse Rechtfertigung für die Bluttat abgesprochen. "Das sollen Muslime sein?", fragte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwochabend. "Sie haben ihren Platz in der Hölle vorbereitet."

Der Präsident verwies bei einem Fastenbrechen in Ankara auf Sure 5 im Koran, wonach das Töten eines unschuldigen Menschen dem Töten der gesamten Menschheit gleichkommt. Erdogan bedankte sich bei Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, die der Türkei kondoliert hatten.

Independent (London):

"Der mörderische Terroranschlag des 'Islamischen Staates' (IS) auf den Atatürk-Airport zeigt, dass es größere Krisen in den internationalen Angelegenheiten gibt als den Austritt Großbritanniens aus der EU. Es wäre natürlich rein akademisch zu überlegen, wo die Türkei heute stehen würde, wenn man ihr nach dem Antrag auf Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft 1961 irgendwann eine Art Mitgliedschaft gewährt hätte.

Was wir hingegen sicher wissen, ist, dass die Türkei sich auf einem gefährlichen Weg befindet. Gefährlich, denn ihre Sicherheit wird bedroht von Terrorismus und Separatismus, während ihr hart erkämpfter Säkularismus und ihre - gemessen an den regionalen Standards - demokratische und liberale Gesellschaft durch eine in wachsendem Maße autoritäre Regierung gefährdet wird, die geneigt ist, militante Islamisten zu beschwichtigen. (...)

Die Türkei ist zwar eine regionale Supermacht, doch ihre Streitkräfte sind nicht auf einen asymmetrischen Krieg eingestellt, wie ihn der IS führt. Der IS mag in Syrien und im Irak einige schwere Niederlagen erlitten haben, doch er ist nicht zusammengebrochen und es sieht auch nicht danach aus, dass er dies bald tut."

Neue Zürcher Zeitung:

"Nach Regierungsangaben deutet alles auf den 'Islamischen Staat' (IS) als Urheber des Anschlags hin. Zu erwähnen, dass auch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) dahinterstecken könnte, verkniff man sich diesmal. Doch erschöpfen sich damit die Fragen nicht: Wie konnte es den Attentätern gelingen, mit Waffen in das Gebäude zu gelangen? Wer übernimmt Verantwortung? Wie steht es um den Anti-Terror-Kampf der Regierung? Warum verkündet der Justizminister, wie viele der Extremisten verhaftet, aber nicht, wie viele wieder auf freien Fuß gesetzt wurden?

Natürlich braucht die Türkei jetzt Beistand und Solidarität, keine Häme. Dem Schrecken vom Brüsseler Flughafen, wo sich am 22. März IS-Leute in die Luft sprengten, steht der 28. Juni in nichts nach. Warum hält sich die globale Teilnahme trotzdem in Grenzen? Über 200 Zivilisten kamen durch Anschläge allein in Istanbul und Ankara seit vergangenem Herbst ums Leben. Hinzu kommen die ungezählten Toten im Kurdenkonflikt. Doch der Terror ist eben nicht nur eine Heimsuchung, er resultiert auch aus politischen Fehlern, die sich die AKP-Regierung bis heute nicht eingestehen will. Wenn sie stattdessen nur martialische Parolen verkündet und den Verdacht nährt, aus der Angst noch Kapital zu schlagen, ist ihr kaum zu helfen."

Dernieres Nouvelles d'Alsace (Straßburg):

"(Der türkische Präsident Recep Tayyip) Erdogan war lange Zeit von zwei Gedanken besessen: die Kurden zu vernichten und (den syrischen Präsidenten) Bashar al-Assad zu Fall zu bringen. Dabei ist er das Risiko eingegangen, den Kontakt zu den Jihadisten zu suchen. Durch seine Annäherung an Russland jedoch ändert er seine Strategie, was ihn dazu führen sollte, sich klarer zum Kampf gegen den 'Islamischen Staat' zu stellen. Er hat keine andere Wahl mehr. Die Terrororganisation zwingt ihn dazu."

La Presse de la Manche (Cherbourg-Octeville):

"Erdogan muss sich nun endgültig für ein Lager entscheiden und damit aufhören, mit kurzfristigen Strategien zu spielen. Man muss nicht das Format eines großen Politikers haben, um ein Diktator zu sein. Wir haben gesehen, welches Unheil ein kleiner österreichischer Maler (Adolf Hitler, Anm.) im 20. Jahrhundert angerichtet hat. Es ist leichter, prächtige Paläste zu erbauen und die Welt zu täuschen, als ein Staatsmann zu sein, der Frieden schafft.

Hospodarske noviny (Prag):

"Der Flughafen in Istanbul ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Drehkreuze für Reisen von Europa nach Asien geworden. Der Angriff der militanten Terroristen - nach allem, was wir wissen, blutrünstige Verbrecher des Islamischen Staates - war uns geografisch näher, als wir uns eingestehen wollen. Der Terrorismus zielt auf Flughäfen und Flugzeuge, weil sie Weltoffenheit, Prosperität und westlichen Lebensstil symbolisieren. Israel reagiert auf die Gefahr anders als andere Staaten: Beim Betreten des Flughafens in Tel Aviv werden die Passagiere von Sicherheitskräften befragt, um diejenigen zu erkennen, die eine terroristische Gefahr darstellen. Man nennt diese Methode 'profiling' und sie ist kein ganz koscheres Vorgehen. Doch es funktioniert. Ist das vielleicht der richtige Weg?"

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