"Lieber einmal zu viel schauen"

Einschussloch im Eingangsglas der Synagoge in Jerusalem, in der zwei Palästinenser fünf Israelis töteten und dann selbst erschossen wurden.
Hochspannung nach Palästinenser-Attentaten; Regierung zürnt USA und Europa.

Es ist friedlich, vielleicht zu friedlich in den Straßen von Jerusalems Altstadt. Zwei Tage, nachdem palästinensische Terroristen in einer Synagoge unweit des touristischen Zentrums fünf Menschen ermordet haben, stehen Polizei und Militär schwer bewaffnet, aber ziemlich entspannt an jeder Ecke. Die befürchteten gewaltsamen Proteste radikaler Juden oder Araber, die noch Tage zuvor die Altstadt beherrscht haben, sind zunächst ausgeblieben.

Sogar rund um Klagemauer und Tempelberg, in den vergangenen Wochen Brennpunkt brutaler Zusammenstöße, verläuft alles ruhig. Die Touristen aber machen sich merklich rar, und so bleibt den arabischen Straßenhändlern Zeit, um über das ausbleibende Geschäft und die Radikalen aus den eigenen Reihen zu schimpfen, die doch nur die Fremden vertreiben würden.

In den jüdischen Stadtvierteln allerdings sieht man diese Radikalen nicht nur geschäftlich. Die Angst vor neuerlichen Attentaten, vor allem fanatischer Einzeltäter, geht um. Solche "einsamen Wölfe", erklärt ein junger Israeli, seien auch durch die besten Sicherheitskräfte nicht in den Griff zu bekommen. "Da schau ich mich lieber auf der Straße einmal zu viel um."

Diese ängstliche Grundstimmung kippt allerdings bei jeder Gelegenheit in Paranoia. In Israels sozialen Netzwerken, aber auch in den Medien kocht seit Tagen die Debatte über eine Schlagzeile hoch, die der US-Nachrichtensender CNN unmittelbar nach dem Attentat auf die Synagoge über den Bildschirm jagte. "Vier Juden und zwei Palästinenser getötet" stand dort Mittwoch früh für einige Minuten. Für viele Israelis nicht zufällig, sondern Ausdruck der Grundstimmung, die in den USA und noch mehr in Europa seit dem Krieg im Gazastreifen vor wenigen Monaten herrsche. Man fühlt sich ungerecht als Kriegstreiber und Mörder von Zivilisten beschuldigt, wo man sich doch nur gegen die ständigen Raketenangriffe der radikalen Hamas gewehrt habe. "Die europäische Öffentlichkeit hat völlig die palästinensische Version der ganzen Geschichte übernommen", meint etwa Mark Regev, Sprecher von Premier Benjamin Netanyahu, zum KURIER: "Man kritisiert Israel, anstatt auch die Palästinenser einmal unter Druck zu setzen." Europa, so drastisch formuliert es ein anderes hochrangiges Mitglied der Regierung, "hat uns verraten. Immer, wenn die Dinge ernst werden, kritisiert man uns, anstatt uns zu unterstützen."

Sicherheit geht vor

Dem Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern würde das nur schaden. Denn wenn man der palästinensischen Seite ständig signalisiere, dass man auch deren maximalen Forderungen akzeptieren würde, würde die an Kompromisse und sinnvolle Verhandlungen gar nicht mehr denken. Doch sinnvolle Verhandlungen mit den Palästinensern hält man in Israels Rechtsregierung derzeit ohnehin für ausgeschlossen. Man hat sich hinter dem Spruch "Sicherheit für die Bürger geht vor" eingemauert und spekuliert hinter den Kulissen eher mit neuen Waffengängen als mit einer Aussicht auf Frieden. Die Hamas im Gazastreifen rüste schon wieder auf.

"Ein Albtraum", nennt Yuval Steinitz, Geheimdienst-Minister und einer der engsten Vertrauten des Premiers, die Situation dort. Bis heute habe man mit den Folgen von Israels Abzug aus dem Gazastreifen zu kämpfen. Daher komme der Abzug aus dem Westjordanland auf längere Sicht nicht infrage: "Damit dort El Kaida und andere Terroristen in ein paar Jahren regieren? Da kann man Israel gleich auffordern, Selbstmord zu begehen."

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