Ariel Sharons Zustand weiterhin kritisch

Keine Besserung: Der frühere Ministerpräsident Israels schwebt in Lebensgefahr.

Der frühere Ministerpräsident Israels, Ariel Scharon, schwebt nach Angaben eines Krankenhausleiters weiter in Lebensgefahr. "Der Zustand ist kritisch", sagte Professor Zeew Rothstein am Donnerstag vor Journalisten im Krankenhaus Tel Haschomer bei Tel Aviv. Scharon war vor acht Jahren nach einem schweren Schlaganfall ins Koma gefallen. Nun droht ein multiples Organversagen.

In den letzten Tagen habe sich sein Zustand dramatisch verschlechtert, sagte Rothstein. Lebenswichtige Organe funktionierten nicht mehr richtig. Er könne aber keine Prognose über Scharons Überlebenschancen abgeben. "Ich bin kein Prophet."

Keine Dialyse

"Arik (Scharons Spitzname) ist ein robuster Mann", sagte Rothstein. "Er hat schon schlimme Zustände überlebt." Scharons Familie sei bei ihm am Krankenbett. Er dementierte Berichte, denen zufolge der 85-Jährige wegen Nierenversagens eine Dialysebehandlung bekomme. "Es gibt Schäden an mehreren Organen", sagte er. Scharon werde medikamentös behandelt. Zuletzt habe er auch mehrere Infektionen erlitten, die seinen Zustand noch verschlechtert hätten.

Scharon war von 2001 an fünf Jahre lang Israels Ministerpräsident gewesen. Der in Israel als Kriegsheld verehrte Politiker hatte 2005 den einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen durchgesetzt. Nach Streit mit den alten Weggefährten verließ Scharon den 1973 von ihm mitbegründeten rechtsorientierten Likud-Block und gründete im November 2005 die Partei der Mitte Kadima. Scharon war am 4. Jänner 2006 nach einem Schlaganfall ins Koma gefallen und wird künstlich am Leben gehalten. Er wird im Shiva-Zentrum des Krankenhauses Tel Hashomer bei Tel Aviv behandelt.

Ariel Sharon hat viele Wandlungen in seinem Leben vollzogen. Vom Bauern wurde er zum Soldaten, vom gefeierten Kriegshelden zum Friedenspolitiker. Nachdem er jahrzehntelang die israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten gefördert hatte, entschied er als erster Ministerpräsident, einen Teil der Siedlungen wieder aufzugeben. Sharon prägte den Konflikt von Beginn an und war an fünf Kriegen beteiligt. Einmal wurde er als Retter gefeiert, dann wieder als Schande der Nation angeprangert. Sein Leben war voller Überraschungen, von denen eine der größten die Wahl zum Ministerpräsidenten im Jahr 2001 war. Sharon war damals schon 73 Jahre alt. Seine erste Amtszeit war von der Niederschlagung des palästinensischen Aufstandes geprägt, die zweite vom Rückzug aus dem Gaza-Streifen.

Nun stand er abermals am Scheideweg: Im November 2005 verließ er den konservativen Likud-Block, zu dessen Gründungsmitgliedern er zählt. Doch einen Frieden mit den Palästinensern und eine Festlegung der endgültigen Grenzen des Staates schien ihm nur mit einer neuen, moderateren Partei durchsetzbar. Deswegen scharte er seine engsten Anhänger um sich und gründete mit ihnen die neue Partei Kadima (Vorwärts). Bei der Parlamentswahl schien ihr der Sieg sicher, doch Sharons Schlaganfall machte im Dezember 2005 Chancen, dass der "Bulldozer" noch einmal auf die politische Bühne zurückzukehren könne, zunichte.

Der Mann, den sie Bulldozer nannten

Der Mann, der in Israel "Arik" genannt wird, gilt als einer der charismatischsten und zugleich umstrittensten Politiker Israels. Er erwarb sich früh den Ruf, ein militärisches Genie zu sein. Als Soldat bestach er durch eine kühne Taktik, mitunter setzte er sich dabei auch über Befehle hinweg. Als Politiker wurde er als "der Bulldozer" von seinen Gegnern gefürchtet - auch vom langjährigen palästinensischen Präsidenten Yasser Arafat, den er jahrelang in Ramallah festsetzen ließ. Seine Unnachgiebigkeit zeigte er aber auch beim Gaza-Rückzug, den er gegen erbitterten Widerstand seiner eigenen Partei durchsetzte. Beim Bau des Sperrwalls im Westjordanland wiederum ließ er sich auch durch starke internationale Kritik nicht vom Kurs abbringen.

Dafür musste er in Kauf nehmen, dass all diese Projekte auch höchst umstritten sind. So betrachten die Palästinenser die Sperranlage aus bis zu neun Meter hohen Betonquadern - deren Verlauf vom Internationalen Gerichtshof als völkerrechtswidrig eingestuft worden ist - als Landnahme und nicht als Versuch, Selbstmordattentäter abzuwehren. Die Räumung des Gaza-Streifens sehen sie als perfiden Versuch, den Anspruch auf weite Teile des Westjordanlandes zu festigen. Ihr Argwohn gründet sich auf Erfahrungen aus den frühen 80er Jahren. 1982 befehligte Sharon den israelischen Einmarsch in den Libanon, der zu Massakern an palästinensischen Flüchtlingen durch libanesische Verbündete Israels führte.

Für immer mit Sabra und Shatila behaftet

Sharon kam am 27. Februar 1928 als Kind russischer Einwanderer in der Bauerngemeinde Kfar Malal 15 Kilometer nördlich von Tel Aviv zur Welt. Schon mit 14 Jahren kämpfte er für einen israelischen Staat. Seinen größten Ruhm erzielte er durch einen kühnen Vorstoß über den Suez-Kanal im Jahr 1973. Die Operation trug erheblich dazu beitrug, dass sich das Blatt des Nahost-Krieges wendete. Den Tiefpunkt seiner Karriere bilden die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila in Beirut, die er als Verteidigungsminister zu verantworten hatte.

Nicht zuletzt durch die populäre Unterstützung der Siedlerbewegung erwarb er sich seinen Ruf zurück und saß bald wieder im Kabinett. Nach der Niederlage des Likud bei der Wahl 1999 blieb Sharon Parlamentsabgeordneter, ohne Ministeramt konnte er aber auch mehr Zeit auf seiner Schaffarm im Süden der Negev-Wüste verbringen. Doch als die Palästinenser nach den gescheiterten Friedensverhandlungen von Camp David die zweite Intifada ausriefen, kam erneut die Stunde des Bulldozers.

Der Gang zum Tempelberg

Der zweifache Witwer erreichte einen überraschenden Wahlsieg, indem er durch einen Besuch des auch den Muslimen heiligen Tempelberges in Jerusalem Öl ins Feuer des Konfliktes goss. Erst in seiner zweiten Amtszeit schien sich der einstige "Hardliner" zu wandeln, und eine historische Mission erfüllen zu wollen: Er bekannte sich zu einem palästinensischen Staat und bezeichnete die israelische Kontrolle über das Westjordanland und den Gaza-Streifen als Besatzung - ein Wort, das er bis dahin nie gebraucht hatte.

Ariel Sharon, der auf dem Zenit seiner Karriere einen schweren Schlaganfall erlitten hat und seither im Koma liegt, hat eine eindrucksvolle Laufbahn als Offizier und Politiker hinter sich. Mit 38 Jahren General, bekleidete er zahlreiche Ministerämter, bevor er Oppositionsführer und Regierungschef wurde.

Die wichtigsten Lebensdaten:

1928: Geburt in Kfar Malal nördlich von Tel Aviv. Die Eltern mit dem Namen Scheinermann ("schöner Mann") stammten aus Weißrussland.

1945: Beitritt zur jüdischen Untergrundorganisation Haganah ("Selbstschutz"), die gegen die britische Mandatsmacht kämpft.

1948: Teilnahme am ersten israelisch-arabischen Krieg, er wird mehrfach ausgezeichnet.

1953: Gründung der berüchtigten Kommando-Einheit "101". Operationen in Jordanien (u.a. Überfall auf die Ortschaft Qibya, Zerstörung von 40 Häusern, 69 Tote, mehr als die Hälfte davon Frauen und Kinder).

1956: Befehlshaber einer Fallschirmjäger-Einheit im Sinai-Krieg.

1957: Studienaufenthalt an britischer Generalstabsakademie.

1966: Ernennung zum Divisionsgeneral.

1967: Teilnahme als Kommandant einer Panzerdivision am Sechs-Tage-Krieg; er wird als Kriegsheld gefeiert.

1973: Ausscheiden aus dem aktiven Militärdienst. Beginn der Politikerlaufbahn in den Reihen der Opposition.

1977: Wahl in die Knesset auf der Liste des rechtsgerichteten Likud-Blocks. Ernennung zum Landwirtschaftsminister mit der Zuständigkeit für den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten im Kabinett von Likud-Premier Menachem Begin.

1981: Übernahme des Verteidigungsministeriums.

1982: Libanon-Invasion: Mit Israel verbündete christliche Falange-Milizen richten ein Blutbad in Beiruter Palästinenser-Flüchtlingslagern Sabra und Shatila mit über 1500 Toten an. Israelische Untersuchungskommission und Oberster Gerichtshof bestätigen Sharons Mitschuld.

1983: Erzwungener Rücktritt als Verteidigungsminister.

1984: Rückkehr in die Regierung als Handels- und Industrieminister.

1990: Wohnungsbau- und Siedlungsminister (bis zum Wahlsieg der Arbeiterpartei unter Yitzhak Rabin 1992).

1996: Infrastrukturminister mit "Superressort" in der Regierung von Likud-Premier Benjamin Netanyahu. 1998: Übernahme des Außenministeriums.

1999: Wahl zum Likud-Vorsitzenden und Oppositionsführer nach Regierungsübernahme der Arbeiterpartei unter Premier Ehud Barak.

2000: Als Oppositionschef demonstrativer Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg, der von den Palästinensern als Provokation empfunden wird. Für die Muslime ist der Tempelberg das drittwichtigste Heiligtum nach Mekka und Medina. Ausbruch der zweiten Intifada ("Al-Aksa-Intifada").

2001: Wahl zum Ministerpräsidenten als Nachfolger von Ehud Barak. Belagerung des Hauptquartiers des palästinensischen Präsidenten Yasser Arafat in Ramallah.

2003: Bestätigung im Amt nach Likud-Sieg bei Knesset-Wahlen. Akaba-Gipfel mit palästinensischem Premier Mahmoud Abbas und US-Präsident George W. Bush (4. Juni). Zustimmung zum internationalen Friedens-Fahrplan (Roadmap) unter Vorbehalt.

2005: Bildung einer Koalition mit der Arbeitspartei, um den Gaza-Abzugsplan im Parlament durchbringen zu können. Räumung der Siedlungen und militärischer Rückzug aus dem Gaza-Streifen. Trennung vom Likud und Gründung einer neuen Partei "Kadima", der sich auch der frühere Vorsitzende der Arbeitspartei, Shimon Peres, anschließt.

Kommentare