Islamisten wollten Richter entführen und enthaupten

Einsatzkommando im ostbelgischen Vevier.
Großeinsatz gegen den Terror in Belgien. Attentat durch radikalisierte Syrien-Heimkehrer stand laut Polizei "unmittelbar bevor".

Belgien steht unter erhöhter Alarmbereitschaft, für das ganze Land wurde die zweithöchste Terrorwarnstufe ausgerufen: Polizeiwachen wurden verbarrikadiert, manche sind für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich; die jüdischen Schulen in Brüssel und Antwerpen blieben am Freitag geschlossen; Polizisten wurden angewiesen, vorerst nicht mehr alleine auf Streife zu gehen.

Eine Reaktion nicht nur auf Paris, sondern auch auf einen Schlag gegen belgische Terror-Verdächte Donnerstagabend: "Die Aktion von gestern Abend kann immer auch andere Zellen aktivieren. Wir wissen nicht, was die Nebenwirkungen sind", sagte der belgische Innenminister Jan Jambon am Freitag.

Am Donnerstag haben die Sicherheitsbehörden an mehreren Orten – auch in Brüssel – zeitgleich ein Dutzend Razzien in islamistischen Kreisen durchgeführt. Bei einem Zugriff in der Verviers, nahe der Grenze zu Deutschland, wurden zwei Terror-Verdächtige erschossen, ein dritter wurde schwer verletzt und festgenommen. Bei der Zelle in Verviers soll es sich laut belgischer Justiz um radikalisierte Islamisten gehandelt haben, die erst vor Kurzem aus Syrien, wo sie Kontakte zum "Islamischen Staat" (IS) geknüpft hatten, heimkehrten. Insgesamt hat die belgische Polizei am Donnerstag 13 Personen festgenommen; auch in Deutschland gab es zwei Festnahmen.

"Größerer Anschlag"

Die belgischen Ermittler waren bei der Überwachung der mutmaßlichen Terroristen auf Pläne für einen "größeren Anschlag" gestoßen, der "unmittelbar" bevor gestanden habe. Ziele seien vor allem die Polizei und Justiz gewesen. Bei der Operation wurden neben Waffen und Sprengstoff auch Polizeiuniformen und Funkgeräte sichergestellt. Medienberichten zufolge planten die Verdächtigen auch, einen Polizisten oder Richter als Geisel zu nehmen und vor laufender Kamera zu enthaupten.

Einen direkten Zusammenhang zwischen den Verdächtigen in Belgien und den Attentätern in Paris hat die Polizei bisher nicht festgestellt. Wenngleich einer der französischen Attentäter, Amedy Coulibaly (siehe auch unten), eine Verbindung ins Nachbarland hatte: Er hat in den vergangenen Monaten mit einem Mann aus der südbelgischen Stadt Charleroi über den Kauf von Waffen und eines Autos verhandelt; das Geschäft soll aber nicht zustande gekommen sein.

Die belgische Regierung hat am Freitag schärfere Sicherheitsmaßnahmen beschlossen: Das Militär soll öffentliche Plätze und Gebäude schützen, die Telefon-Überwachung von Verdächtigen wird ausgeweitet. Mutmaßlichen Terroristen mit Doppelstaatsbürgerschaft soll die belgische Staatsbürgerschaft entzogen werden können.

Perspektivenlosigkeit

Belgien ist seit Langem mit einem Terror-Problem konfrontiert: Aus keinem anderen EU-Land sind – gemessen an der Bevölkerung – so viele Kämpfer nach Syrien gegangen. Als eine Ursache gilt die Perspektivenlosigkeit junger Muslime mit Migrationshintergrund, die von der hohen Jugendarbeitslosigkeit besonders betroffen sind.

In von Einwanderern geprägten Bezirken Brüssels sind bis zu 50 Prozent der Unter-25-Jährigen ohne Job – etwa im Stadtteil Molenbeek, wo am Donnerstag eine Razzia stattfand. Die Saat für Hass und Radikalisierung werde in den ärmeren Vierteln gesät, sagt Ex-Justizministerin Laurette Onkelinx: "Wenn du verzweifelt bist und keine Zukunft hast, bist du leichte Beute für Hassprediger."

- Am 24. Mai 2014 erschießt der Islamist Mehdi Nemmouche bei einem Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel vier Menschen. Der Täter ist Franzose. Er wird später im südfranzösischen Marseille verhaftet und nach Belgien ausgeliefert. Nemmouche ist bisher nicht verurteilt.

- Aus keinem EU-Land sind hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung so viele Kämpfer in den syrischen Bürgerkrieg gezogen wie aus Belgien. Das berichtete das britische Magazin The Economist im Vorjahr. Nach einer aktuellen Auflistung des Thinktanks Brookings reisten bisher bis zu 650 Kämpfer aus Belgien in das Konfliktland.

- In der Stadt Verviers sollen nach Angaben des belgischen TV-Senders RTL-Info bis zu zehn Syrien-Rückkehrer gelebt haben. Verviers hat etwa 56.000 Einwohner und liegt rund 35 Kilometer südwestlich der deutschen Stadt Aachen.

- Einer der Attentäter von Paris hatte Verbindungen nach Belgien. Ein Mann aus dem südbelgischen Charleroi hatte in den vergangenen Monaten mit Amedy Coulibaly über den Kauf eines Autos und von Waffen verhandelt. Die Polizei habe entsprechende Dokumente bei dem Verdächtigen gefunden, berichteten belgische Medien. Coulibaly hatte am Freitag in einem koscheren Supermarkt in Paris Geiseln genommen und vier Menschen erschossen. Er selbst wurde anschließend von der Polizei getötet.

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