IS 300 Kilometer vor der Grenze – Italien alarmiert

Flüchtlingsansturm, Terrorgefahr: Rom verstärkt Polizeipräsenz und diskutiert Militäreinsatz in Ex-Kolonie.

Die Sicherheitsvorkehrungen rund um den Petersdom wurden verschärft. Die Schweizergardisten – verantwortlich für die Sicherheit im Vatikan – sind angesichts der Terrorgefahr im Dauereinsatz. "Was in Paris geschehen ist, kann auch hier im Vatikan vorkommen. Wir sind jederzeit bereit, zum Schutz des Papstes einzugreifen", erklärte der neue Chef der Schweizergarde, Christoph Graf.

Auch um Touristenmagneten wie das Kolosseum und Pantheon wurde die Polizeipräsenz deutlich erhöht. Das Innenministerium will weitere 4800 Soldaten für die Sicherheit einsetzen. Sie sollen neben Monumenten vor allem den römischen Flughafen und Bahnhöfe bewachen. Italien hat damit unmittelbar auf das rasche Vorrücken der IS-Terrormiliz in Libyen und deren Drohungen reagiert. "Wir stehen bereits südlich von Rom", erklärte ein IS-Sprecher in einem Propaganda-Video. Bereits vor Monaten war schon ein islamistisches Video aufgetaucht, in dem die schwarze IS-Flagge über dem Petersdom wehte. Italien ist aufgrund seiner geografischen Lage besonders exponiert: Libyen liegt nur knapp 300 Kilometer von der süditalienischen Küste entfernt.

Nach dem IS-Vorstoß am Wochenende zeigte sich Premier Matteo Renzi alarmiert. Er ließ die italienische Botschaft in Tripolis schließen – sie war als einzige diplomatische Vertretung noch im Land verblieben. Italienische Geschäftsleute, hauptsächlich vom Energiekonzern Eni, und Botschaftsmitarbeiter wurden per Schiff nach Malta eskortiert und weiter per Flugzeug nach Italien in Sicherheit gebracht.

"Massenexodus"

Das zerfallende Libyen bereitet Renzi seit Monaten Kopfzerbrechen. Vor allem die Auswirkungen auf das Flüchtlingsphänomen werden als dramatisch eingestuft. Italienische Medien sprechen bereits von einem "Massenexodus" von bis zu 200.000 Flüchtlingen Richtung Europa. Abgehörte Telefonate bestätigen, dass IS-Dschihadisten von Geschäften mit Flüchtlingen bedeutend profitieren und noch skrupelloser vorgehen als bisherige Schlepperbanden. IS nützt Immigration als Waffe. Angeblich würden sie im Falle eines Militärangriffs 500.000 Flüchtlinge schicken und neue Tragödien im Meer provozieren. Es wird auch befürchtet, dass sich unter die Migranten IS-Terrorkämpfer mischen könnten. Eine Angst, die vor allem der Lega Nord bei ihrem Anti-Ausländer-Kampf in die Hände spielt.

In einer ersten Reaktion kündigte die italienische Verteidigungsministerin Roberta Pinotti an, Italien wäre zur Entsendung einer "5000 Mann starken Bodentruppe" nach Libyen bereit. Dieser Plan, den Pinotti später zurücknahm, sorgte für große Aufregung. "Das wäre unser Vietnam", warnen Oppositionspolitiker vor einem Militäreinsatz in Libyen. Außenminister Paolo Gentiloni, der sich diese Woche auch mit US-Außenminister John Kerry beriet, plädiert unbedingt für eine "politische Lösung", die rasch gefunden werden müsse, denn die Zeit dränge.

Als Libyen-Vermittler hat sich der frühere Premier und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi angeboten. Er kritisiert, dass der Westen nach Gaddafi zusah, wie das Land in Anarchie versank.

Jeden Tag versinkt das nordafrikanische Land tiefer in Chaos und Gewalt: Zwei feindliche Regierungen bekämpfen einander, zahlreichen schwer bewaffnete Milizen kämpfen um die Macht. Und mitten in dieses Machtvakuum ist seit einigen Monaten auch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) vorgestoßen.

In mehreren Städten Libyens soll es bereits dem IS verpflichtete militante Gruppierungen geben. Im "Kalifat" Darna im Osten des Landes patrouilliert bereits eine "Scharia-Polizei", es ist die erste IS-Enklave in Nordafrika.

Die meisten ausländischen Geschäftsleute und Diplomaten haben Libyen verlassen. Die Letzten gingen, nachdem IS-Milizen vor Kurzem ein Luxus-Hotel in Tripolis gestürmt und neun Menschen getötet hatten. Auf die Ermordung von 21 koptischen Christen durch IS-Kämpfer antwortete Ägypten diese Woche mit Angriffen auf IS-Stellungen in Libyen. Kairo drängt auf einen internationalen Militäreinsatz im Nachbarland. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wollte am Mittwochabend in einer Sondersitzung über die Lage im Bürgerkriegsland beraten.

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