Im Kernland englischer EU-Gegner: "Wir sind eben ein Inselvolk"

Trotzig prangt der Union Jack auf den Strandhütten Südenglands
Mit dem EU-Austritt vor Augen mischt sich unter die Euphorie der euroskeptischen Briten Sorge, aber auch Entschlossenheit. In den ärmlichen Badeorten an Englands Südküste kann man mit harten Zeiten leben.

Das mit dem "Neuen Morgen für Großbritannien" hat Terry wirklich begeistert, an diesem Tag nach dem Referendum, als Nigel Farage, Chef der EU-feindlichen UKIP, die Parole ausgab. Die Begeisterung hat sich inzwischen ein bisschen gelegt, Farage war dem Lkw-Fahrer eigentlich nie sympathisch, und auf den neuen Morgen, das ist Terry jetzt klar, "wird wohl auch eine Dämmerung folgen".

Der werde noch ordentlich weh tun, der EU-Austritt, macht sich der hagere Mittvierziger mit den längst verblassten Tätowierungen, keine Illusionen: "Aber nach ein paar Jahren stehen wir wieder fest auf eigenen Beinen."

Es ist ein typisch englischer Sommertag in Margate, einem Badeort an der Küste Südenglands, der seine besten Zeiten längst hinter sich hat: Viel Wind, ein bisschen Sonne, ein paar Regentropfen und jede Menge Engländer, die in T-Shirt und Badehose dem Wetter am Strand trotzen. Hier ist das Kernland der EU-Gegner Großbritanniens, hier haben vor zwei Tagen fast 70 Prozent der Menschen für "leave" also den EU-Austritt gestimmt. So wie auch Terry, der auf sein "Nein" zur EU nicht nur stolz ist, sondern auch eine bemerkenswert vernünftige Erklärung dafür hat.

"Verein, in dem Geld für Geld arbeitet"

Ständig habe man ihm erzählt, wie wichtig die EU für die Wirtschaft sei, "aber ich bin ein Arbeiter, was hat das mit meinem Leben zu tun". Für ihn, davon ist Terry überzeugt, habe die EU nie etwas getan: "Das ist ein Verein, in dem Geld für Geld arbeitet, und nicht für die Menschen."

Dass die EU-Gegner allesamt Rassisten seien, die nur die Ausländer aus dem Land haben wollten, will der Lkw-Fahrer nicht auf sich sitzen lassen. Da umarmt er fest seine Frau, die aus Indien kommt, und erzählt lachend, dass er sich seine Insel ohne Curry nicht mehr vorstellen könne, "trotzdem müssen wir wieder kontrollieren, wer zu uns kommt, einfach, weil unsere Schulen und unsere Krankenhäuser den Ansturm nicht mehr schaffen".

Um Schulen und Krankenhäuser geht es auch Lisa, die mit ihrer Familie ein paar Meter weiter im Strandcafé sitzt, vor allem aber um die Sozialwohnung, die sie nicht bekommen hat. Fast 1500 Euro zahlt sie für eine winzige Unterkunft, in der sie und ihre zwei Kinder kaum Platz finden. Da gebe es einfach zu viele, die zuerst drankommen, weil sie mehr Kinder hätten, "und das sind keine Briten".

Die Kontrolle wollen sie zurück

Um die aber sollte sich die Regierung zuerst kümmern, ist sich die Familie einig. Dass die meisten Ausländer eigentlich hart arbeiten, geben sie zu, aber da gebe es die anderen, "die nur Sozialhilfe abholen und nichts tun".

Und dann tauchen in den Gesprächen die immer gleichen Figuren auf, die bettelnden rumänischen Roma, die Drogendealer aus Schwarzafrika und die Pakistanis, mit ihren Moscheen, in denen weiß Gott was gepredigt würde. Über all das legt sich ein Grundgefühl, dass etwas außer Kontrolle geraten ist, im eigenen Leben, in dem, das man sich für die Kinder wünscht, im ganzen Land. Wenig überraschend folgt verlässlich die Parole der EU-Gegner aus dem Wahlkampf. "Kontrolle über die eigenen Grenzen" wolle man zurück, einfach weil das überzeugend simpel und logisch klingt.

Ob an all dem jetzt die EU schuld ist oder die eigene Regierung, das können und wollen viele hier in Margate nicht so genau trennen, denn Politiker und das, was sie treiben, scheint ihnen ganz grundsätzlich wenig vertrauenswürdig. Dass man mit dem "Nein" zur EU auch gleich Premierminister David Cameron losgeworden ist, kommentieren viele mit einem grimmigen Lacher. Der "blöde Snob", der noch nie etwas anderes als Oxford und die Nobelclubs von Westminster gesehen habe, der könne sich jetzt wieder dorthin verziehen. Der Rechtspopulist Nigel Farage kommt aus einem ganz simplen Grund besser weg: "Der trinkt wenigstens ein Bier im Pub."

Referendum 1975

In diesen Küstenorten, die sichtlich um jeden Job, um jedes noch nicht vernagelte Geschäftslokal und um ein bisschen wirtschaftliche Zukunft kämpfen, ist London mit seinen Großbanken und seiner Politikerkaste nur eine Stunde mit dem Zug und trotzdem eine Ewigkeit weit weg – und Brüssel noch viel weiter. "Wir sind ein Inselvolk", irgendwann taucht dieser Satz, dieses Grundgefühl in fast jedem Gespräch auf, auch in dem mit Brian und Rodger. Die beiden wuchtigen älteren Herren haben nicht nur diese Woche, sie haben schon 1975 beim ersten britischen EU-Referendum mit "Nein" gestimmt: "Wir hätten damals schon nicht mitmachen sollen."

Dass andere Briten aus ihrer Generation mit Europa immer noch die feindlichen Deutschen verbinden, die doch schon unter Hitler nichts lieber gewollt hätten, als die Insel zu erobern, das ist den beiden Pensionisten doch etwas zu altmodisch. Mit der EU will man trotzdem lieber nicht allzu viel zu tun haben, vor allem nicht mit einer EU, die inzwischen bis nach Rumänien und Bulgarien reicht. "Das war nicht der Deal, als wir damals beigetreten sind. Man hat uns angelogen."

Erinnerung an harte Zeiten

Gerade die englischen Arbeiter, und darauf sind sie stolz, sind es gewohnt, im rauen Wind zu stehen, hier am Strand ganz so wie im täglichen Leben. Männer wie Brian können sich gut daran erinnern, dass sie in den Sechzigerjahren, als erwachsene Männer, noch Lebensmittelkarten nach Hause gebracht haben, und dort nur das Wohnzimmer geheizt war. Wenn die beiden davon reden, dass sie auch harte Zeiten ausgehalten haben, dann glaubt man das gerne. Wenn es darauf ankommt, das ist das Lebensgefühl vieler älterer Briten, dann könne man sich nur auf sich selbst verlassen, nicht auf die Regierung, und schon gar nicht auf das Europa hinter dem Ärmelkanal. Man komme auch ohne die aus, heute wie damals, da sind sich die beiden mit Lkw-Fahrer Terry einig, aber auch darüber, dass der Abschied von diesem Europa wehtun wird, "aber das halten wir auch noch aus".

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