Hongkongs "Regenschirm-Revolution"

Hongkong in Aufruhr: Die Zahl der Demonstranten wächst täglich. Gefordert wird mehr Demokratie
Die massiv anwachsenden Proteste machen Peking nervös. Chinas Regierung warnt vor "Einmischung".

Ein Regenschirm und Mundschutz – das sind die wichtigsten Utensilien, mit denen Tausende Demonstranten dieser Tage durch Hongkongs Straßen ziehen. Der Wald an bunten Schirmen, mit denen sich die Protestierenden gegen die Tränengas- und Pfefferspraywolken der Polizei schützen, gab den Demonstrationen bereits einen Namen: "Regenschirm-Revolution".

Am Anfang waren es die Studenten. Die ganze vergangene Woche waren Tausende von ihnen für das Recht auf freie Wahlen in Hongkong auf die Straße gegangen. Tag für Tag wurden es mehr, Schüler schlossen sich an, Streikende, Gewerkschafter. Seit dem Wochenende ist auch die Protestbewegung "Occupy Central with Love and Peace" dabei. Jetzt sind es nach Angaben der Protestierenden bereits an die 100.000 Menschen, die wichtige Verkehrsadern Hongkongs blockieren, das Finanzzentrum lahmlegen wollen und für die größten Proteste sorgen, seit die ehemalige britische Kronkolonie 1997 an China gefallen ist.

Auslöser der Proteste ist die Anfang September beschlossene Weigerung Chinas, in Hongkong 2017 erstmals freie Wahlen zuzulassen. Demnach werden die Bewohner Hongkongs dann zwar zwischen drei Kandidaten für den Posten des Regierungschefs wählen dürfen – die drei aber will zuvor Peking absegnen, ehe sie überhaupt antreten dürfen. Zudem verlangen die Protestierenden den Rücktritt von Regierungschef Leun Chun-ying.

Dieser erklärte die Proteste sogleich als "illegal", pfiff aber zunächst seine Sonderpolizisten zurück. Doch die Zurückhaltung dürfte nur von kurzer Dauer sein.

Peking grollt

Schon grollt es gefährlich aus Peking: "Hongkong ist Chinas Hongkong", warnte eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums gestern vor Einmischung des Auslands. Nach dem chinesischen Prinzip "ein Land, zwei Systeme" genießt die ehemalige britische Kronkolonie mehr Autonomierechte als jede andere Region Chinas: Es gibt Rede- und Versammlungsfreiheit, eine unabhängige Justiz, man ist autonomes Zoll- und Steuergebiet. Dass Hongkong dennoch weit von echter Demokratie entfernt ist, störte die Mehrheit der Bewohner bisher wenig. Der jüngste Dämpfer aus Peking aber brachte vor allem die junge Elite auf. "Wir bleiben hier! Wir geben nicht auf", riefen Tausende Menschen am Montag, die weiter protestieren wollen.

Nichts deutet allerdings darauf hin, dass Peking die wachsende Unruhe in Hongkong allzu lange dulden wird. Nach nur mühsam unter der Decke gehaltenen Unruhen in der Provinz Xinjiang kann sich Chinas Staatschef Xi Jinping nicht leisten, dass eine der wichtigsten Städte des Landes in eine offene Revolution abdriftet. Entsprechend spürbar ist die Angst unter den Demonstranten in Hongkong. Niemand hier hat vergessen, wie die Studentenproteste vor genau 25 Jahren auf dem Platz des Himmlischen Friedens endeten. Mit Panzern und sehr vielen Toten.

Peking hat unterdessen die Zensur ausgeweitet - man hat Instagram wegen der Proteste blockiert. Mehr dazu bei der Futurezone.

Bilder: Hongkong begehrt auf

Die von Peking verweigerte Wahlreform und die folgenden Massenproteste haben Hongkong in die schwerste politische Krise seit 1997 gestürzt. Damals gab Großbritannien seine langjährige Kronkolonie an China zurück. Nun geht es der Demokratiebewegung um mehr Unabhängigkeit vom politischen Diktat der Zentralregierung in Peking.

WARUM IST HONGKONG SO GESPALTEN?

Der öffentliche Aufruhr in der chinesischen Sonderverwaltungszone nimmt seit Jahren stetig zu. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander, wofür unter anderem der Ressourcen-Wettstreit mit dem Festland sowie die horrenden Lebenshaltungskosten und Mieten in Hongkong verantwortlich sind. Die aktuelle Krise geht aber vor allem auf die politische Einmischung Pekings in die Belange der Metropolregion zurück und auf die Weigerung, wirklich freie und demokratische Wahlen zu ermöglichen.

WO VERLAUFEN DIE GRÄBEN?

Der amtierende Verwaltungschef Leung Chun Ying und seine Vorgänger wurden von einem Komitee ausgewählt, das der direkten Kontrolle der chinesischen KP untersteht. Zwar hat Peking der Bevölkerung Hongkongs zugesichert, dass diese ihr neues Stadtoberhaupt 2017 erstmals direkt wählen können. Antreten dürfen sollen aber nur zwei bis drei politisch genehme Kandidaten, die das umstrittene Komitee im Voraus auswählt. Bürgerrechtler begehren gegen diese "Scheindemokratie" auf, weil sie Bewerber disqualifiziere, die nicht unter Kontrolle der KP stünden.

WER STEHT HINTER DER DEMOKRATIEBEWEGUNG?

Getrieben wird der Volksaufstand von Abgeordneten, Akademikern, Studenten und gewöhnlichen Bürgern. Besonders aktiv ist die junge Generation: Studenten und Schüler sind die zentrale Triebfeder der Massenproteste und ungleich engagierter als ihre Elterngeneration. Erinnerungen werden wach an die chinesische Demokratiebewegung Ende der 80er Jahre, die 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking blutig niedergeschlagen wurde.

Am Sonntag schloss sich das von zwei Akademikern und einem Pastor angeführte Protestbündnis Occupy Central with Love and Peace dem seit einer Woche laufenden Studentenstreik an - und verhalf der Kampagne so zu deutlich mehr Gewicht. Das wiederum motivierte Zehntausende Sympathisanten, auf die Straße zu gehen. Die Polizei setzte Tränengas, Pfefferspray und Knüppel ein, vermochte den Protest aber nicht zu ersticken. Immerhin hatten sich zuvor auch fast 800.000 Bewohner Hongkongs in einem inoffiziellen Occupy-Referendum mit überwältigender Mehrheit für mehr demokratische Freiheiten ausgesprochen.

UNTERSTÜTZT JEDER IN HONGKONG OCCUPY?

Mitnichten. Im August organisierte beispielsweise ein Netzwerk Peking-treuer Kräfte einen Protestmarsch gegen Occupy durch Hongkong, dem sich Zehntausende anschlossen. Später gab es zwar Beschuldigungen, dass viele Aktivisten von Peking bezahlt und vom Festland nach Hongkong gebracht worden seien.

Das Ausmaß der Gegenbewegung weist aber auf tatsächliche Gräben im Volk hin, das keineswegs geschlossen hinter dem Konfrontationskurs mit Peking steht. Gerade in der Geschäftswelt werden weniger politische Durchgriffsrechte der Zentralregierung auch mit weniger Stabilität gleichgesetzt. Einige Unternehmen schalteten gar Anzeigen in der Lokalpresse, in denen sie vor den Folgen eines Umsturzversuchs warnten, der Hongkongs Status als internationales Handelszentrum gefährden könne.

WAS GESCHIEHT ALS NÄCHSTES?

Experten halten es für relativ unwahrscheinlich, dass Peking nachgibt. Viel hängt deshalb davon ab, wie viel Durchhaltevermögen Occupy und die Demonstranten haben. Zwar hat es derartige Unruhen in Hongkong seit Jahrzehnten nicht gegeben, und entsprechend unbedarft verhalten sich viele Menschen. Doch das gewaltsame Vorgehen der Polizei hat ihren Widerstandsgeist gestärkt. Die Bereitschaftspolizei wurde als Zeichen des Entgegenkommens bereits abgezogen. Allerdings halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Peking die Volksarmee ausrücken lassen könnte, falls die Lage weiter eskaliert.

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