Hongkong: Ultimatum abgelaufen

Regierungschef lehnt Rücktritt ab. Studentenführer in Hongkong nahmen Gesprächsangebot an.

Nach einer Woche friedlicher Proteste für Demokratie in Hongkong drohen die Studentendemonstrationen in Gewalt umzuschlagen. Am Donnerstag lief ein Ultimatum der Studenten an den Regierungschef ab, die den sofortigen Rücktritt von Leung Chun-ying fordern - was dieser aber entschieden ablehnte. Gleichzeitig hat sich der Regierungschef aber zu einem Dialog mit den Vertretern der Protestbewegung für mehr Demokratie bereit erklärt.

Hongkong: Ultimatum abgelaufen
Hong Kong Chief Executive Leung Chun-ying (R) and Chief Secretary Carrie Lam walk past a Hong Kong flag as they attend a news conference in Hong Kong, late October 2, 2014. Hong Kong leader Leung defied pro-democracy protesters' demands to step down by Friday, and repeated police warnings that the consequences would be serious if they sought to surround or occupy government buildings. Leung, speaking to reporters just minutes before an ultimatum for him to resign expired, also said that Chief Secretary Lam would hold a meeting with students soon to discuss political reforms. He gave no time frame. REUTERS/Stringer (CHINA - Tags: POLITICS CIVIL UNREST) ) ATTENTION EDITORS - NO SALES. NO ARCHIVES. FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. HONG KONG OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN HONG KONG
Donnerstagabend (MEZ) hieß es dann, die Studentenführer in Hongkong haben das Gesprächsangebot von Regierungschef Leung Chun-ying angenommen. Sie willigten am frühen Freitagmorgen (Ortszeit) in einen Dialog mit der Regierung ein.

Die Studentenvereinigung hatte mit einer Besetzung wichtiger Regierungsgebäude in Chinas Sonderverwaltungsregion gedroht, "um die Verwaltung lahmzulegen", falls der Regierungschef nicht freiwillig abtritt. Die Polizei warnte sie vor "ernsten Konsequenzen" und will durchgreifen, falls Aktivisten amtliche Stellen stürmen, besetzten oder umzingeln sollten.

Größte Krise seit Rückgabe an China

Es ist die größte politische Krise in Hongkong seit der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie 1997 an China. Die Proteste hatten sich an Beschlüssen des Pekinger Volkskongresses entzündet, 2017 zwar erstmals eine direkte Wahl in Hongkong zu erlauben, den Wählern aber trotzdem eine freie Nominierung der Kandidaten zu verweigern.

Angefacht werden die Demonstrationen auch durch die Sorge über die Kontrolle durch die repressive Pekinger Führung sowie den Unmut über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Hongkong und steigende Immobilienpreise.

Hongkong: Ultimatum abgelaufen
epa04428759 Pro-democracy demonstrators sit at the entrance office of Hong Kong's Chief Executive Leung Chun-ying, on the fifth day of the mass civil disobedience campaign Occupy Hong Kong, in Admiralty, Hong Kong, China, late 02 October 2014. Hong Kong Chief Executive Leung Chun-ying said he would not step down at a late night press conference, minutes before a midnight (1600 GMT) deadline for him to quit, set by pro-democracy protesters expired. Students had threatened to occupy official buildings and 'paralyse the functioning' of authorities if Leung did not resign. EPA/DENNIS M. SABANGAN
Am Abend bereitete sich die Polizei mit Tränengas, Gummigeschossen und spezieller Ausrüstung gegen Unruhen auf eine mögliche Eskalation vor. Der Regierungschef wies seine Verwaltungschefin Carrie Lam, die Nummer Zwei in Hongkong, an, mit der Studentenvereinigung in einen Dialog zu treten. "Ich hoffe das Treffen der Studenten mit Carrie Lam kann die Probleme lösen", sagte er. Die Verwaltungschefin selbst sagte, "so schnell wie möglich" mit den Studenten reden zu wollen.

Mehr als Tausend Demonstranten hatten sich um Mitternacht direkt vor dem Regierungssitz versammelt. Hunderte Polizisten schützten das Gebäude. "Wir haben gesehen, wie die Polizei Tränengas und besondere Schutzausrüstung herangeschafft hat", sagte der 17-jährige Vorsitzende der Oberschülervereinigung, Joshua Wong. "Wir wissen nicht, wann sie wieder Gewalt gegen uns einsetzen werden."

Der Regierungssitz liegt direkt neben Baracken der chinesischen Volksbefreiungsarmee in Hongkong und ist nur fünf Minuten zu Fuß vom Hauptschauplatz der Proteste bei Admiralty entfernt. Zehntausende Hongkonger hatten am Donnerstag die bisher friedlichen Proteste den siebenten Tag in Folge fortgesetzt.

"Ein Land, zwei Systeme"

Seit der Rückgabe 1997 an China wird Hongkong nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" als eigenes Territorium autonom regiert. Auch genießt die asiatische Wirtschaftsmetropole Presse-, Meinungs-und Versammlungsfreiheit.

Chinas Führung stellte sich voll hinter den kritisierten Hongkonger Regierungschef. Die Zentralregierung sei "höchst zufrieden" mit seiner Arbeit, hieß es in einem Kommentar des kommunistischen Parteiorgans "Volkszeitung" (Renmin Ribao). Auch unterstütze Peking seinen Umgang mit den "illegalen politischen Aktivitäten". Es gehe um die langfristige Stabilität Hongkongs, seinen Wohlstand, Interessen der Investoren und die Wahrung der nationalen Sicherheit Chinas.

Die EU forderte alle Parteien auf, Kompromissbereitschaft zu zeigen und nach einer Lösung zu suchen, die im Einklang mit der Verfassung und dem Prinzip "Ein Land - Zwei Systeme" stehe. Ziel sollte ein faires Wahlsystem sein, das einen hohen Grad an Mitbestimmung ermöglicht, ließ die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton mitteilen. Mit Blick auf die Demonstrationen rief die EU-Kommission dazu auf, nicht zu Gewalt zu greifen.

Das bisherige Krisenmanagement des Regierungschefs sah der deutsche China-Experte Sebastian Heilmann hingegen kritisch. "Er hat schlicht zu wenig Erfahrung und Geschick in der Direktkommunikation mit Kritikern und Opposition", meinte der Direktor des China-Instituts Merics in Berlin.

In der Nacht zum Donnerstag trotzten Demonstranten wieder Regenfällen und schützten sich mit Schirmen, Mänteln oder stellten sich unter. Wegen der Schirme, die zuvor gegen Tränengas und Pfefferspray der Polizeikräfte oder auch nur gegen die Sonne zum Einsatz kamen, ist von der "Regenschirm-Revolution" die Rede.

Seit mehreren Nächten schlafen sie zu Tausenden auf den sonst stauverstopften Boulevards von Hongkong. Trotzen den Regenstürmen, essen Snacks und Bananen und sammeln auch noch ihren eigenen Müll wieder ein. Studenten, Schüler, aber auch Zehntausende anderer Demonstranten lassen derzeit mit ihrem "zivilen Ungehorsam" die Führung in Peking spüren, dass sie nicht weichen wollen. Auf der einen Seite der Aufstand der Hongkonger Bürger – auf der anderen die Führung in Peking. Seit Donnerstagfrüh wird nun der Sitz von Hongkongs Verwaltungschef blockiert. Die Demonstranten fordern den Rücktritt des Chefs der Sonderverwaltungszone, Leung Chun Ying.

Alles läuft auf eine gefährliches Machtprobe hinaus. Dazu die wichtigsten Fragen.

Woran hat sich der Protest entzündet?

In zwei Jahren hätte die ehemalige britische Kronkolonie, die 1997 an China zurückgegeben wurde, die ersten freien Wahlen abhalten sollen. Ende August aber stieg Peking plötzlich auf die Bremse: Die Menschen in Hongkong werden zwar wählen dürfen – aber nur zwischen drei Kandidaten, die zuvor ausdrücklich von China gebilligt werden. Dieser Beschluss schürte den bereits vorhandenen Unmut über Peking. Tausende Studenten begannen in der Vorwoche mit Protesten, Schüler schlossen sich an, und auch die im Vorjahr gegründete Demokratiebewegung "Occupy Central with Love and Peace" zog mit.

Fordern die Demonstranten echte Demokratie für Hongkong – inmitten des kommunistischen Chinas?

"Teile der Bevölkerung Hongkongs, darunter diejenigen, die jetzt demonstrieren, tun das tatsächlich: Sie fordern echte Demokratie", sagt Sinologin Agnes Schick-chen. Man sehe sich in Hongkong zwar als chinesisch, aber mit einer eigenen Identität, schildert die Professorin an der Uni Wien dem KURIER. "Und zu dieser Identität gehört Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dazu."

Wer führt die Proteste in Hongkong an?

Eine zentrale Führungsfigur gibt es nicht. Als Gründer der Demokratiebewegung "Occupy Central with Love and Peace " spielt Uni-Professor Benny Tai (50) eine tragende, wenn auch eher vorsichtige Rolle. Frecher, aufmüpfiger und viel sichtbarer erkämpfte sich hingegen der erst 17-jährige Schüler Joshua Wong internationale Aufmerksamkeit. Schon als 14-Jähriger hatte sich der spindeldürre Schülerführer mit Peking angelegt, als China in Hongkongs Schulen "Moral- und Vaterlandsunterricht" durchsetzen wollte. Tausende Schüler und Eltern folgten Joshua Wongs Protestaufruf – und China zog sein Ansinnen tatsächlich zurück. Auch dieses Mal will Wong durchhalten und weiter protestieren, bis Hongkongs Verwaltungschef zurücktritt und den sieben Millionen Einwohnern echte, freie Wahlen ermöglicht werden.

Wie lange wird Peking den – friedlichen – Demonstrationen zusehen? Ist ein gewaltsames Vorgehen zu befürchten?

Vor allem den älteren Demonstranten in Hongkong ist unvergessen, wie Chinas Führung 1989 mit den Protesten auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) verfuhr: der Aufstand endete in einem Massaker, Panzer rollten den Widerstand nieder. Entsprechende Ängste vor einem "Mini-Tiananmen" herrschen denn auch in Hongkong. "Leider ist im Moment nichts ganz auszuschließen", gibt auch China-Expertin Agnes Schick-Chen zu bedenken. "Noch immer ist nicht klar, für welche Richtung Chinas neuer Staatschef Xi Jinping steht." Tatsächlich habe Peking, so die Sinologin, "wenig Handlungsspielraum. Es geht gar nicht nur um Hongkong. Das Grundproblem ist vielmehr, dass Teile der Bevölkerung versuchen, mit Peking zu diskutieren, wie es regieren soll. Das könnte Signalwirkung für das ganze Land haben." Aus Sicht Pekings müsse man sich also fragen: "Was, wenn das Schule macht?"

In Festland-China werden bereits Menschenrechtsaktivisten verhaftet, um jede Art von Solidarität mit Hongkong zu unterbinden. Presseberichte aus und über Hongkong werden zensuriert.

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