"Merkel muss den Österreichern dankbar sein"

Neuköllns Heinz Buschkowsky: Bezirkspolitiker mit Strahlkraft.
Der ehemalige Bezirksbürgermeister Neuköllns im Interview: Heinz Buschkowsky über die Kanzlerin, gelungene Integration und die Frage, wieso es keine Faymann-T-Shirts gibt.

Heinz Buschkowsky (67) war 14 Jahre lang Bürgermeister des Berliner Migranten-Bezirks Neukölln. Der streitbare Sozialdemokrat hat eine praxisorientierte Integrationspolitik verfolgt – mit klaren, mitunter harten Worten, die ihm auch den Ruf eines Alarmisten einbrachten.

KURIER: Glauben Sie an Angela Merkels "Wir schaffen das"?

Heinz Buschkowsky: Ja, hätte sie denn sagen sollen "Das klappt doch nie"? Damit hätte sie doch jeden Enthusiasmus und jedes Engagement getötet. Sie hatte gar keine andere Chance, als anzufeuern und zu motivieren.

Aber: Ist die Flüchtlingskrise in Ihren Augen lösbar?

Sie muss es sein. Es gibt keine Alternative. Die Kanzlerin hat nach meiner Überzeugung nicht geahnt, was sie auslöst. Jetzt kommt sie von der Birke nicht mehr runter. Fakt ist, dass sie der EU das Flüchtlingsproblem durch ihren Alleingang übergestülpt hat. Natürlich sind Uneinigkeit, nationaler Egoismus und das Abtauchen vor der sich erkennbar anbahnenden Entwicklung weitere Bausteine. Trotzdem muss sie den Österreichern dankbar sein, dass diese sie nicht hängen gelassen haben. Die Österreicher haben Glück, dass ihr Land am Hindukusch nicht so bekannt ist. Sonst hätte es auch T-Shirts mit dem österreichischen Kanzler gegeben (lacht). Im Ernst: Kennen Sie aus der Geschichte ein Land, das plötzlich seine Grenzen fallen lässt und alle ungesteuert hineinbittet? Das musste zum Chaos führen.

Wo sehen Sie Gefahren?

Ein einzelner Flüchtling ist kein Problem. Er hat keine andere Chance, als sich in das soziale Umfeld zu integrieren. Ein Flüchtling, der in das Netz von hundert Angehörigen eingebettet ist, ist nach außen gesichert und trifft nach innen auf gewohnte Werte: Man spricht die gewohnte Sprache, man kocht und denkt wie zu Hause. Parallelgesellschaften sind aber der größte Feind der Integration.

Auch 290.000 Nichtregistrierte sollen im Land sein.

Ein Land darf in seiner Funktionsfähigkeit nicht auf dem Prinzip Zufall aufgebaut sein. Es verunsichert die Bevölkerung, wenn das Gefühl aufkommt, dass die Führungseliten den Laden nicht im Griff haben. Da kommt Angst auf. Nicht nur Angst vor Fremden, sondern Sorge, in einem neuen Verteilungskampf um billigen Wohnraum und Low-level-Jobs untergebuttert zu werden. Das Bürgertum wiederum hat Angst, dass es ans Eingemachte geht. Das Wort Steuererhöhung ist schon öfter gefallen, man kündigt Mietern, um Wohnungen für Flüchtlinge freizubekommen, in Hamburg beschlagnahmt man Privathäuser. Den Bürgern ihr Eigentum wegzunehmen ist so ziemlich die schlimmste Staatsmaßnahme. Wann kommen sie zu mir, fragen sich die Leute.

Wie begegnet man den Ängsten?

Ich war immer Kommunalpolitiker. Das heißt, Probleme, die konkret vor der Tür liegen, anzupacken und praktisch zu lösen. Im Moment führt das zu der Erkenntnis, dass die, die hier sind, auch hier bleiben werden. Wir werden nicht Hunderttausende nach Afghanistan, Syrien und Somalia zurückbringen. Völliger Quatsch. Das heißt, wir müssen sie in die vorhandene Gesellschaft integrieren. Integration bedeutet Sprache, Wohnung, Arbeit. Diese drei Dinge sind zwingend erforderlich, um ein Teil der Gemeinschaft zu werden.

Was haben Sie gemacht, was kann man in Kommunen tun?

Wir müssen Integrationsvereinbarungen schließen und diese im Zweifel auch durchsetzen. Wer an Sprach- und Integrationskursen nicht teilnimmt, spürt das im Portemonnaie. In Schweden schafft es jeder zweite Neuankömmling nach einer zweijährigen Integrationsschulung in den ersten Arbeitsmarkt. So entstehen Vorbilder. Bei uns kommt nur jedes zweite schulpflichtige Kind in die Schule. Und nichts passiert. Wenn sich verschiedene Ethnien und Religionsgruppen prügeln, wollen wir sie separieren, anstatt den Baustein demokratischer Gesellschaften einzufordern, der da Toleranz heißt. Die Menschen müssen begreifen, dass die Uhren in der westlichen Welt anders gehen als zu Hause. Wir müssen für mehr Durchmischung als bisher sorgen. Neue Wohnungen in Neukölln-Nord oder Duisburg-Marxloh bauen die sozialen Brennpunkte aus. Deshalb müssen Quartiere dorthin, wo das Bürgertum wohnt. Das wird dem nicht gefallen.

Muss man auch das Gespräch mit Pegida suchen?

Ich habe es immer für falsch gehalten, alle Pegida-Demonstranten als Nazis und Schande für das Land abzustempeln. Angst vor Überfremdung gibt’s auf der ganzen Welt, das ist keine deutsche Spezialität. Es kann nicht sein, dass die Volksparteien die Stimmung nicht aufnehmen, sondern tatenlos zusehen, wie die politischen Extreme erstarken. Dass die Sozialisten in Oberösterreich auf 18 Prozent eingedampft wurden und die Nationalen fast das Doppelte schafften, muss die Glocken klingeln lassen.

Und was wäre Ihr Königsweg?

Es gibt keinen. Aber Einigkeit über die Probleme ist ein guter Anfang. Es ist kein Rassismus, sondern statistische Wahrscheinlichkeit, dass unter einer Million Menschen auch welche sind, die nichts Gutes im Schilde führen. Seien es Kriminelle, Kriegsverbrecher oder Religionseiferer. Das ist so unter Flüchtlingen, unter Deutschen und auch unter Österreichern. Davor die Augen zu verschließen ist Wirklichkeitsverweigerung oder Sozialromantik.

Der 67-Jährige Buschkowsky gilt als eine der streitbarsten Figuren der SPD: Seit der Wende war er Bezirkspolitiker in Neukölln - jenem Bezirk Berlins, der am meisten mit dem Zuzug von Migranten zu tun hat. Bei mehr als 41 Prozent liegt der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in dem mehr als 300.000 Einwohner zählenden Bezirk im Süden der Hauptstadt. Buschkowsky hat sich in seinen 14 Jahren als Bezirksbürgermeister für eine praxisorientierte und durchaus auch restriktive Integrationspolitik stark gemacht: Er forderte stets bindende Integrationsverpflichtungen und auch Sanktionen bei deren Nichteinhaltung.

Seinen harten Worten zum Trotz machte der SPDler in dem bunten Bezirk eine sehr bürgernahe Politik. Vor allem sein Projekt der Stadtteilmütter - in Deutschland gut verankerte Migrantinnen, die direkt den Kontakt zu Einwandererfamilien aus ihrem Kulturbereich suchen und ihnen bei der Integration helfend zur Seite stehen - fand großen Beifall; auch die in Verruf geratene Rütlischule brachte Buschkowsky mit viel Einsatz aus den Negativschlagzeilen. Bestehende Probleme sprach er immer ohne viel Zurückhaltung und teils mit durchaus heftigen Worten an - manch einem gilt Buschkowsky wegen Aussagen wie "Multikulti ist gescheitert" deshalb auch als Alarmist. Er selbst begreift sich nicht als solcher, sondern als Realpolitiker; er sieht sich überhaupt nicht in geistiger Verwandtschaft zu Politikern wie etwa Thilo Sarrazin.

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