„Edward Snowden wird in die Weltgeschichte eingehen“

Der deutsche Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele traf im Oktober Edward Snowden. Mit Peter Pilz diskutierte er in Berlin über Spionage und die NSA.

KURIER: Herr Ströbele, Ihnen ist das Kunststück gelungen, Whistleblower Edward Snowden in Russland besuchen zu können. Welche Details dürfen Sie uns verraten, wie es zu diesem Treffen gekommen ist?

Hans-Christian Ströbele: Ich kann nichts erzählen, was seine Sicherheit gefährden würde. Als Anfang Juni die ersten Enthüllungen von Edward Snowden bekannt wurden, gab es bei der deutschen Bundesregierung Zweifel an der Echtheit seiner Dokumente. Schon damals habe ich die Bundesregierung aufgefordert: „Versucht doch, Kontakt zu Snowden zu bekommen, der sitzt doch nicht auf dem Mond oder in einem US-Gefängnis.“ Aber es passierte nichts. Also versuchte ich es. Zuerst bemühte ich mich, über seine US-Anwältin und seinen russischen Anwalt Kontakt zu bekommen. Aber dieser Weg war erfolglos. Plötzlich hat sich Snowden von selbst gemeldet. Ende Juli hatte ich dann bereits Snowdens Zustimmung für ein Treffen, aber damals saß er im Transit auf dem Moskauer Flughafen.

Wie kompliziert war die Organisation des Treffens?

Ströbele: Der Abklärungsprozess, wer beim Treffen dabei sein wird, war ganz schwierig. Snowden wollte, dass auch noch andere Abgeordnete aus Frankreich oder Belgien dabei sind. Wir haben einen Franzosen aus dem EU-Parlament kontaktiert, der in Moskau dazustoßen wollte, aber er kam dann nicht. Heute weiß ich, dass es Probleme mit seinem Diplomaten-Pass gab. Auch die Auswahl der Journalisten war kompliziert. Ursprünglich wollte Snowden keine Journalisten dabei haben. Aber da ich kaum Englisch spreche, brauchte ich einen Dolmetscher, und ich wollte auch Zeugen dabei haben. Nicht nur, um das Treffen zu bezeugen, sondern um auch zu dokumentieren, dass weder ich noch einer der Journalisten Kontakt zu irgendeiner staatlichen Stelle während des Aufenthaltes hatten.

Wie haben Sie Edward Snowden erlebt? Ist er ein verunsicherter Mensch, wie es nun mit ihm weitergeht?

„Edward Snowden wird in die Weltgeschichte eingehen“
Snowden mit dem deutschen Grünen-Politiker Ströbele
Ströbele:Nein, überhaupt nicht. Ich dachte, er wird deprimiert sein, denn in sein bisheriges Leben kann er nie wieder zurückkehren. Die Familie, die Verlobte – das ist alles weg. Außerdem lebt er unter besonderen Bedingungen in Moskau. Bis wir bei ihm in Moskau angekommen sind, wurden wir eine Stunde durch die Stadt gefahren. Das ist alles nicht schön, und seine Perspektiven sind noch viel schlimmer. Wenn er an die USA ausgeliefert wird, drohen ihm 40 Jahre Haft. Ich dachte auch, dass ich auf einen Menschen treffen werde, der viele Selbstzweifel hat und fragt: Musste das sein? Hätte ich das anders machen sollen? Aber diesen Eindruck machte er in unserem dreistündigen Gespräch überhaupt nicht auf mich. Herr Snowden ist sich des Risikos und seiner Situation bewusst. Wenn wir darüber gesprochen haben, wurde er immer sehr ernst und sehr bestimmt. Das, was Snowden getan hat, hat er auch bewusst getan. Die Enthüllungen sieht er als seine Aufgabe an. Es geht ihm dabei gar nicht in erster Linie um Deutschland oder Europa, sondern es geht ihm um die USA, um seine Heimat, um seine Bevölkerung. In den USA werden von der NSA massenhaft Gesetze gebrochen, und Snowden will, dass sein Land geschützt wird, dass die Bespitzelung beendet und nicht weiter ausgebaut wird. Deswegen habe ich Snowden einmal als amerikanischen Patrioten bezeichnet – er ist das Gegenteil von einem Verräter, der jetzt die Seite gewechselt hat. Snowden ist in Moskau, nicht, weil er nach Russland wollte, sondern weil er auf dem Flug von Hongkong in ein anderes Land schon in Moskau gestoppt wurde und er nicht mehr weiterfliegen konnte. Sein Pass wurde annulliert, und deswegen blieb er auf dem Flughafen in Moskau hängen.

Ströbele, der Held der Überwachten

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Stroebele of German Green party makes point during
„Edward Snowden wird in die Weltgeschichte eingehen“

German green party member Stroebele cycles past a
„Edward Snowden wird in die Weltgeschichte eingehen“

Ströbele im Rettungsboot
„Edward Snowden wird in die Weltgeschichte eingehen“

RUSSIA GERMANY SNOWDEN STROEBELE MEETING

Mittlerweile gibt es 560 Schriftsteller, die die Verteidigung der digitalen Demokratie fordern. Nun gibt es eine Allianz zwischen Ihnen und Peter Pilz, um die NSA auf EU-Ebene in die Schranken zu weisen. Was planen Sie da konkret?

Peter Pilz: Eine der großen kommenden Auseinandersetzungen wird es zwischen der europäischen Vorstellung von Bürgerrechten und Datenschutz und denen der US-Dienste geben. Diesen Konflikt haben wir in Deutschland, in Österreich und in der EU vor uns. In Österreich oder Deutschland können wir die Dienste kontrollieren, aber lösen können wir den Konflikt nur auf europäischer Ebene.

„Edward Snowden wird in die Weltgeschichte eingehen“
Berlin, 12.12.2013 Ida Metzger, Christian Ströbele, Peter Pilz, Bundestag Unter den Linden 50. Bitte uberweisen Sie den Betrag auf mein Konto Ktn. 40 361 367 00 BLZ 120 800 00. BIC/Code: DRES DE FF 120 IBAN: DE32 1208 0000 4036 1367 00 Ich bin zu 7 Prozent umsatzsteuerpflichtig, meine UST-ID-Nr. DE136831282 Dieser Termin wurde pauschal abgegolten, die Bilder sind daher bei einer späteren Verwendung HONORARFREI !!!!
Ströbele:Zumal es so ist, dass es innerhalb der Europäischen Union solche und solche gibt. Da gibt es die Briten, die selber heftig mit von der Partie sind. Der britische Geheimdienst leistet ganz entscheidende Hilfe. Denn dass die NSA an die Glasfaserknotenpunkte in Südengland herankommt, verdankt sie dem britischen Geheimdienst. Deswegen müssen wir in Europa zu einem einheitlichen Standard für Datenschutz kommen. Es kann nicht sein, dass ein Land der Union ein anderes Land der Union auszuspionieren hilft. Wenn man das innerhalb der Familie macht, ist die Freundschaft eigentlich zu Ende.

Pilz: Der erste Schritt ist jetzt einmal, aufzuklären, wo es eine unzulässige Komplizenschaft unserer Dienste mit amerikanischen Diensten gibt. In Wien haben wir drei Spionage-Zentren lokalisiert und dokumentiert, von denen aus Telefonverkehr, Luftraumüberwachung und Funkverkehr vollkommen illegal abgesaugt werden.

Ströbele: Es gibt Hinweise, dass die Kommunikationsverbindungen von Millionen von deutschen Staatsbürgern abgesaugt werden. Das ist möglich, denn wenn ich in Berlin mit jemandem telefonieren, dann geht das über die Server in den USA, weil das offenbar billiger ist. Jetzt müssen wir herausfinden, wie viele Millionen Deutsche davon überhaupt betroffen sind. Deswegen fordern wir einen Untersuchungsausschuss, damit wir Zeugen laden können, die die Wahrheit aussagen müssen.

Pilz: Wenn heute jemand aus einem niederösterreichischen Dorf eine Banküberweisung ins Nachbardorf macht, dann läuft das über den Swift-Server in den USA. Wir müssen doch in Europa in der Lage sein, dass wir Datenverkehr aller Art, wie alle Telefonate, Überweisungen, Mails, selbst unter Kontrolle haben. Eigene Rechner, eigene Netze – wir benötigen technische Unabhängigkeit von den USA. Wir brauchen europäische Server, so, wie wir eine europäischen Bankenaufsicht haben.

Wie gut sind unsere Datenschutzgesetze?

Ströbele: Ein weiterer Schritt ist, dass wir in Europa einheitliche Datenschutzgesetzregelungen schaffen müssen. In Deutschland beispielsweise haben wir fortschrittliche Datenschutzgesetze. Jedes Abhören eines Deutschen durch den Geheimdienst muss bei uns parlamentarisch genehmigt werden. Aber: Diese Bestimmungen gelten nur für deutsche Staatsbürger. Genau das ist Schwachstelle in Europa. Wenn jedes europäische Land völlig unterschiedliche Datenschutzgesetze hat, können die Geheimdienste gegenseitig mit Daten jonglieren und sich mit Informationen versorgen, die sie selbst gar nicht erheben dürfen.

Pilz: Bestes Beispiel dafür – ich kenne den Akt eines österreichischen Staatsbürgers, der verdächtig wurde, mit Islamisten zu kooperieren. Von unserem Nachrichtendienst durfte er nicht überwacht werden. Jetzt hat der österreichische Nachrichtendienst Folgendes gemacht: Er wandte sich an das Bundeskriminalamt in Deutschland, das wiederum hat das amerikanische Armeehauptquartier kontaktiert. Über das amerikanische Armeehauptquartier haben sie dann die gewünschten Überwachungsdaten über die Zielperson erhalten. Letztendlich sind die Daten über den Weg der Rechtshilfe nach Österreich gelangt. Unter dem Strich ist es dasselbe – hier wird ohne gesetzliche Grundlage in die Privatsphäre eingegriffen. Aber der österreichische Nachrichtendienst sagt, es ist alles in Ordnung. Denn die Amerikaner haben mithilfe der Deutschen unseren Staatsbürger überwacht – wir haben nichts damit zu tun.

Hätte sich Angela Merkel bei Edward Snowden bedanken müssen?

Ströbele: Auf jeden Fall. Auch wenn Angela Merkel viele Fehler hat, so schätze ich sie menschlich doch so ein, dass sie sich bewusst ist, dass sie es Edward Snowden verdankt, von dem Abhören ihres Telefons erfahren zu haben und dass sie es ihm auch verdankt, dass das nun ein Ende hat. Da könnte man ganz menschlich einmal „Danke schön“ sagen.

Wie groß schätzten Sie die Dimension seiner Enthüllung ein?

Ströbele: Er hat den größten Spionagefall der Weltgeschichte aufgedeckt. Wir müssen ihm dankbar sein. Durch seine Enthüllungen hat er eine Lawine losgetreten mit dem Ergebnis, dass bei uns über neue Gesetze, neue internationale Regelungen debattiert und mit den USA verhandelt wird. Ja, sogar im US-Kongress sind neue Gesetze in Arbeit. Ohne Snowden hätte es vielleicht noch zehn oder 20 Jahre gedauert, bis wir so weit gekommen wären. Deswegen müssen die Länder, von denen Snowden immer sagt, sie haben demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse, etwas für ihn tun.

Welches Land könnte sich das leisten?

„Edward Snowden wird in die Weltgeschichte eingehen“
Berlin, 12.12.2013 Christian Ströbele, Peter Pilz, Bundestag Unter den Linden 50. Bitte uberweisen Sie den Betrag auf mein Konto Ktn. 40 361 367 00 BLZ 120 800 00. BIC/Code: DRES DE FF 120 IBAN: DE32 1208 0000 4036 1367 00 Ich bin zu 7 Prozent umsatzsteuerpflichtig, meine UST-ID-Nr. DE136831282 Dieser Termin wurde pauschal abgegolten, die Bilder sind daher bei einer späteren Verwendung HONORARFREI !!!!
Ströbele: Deutschland könnte es sich als größtes Land in der EU am ehesten leisten, aber auch Frankreich. Deswegen wollte Snowden bei meinem Besuch auch mit einem französischen Abgeordneten sprechen. Aber es könnte auch Österreich sein. Es muss ein Land sein, das sich zutraut, ein Naserümpfen in den USA zu überstehen. Das Szenario des Kontaktabbruchs seitens der USA, das in Deutschland immer an die Wand gemalt wird, ist totaler Unsinn. Es wird natürlich kurzfristig einen Schatten über der Beziehung geben. Aber das ist nicht die Schuld von Herrn Snowden, sondern von denen, die wie die NSA Gesetzesverstöße und Straftaten hier in Deutschland begangen haben. Es ist für mich eine Frage der Menschlichkeit und des Anstandes, dass wir den Whistleblower schützen und ihm ein normales Leben ermöglichen. Herr Snowden wird in 20 Jahren an der Seite von Daniel Ellsberg stehen, einer der ganz großen Aufklärer der Geschichte.

Pilz: In Österreich sind wir doch so stolz auf unsere Neutralität, unsere Unabhängigkeit von jedem militärischen Block. Der Fall Snowden wäre die Probe aufs Exempel für unsere Neutralität. Snowden soll Asyl in Österreich bekommen. Außerdem benötigt er eine Garantie, sollte das Asylverfahren negativ ausgehen, dass er in Österreich bleiben kann und vollen Schutz genießt. Und die österreichische Bundesregierung könnte diese Garantie abgeben, indem die Innenministerin ihm das humanitäre Bleiberecht anbietet. Das sind wir Snowden schuldig.

Wie sicher ist Snowden in Russland?

Ströbele: Die Russen haben Snowden für ein Jahr Asyl gegeben. Bis kommenden August kann er in Russland bleiben, aber wenn er nach Deutschland oder Brüssel kommt, um eine Aussage zu machen, kann er nicht mehr zurück. Denn sein Asyl ist zu Ende, sobald er Russland verlässt.

Was könnte die NSA in Österreich interessieren?

Pilz: Besonders interessant sind internationale Organisationen wie die OPEC oder die UNO. Ich gehe davon aus, dass die OPEC vom Dach der amerikanischen Botschaft bespitzelt wird und die Atomenergiebehörde in der UNO von einer dortigen NSA-Einheit. Über die NSA-Villa in Pötzleinsdorf am Rand von Wien läuft die direkte Richtfunkstrecke Exelberg, da läuft unsere ganze Luftraumüberwachung drüber und der gesamte Datenverkehr mit Deutschland. Und drittens sind internationale Unternehmen, die ihr Osteueropa-Headquarter in Wien haben, von Interesse.

Ströbele: Aber die Frage, welche Ziele interessant sind oder nicht, ist längst überholt. Denn die NSA schöpft Milliarden von Daten der gesamten Bevölkerung ab. Die schauen ja nicht mehr, ob in Österreich ein Verdächtiger lebt. Die Spionage ohne Anlass ist die neue Dimension. Die NSA nimmt den ganzen Heuhaufen auf und speichert die Daten.

Pilz: Gewisse Organisationen, Parteien und Regierungen werden jetzt schon gezielt beobachtet, und bei der Totalabschöpfung wird dann mit Selektoren gearbeitet. Das funktioniert so: Heute, nächste Woche oder in fünf Jahren werden bestimmte Suchprofile erstellt und dann wird über den Selektor nach bestimmten Kriterien gesucht. Ein Beispiel wäre, man verdächtigt irgendeine Person, etwas bestimmtes Politisches zu planen. Auf Grund der Handyprofile wird dann herausgefiltert: Wo hat sich die Person in den letzten Jahren aufgehalten und wer war zur selben Zeit in derselben Funkzelle? Und eine Funkzelle in Wien heißt im Umkreis von zehn bis 15 Metern. Und dann weiß der Geheimdienst, vor zwei Jahren, drei Monaten und fünf Tagen waren folgende drei Personen mit der verdächtigen Person in einem Radius von zehn Metern zusammen. Unsere gesamte Geschichte, unsere Bewegungen, unsere Kontakte, unsere Überlegungen – alles wird aufgezeichnet und erst viel später entschieden, was überhaupt gesucht wird. Das ist eine globale Spurensicherung durch Geheimdienste.

Edward Snowden: Mann des Jahres

Im Juni ließ Edward Snowden die Bombe platzen. Der ehemalige CIA- und NSA-Mitarbeiter sicherte 30.000 geheime Dokumente und löste so mit seinen Enthüllungen über die weltweiten Spionagetechniken der NSA einen Skandal aus. Für die USA wurde Whistleblower Snowden zu einem der meistgesuchten Männer der Welt. In den USA drohen ihm bis zu 40 Jahre Haft.

Der 30-Jährige flüchtete zuerst nach Hongkong, wo er seine Unterlagen Journalisten des „Guardian“ und der „Washington Post“ übergab. Bisheriger Höhepunkt der Enthüllungen war der Abhörskandal rund um Angela Merkels Handys sowie von 35 weiteren Regierungschefs. Whistleblower Snowden sitzt in Moskau fest, sein weiteres Schicksal ist unklar. Von den Russen bekam er zunächst für ein Jahr Asyl. Ende Oktober gab es zwischen dem deutschen Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele und Edward Snowden ein Geheimtreffen in Moskau.

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