Große Visionen des kleinen Prinzen

Große Visionen des kleinen Prinzen
Der Großneffe des letzten Kaisers über seine Ur-Heimat, die Probleme Afrikas und Migrantenströme.

Aufgewachsen am Hof von Kaiser Haile Selassie erlernte der kleine Prinz schon in Kindesjahren die deutsche Sprache – von seiner österreichischen Erzieherin. Später maturierte Asfa-Wossen Asserate, ein Großneffe des letzten äthiopischen Monarchen, als Erster seines Landes am deutschen Gymnasium in Addis Abeba. Den Sturz der Dynastie durch die Kommunisten 1974 erlebte der heute 65-Jährige in Deutschland, wo er studierte. Die Bundesrepublik wurde seine neue Heimat. Dort ist der kleinwüchsige Aristokrat heute als Unternehmensberater sowie politischer Analyst tätig – und findet klare Worte zur Lage in Äthiopien und in ganz Afrika.

KURIER: Bedauern Sie den Untergang des Kaisertums?

Asfa-Wossen Asserate:Ja, schon. Mein Großonkel hat sehr viel für das Land getan und es aus dem Mittelalter ins 20. Jahrhundert geführt. Aber wir haben auch Fehler gemacht. Der Kaiser war zu alt und zu lange an der Macht (1930–1936 und 1941–1974). Er hätte zurücktreten müssen, um den Weg für Reformen freizumachen. Es ist schade, dass die älteste Monarchie der Welt stürzen musste.

Welche Reformen hätten damals kommen müssen?

Vor allem die Landreform, in der Hinsicht, dass der Boden, den der Bauer bewirtschaftet, auch ihm gehört. Das ist leider bis heute nicht der Fall. Dazu muss man wissen, dass die Afrikaner eine magische Beziehung zum Land haben. Für sie ist dies das Einzige, was ewig ist. Und an dieser Ewigkeit wollen sie teilhaben und sie ihren Kindern weitergeben.

Derzeit geht die Entwicklung in vielen Teilen Afrikas aber in die gegensätzliche Richtung: Regierungen verschleudern riesige Anbauflächen an ausländische Investoren – "landgrabbing".

Ja, das ist hirnverbrannt. In Äthiopien wurden in den vergangenen 18 Monaten 1,5 Millionen Hektar an fruchtbarem Boden an Saudis, Chinesen oder Inder verkauft. Und nicht ein Kilo der Erträge bleibt im Land, alles geht in den Export. Ich verstehe nicht, warum wir uns nicht das österreichische Raiffeisen-System zum Vorbild nehmen und bäuerliche Genossenschaften fördern. Das würde die Produktivität steigern und zu Wohlstand führen.

Stichwort Wohlstand: Äthiopien hatte in den vergangenen Jahren fabelhafte Wirtschaftswachstumsraten von bis zu zehn Prozent pro Jahr. Der Großteil der Bevölkerung ist aber weiterhin bettelarm. Warum ist das so?

Zum Teil sind wir auf einer Ebene mit Europa, aber das betrifft nur eine kleine Schicht. Die Gier der Eliten verhindert, dass alle am Kuchen mitnaschen können. Ein weiteres Problem sind Afrikas Potentaten, die allerdings teilweise vom Westen alimentiert werden.

Was meinen Sie damit?

Es kann einer ein noch so großer Gauner sein, wenn ein westliches Land in der Region Interessen hat, wird es ihn nicht behelligen. Das beste Beispiel dafür war (Libyens Ex-Machthaber) Gaddafi. Mit Schurkenstaaten darf es keine Geschäfte geben. Es ist wichtig, dass die EU endlich zu einer einheitlichen Afrika-Politik in diesem Zusammenhang findet. Denn wenn sich etwa Deutschland aus einem Land, das die Menschenrechte verletzt, zurückzieht, ist am nächsten Tag mit Sicherheit ein anderes Land drinnen. Langfristig bietet dieser Verzicht aber eine Chance, die nächste Generation zu gewinnen. Denn es sind die jungen Leute, die sich jetzt mangels Perspektiven auf den Weg nach Europa machen. Wenn Brüssel glaubt, mit der bisherigen Politik der Migrantenströme Herr zu werden, hat es sich getäuscht. Migranten wachsen nicht aus dem Erdboden, sie werden gemacht.

Sie fordern also, den Völkern vor Ort ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Aber wie? Selbst mit zwei Billionen Dollar, die in den vergangenen Jahrzehnten an Entwicklungshilfe nach Afrika geflossen sind, ist das nicht gelungen.

Ich will diese Hilfe nicht gänzlich verdammen. Ohne sie wäre die Lage noch weit schlimmer. Aber ein fairer Handel ist der beste Anschub für Entwicklung. Daher würde ich 50 Prozent der Hilfsgelder in Projekte stecken und die anderen 50 Prozent in eine Risiko-Abdeckung für ausländische Investoren. Das würde auch Arbeitsplätze in den EU-Ländern schaffen.

Der Kontinent ist voller Konflikte. Welchen halten Sie für den gefährlichsten?

Für mich ist klar, dass die Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen am brisantesten ist. Wir brauchen dringend einen Dialog zwischen dem Islam, dem Christentum und dem Judentum. Ich habe dafür eine eigene Organisation ins Leben gerufen – namens "Pactum Africanum".

Aber bedrohen nicht auch die blutigen Rivalitäten der vielen Stämme die Sicherheit und Entwicklung Afrikas?

Das Problem ist eine Ethnisierung der Politik, die in den letzten Jahrzehnten leider forciert wurde, auch in Äthiopien. Das ist brandgefährlich. Wenn man ethnische Grenzen zieht, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu ethnischen Säuberungen. Nicht von ungefähr haben unsere Gründungsväter im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebungen (massiv ab den 1950er-Jahren) die alten kolonialen Grenzen akzeptiert. Obwohl sie wussten, dass es künstliche sind.

Und wie kann es zu einem friedlicheren Miteinander kommen?

Indem man mehr Respekt vor dem politischen oder ethnischen Gegenüber hat. In Afrika akzeptieren die Leute nicht, dass einer anders denkt oder anders ist. Da gibt es nur Freund oder Feind. Ich kann mich gut an die harten Auseinandersetzungen mit der 68er-Studentenbewegung in Deutschland erinnern, ich habe die Revoluzzer komplett abgelehnt: Tagsüber haben wir an der Uni gestritten auf Teufel komm raus, am Abend gingen wir trotzdem gemeinsam auf ein Bier.

Herkunft

Asfa-Wossen Asserate wurde als Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie am 31. Oktober 1948 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba geboren. Sein Vater, der nach dem Sturz der Monarchie 1974 getötet wurde, war Präsident des kaiserlichen Kronrates.

Wahlheimat Deutschland

Prinz Asserate ging 1968 nach Deutschland, wo er Jus, Volkswirtschaft und Geschichte studierte. Erst nach dem Ende der kommunistischen Diktatur unter Haile Mariam Mengistu konnte er ab 1991 wieder nach Äthiopien reisen. Doch der Aristokrat hatte in Deutschland schon tiefe Wurzeln geschlagen, er blieb seiner neuen Wahlheimat treu. In Frankfurt ist Asserate, der mehrere Bücher verfasst hat, als Unternehmensberater tätig.

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