Zwangsurlaub für US-Beamte

Das Kapitol in Washington: In der Hauptstadt steht das Leben still.
US-Republikaner blockieren im Streit um Obamacare das Budget: Inzwischen steht die Verwaltung still.

An diesem 1. Oktober, einem sonnigen Herbsttag, ähnelt e Washington einer Geisterstadt. Anders als gewohnt, gab es in der Früh kaum Verkehr in Downtown – das administrative Zentrum, wo sich die meisten Ministerien und staatlichen Institutionen befinden. Die Museen entlang der grünen Fläche in der Stadtmitte – die Mall – blieben geschlossen, genauso wie der Washingtoner Tiergarten. Grund für die ungewöhnliche Stille: Der US-Kongress konnte kein neues Budget f verabschieden und so mussten die US-Regierung und alle von ihr verwalteten Institutionen zu Beginn des neuen Finanzjahrs gestern zusperren.

„Lächerlich“

„Das ist lächerlich“, sagte die 39-jährige Lisa aus Süd-Dakota dem KURIER. Sie sei gerade auf einer Konferenz nahe Washington und wollte den Regierungsstillstand persönlich erleben. „Bei uns gibt es so was nicht, wir arbeiten ununterbrochen“, so Lisa, die in der Administration eines Frauenkloster tätig ist. Weder die Demokraten noch die Republikaner, hätten Recht im Streit, findet Lisa.

„Wir bringen unseren Kinder Kompromissbereitschaft bei, und das soll der Kongress auch können. Schließlich werden sie dafür bezahlt“, sagt eine Touristin, die mit einem Stadtplan von Washington vor dem Naturhistorischen Museum steht.

Bauarbeiter werken derweil am Gebäude des Museums der Amerikanischen Geschichte. Sie seien Unternehmer, der Regierungsschluss betreffe ihre Arbeit noch nicht, erklären die Männer. „Aber die da, drüben auf dem Hügel, werden bald einen neuen Job suchen müssen“, sagt einer von den Männern und zeigt auf dem Kapitol, wo sich das weiße Kongressgebäude befindet.

Das bringt der Shutdown mit sich:

Zwangsurlaub für US-Beamte

Women enjoy a snack outside the Smithsonian Nation
Zwangsurlaub für US-Beamte

The Statue of Liberty is seen in New York
Zwangsurlaub für US-Beamte

USA NEW YORK STORM AFTERMATH
Zwangsurlaub für US-Beamte

A frog is captured during a lift off of NASA's Lun
Zwangsurlaub für US-Beamte

An exterior view of the U.S. Department of Homelan
Zwangsurlaub für US-Beamte

A tour guide peers over a former military bunker a
Zwangsurlaub für US-Beamte

The U.S. Capitol building is seen as budget battle
Zwangsurlaub für US-Beamte

File photo of a patient waiting in the hallway at
Zwangsurlaub für US-Beamte

USA NEW YORK COSUMER CONFIDENCE
Zwangsurlaub für US-Beamte

File photo of the SEC seal in Washington

Rund 800.000 der zwei Millionen Staatsbediensteten sind in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt worden. Präsident Obama wies am Dienstag die Schuld den Republikanern zu: „Diese Schließung dreht sich nicht um Staatsdefizite oder Ausgaben oder Budgets. Ich fordere die Republikaner auf, die Verwaltung wieder zu öffnen.“ Ein Teil der Opposition habe sich für einen „ideologischen Kreuzzug“ gegen seine Gesundheitsreform entschieden und für die Lahmlegung der Regierung.

Über eine Woche dauerte das Gefecht um das neue Budget zwischen dem von der republikanischen Partei dominierten Repräsentantenhaus und dem Senat, wo die Demokraten von Obama die Mehrheit haben. Beiden Kammern gelang es nicht einmal, ein provisorisches Haushaltsgesetz für ein paar Wochen zu verabschieden.

Krankenversicherung

Kern der Auseinandersetzung zwischen den Parteien ist die Finanzierung des neuen Gesundheitsprogramms des Präsidenten, oft Obamacare genannt. Dieses trat ebenfalls am 1. Oktober in Kraft und bietet 50 Millionen Amerikanern erstmals die Möglichkeit für eine bezahlbare Gesundheitsversicherung. Da Teile der Gesundheitsreform direkt von den Steuereinnahmen finanziert werden, ist diese nicht vom föderalen Budget abhängig.

Die meisten Republikaner sehen Obamacare als eine Verletzung des US-Grundrechts auf Freiheit und beschwören die Gefahr für die Arbeitgeber, die durch Kassenbeiträge in den Ruin getrieben würden. Die Republikaner setzten alles in Bewegung, um die Reform zu stoppen, indem sie diese zu einem Teil der Abstimmung über den Haushalt machten. Im Repräsentantenhaus stimmte die republikanische Mehrheit wiederholt für ein neues föderales Budget ohne Geld für Obamacare. Der Senat machte diese Änderung mehrmals zunichte.

Es ist das erste Mal seit 17 Jahren, dass die US-Regierung zumacht. Damals stand die Verwaltung 26 Tage still. Damals kämpfte auch ein Demokrat – Präsident Bill Clinton – mit der republikanischen Mehrheit im Kongress um die Finanzierung des Gesundheitssystems, der Bildung und des Umweltschutzes.

Video: Obama über den Shutdown

Dass sogar die Sozialen Medien vom Stillstand in der Hauptstadt betroffen sind, zeigt dieser Tweet des U.S. Capitol:

WAS BEDEUTET EIN STILLSTAND FÜR STAATSBEDIENSTETE?

Die Bundesregierung ist der mit Abstand größte Arbeitgeber in den USA mit gut 3,4 Millionen Beschäftigten, davon 1,4 Millionen Soldaten. Der Großteil von ihnen gilt als unabdingbar. Rund 800.000 Staatsbediensteten droht aber unbezahlter Zwangsurlaub, etwa Angestellten in Nationalparks und Museen oder den Statistikern im Arbeitsministerium. Die Behörden für Umweltschutz, Arbeitssicherheit und Nahrungsmittelsicherheit werden ihre Kontrollen herunterfahren. Auch bei der Raumfahrtbehörde NASA sind tausende Angestellte betroffen, wichtige Projekte wie die Internationale Raumstation ISS bleiben von Kürzungen aber ausgenommen.

Im Weißen Haus und im Kongress müssen ebenfalls Mitarbeiter ohne Bezahlung daheimbleiben - der Politikbetrieb wird im Großen und Ganzen aber weiterlaufen. Die Soldaten des US-Militärs bleiben dagegen alle im Dienst. Auch die Flugsicherheit, die Geheimdienste, die Bundesgefängnisse und der Grenzschutz arbeiten normal weiter. Die "unentbehrlichen" Staatsbediensteten bekommen ihre Gehälter aber vermutlich erst nach dem Ende des Haushaltsnotstands ausgezahlt.

SPÜREN ALLE US-BÜRGER DIE EINSCHRÄNKUNGEN?

Millionen Menschen in den USA werden den Finanzierungsstopp bei alltäglichen Behördengängen merken - vor allem in der Hauptstadt Washington, die ein Bundesbezirk ist. Beim letzten Finanzkollaps Mitte der 1990er-Jahre kamen hier öffentliche Dienstleistungen wie die Müllentsorgung komplett zum Erliegen. Nun will Bürgermeister Vincent Gray die städtischen Dienste mit Rücklagen finanzieren, die laut "Washington Post" für etwa zwei Wochen reichen.

Pensionszahlungen sowie die staatlichen Gesundheitsprogramme für Ärmere und Alte, Medicaid und Medicare, sind dagegen nicht berührt. Die Behörden geben auch weiter Lebensmittelmarken an Bedürftige aus. Bei Neuanträgen auf staatliche Leistungen könnte es aber zu Verzögerungen kommen. Die Post wird dagegen weiter jeden Tag gebracht.

WIE WIRKT SICH EIN FINANZIERUNGSSTOPP AUF DIE WIRTSCHAFT AUS?

Präsident Barack Obama warnte, dass die finanzielle Lähmung der Regierung "Sand ins Getriebe" der sich erholenden Wirtschaft streuen werde. Die Staatsangestellten im Zwangsurlaub könnten ihre Rechnungen nicht bezahlen und würden weniger ausgeben, sagte Obama. Dem Wirtschaftskreislauf dürfte außerdem Geld entzogen werden, weil kleinere Unternehmen und Hauskäufer auf staatliche Kreditgarantien warten müssen.

"Ein Stillstand wird sofort sehr reale wirtschaftliche Auswirkungen auf echte Menschen haben", sagte Obama. Experten gehen davon aus, dass ein zweiwöchiger "government shutdown" das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal um 0,3 Prozentpunkte senken würde. Der Ökonom Stephen Fuller von der George Mason University sagte der "Washington Post", dass ein Haushaltsnotstand alleine den Großraum Washington täglich 200 Millionen Dollar kosten könnte.

SIND AUCH AUSLÄNDER BETROFFEN?

Touristen, die in die USA reisen, werden die Auswirkungen spüren: Die mehr als 350 Nationalparks sind nicht mehr zugänglich. Das Smithsonian in Washington, der größte Museumskomplex der Welt, und die Freiheitsstatue in New York müssen dicht machen. Das US-Außenministerium bestritt am Montag aber, die Visa-Abteilungen in seinen Botschaften rund um den Globus zu schließen. Einreiseanträge würden weiter bearbeitet, versicherte Sprecherin Jennifer Psaki. Auch die Aktivitäten der US-Entwicklungshilfe USAID könnten für eine "begrenzte Zeit" normal fortgeführt werden.

Museen bleiben geschlossen, Impfprogramme werden zurückgefahren, Kontrollbehörden arbeiten nicht – kein Problem für eine kleine Gruppe ultra-konservativer Hardliner im amerikanischen Kongress. Wichtig ist diesen vier Dutzend parlamentarischen Amokläufern, die mittlerweile die ganze republikanische Partei vor sich her treiben, nur eines: Präsident Obamas Gesundheitsreform muss verhindert werden. Koste es, was es wolle – und sei es ein Regierungsstillstand, weil der Kongress wegen der republikanischen Blockade kein Budget verabschieden kann.

Diesen vollkommen verzichtbaren Geld-, Zeit- und Imageschaden für die USA mag man auf der anderen Seite des Atlantiks belächeln. Grimmig aber wird es auch hierzulande, wenn besagte Rechtsaußen-Extremisten mit ihren Erpressungen ein gewaltiges Zerstörungspotenzial ausspielen. Wenn sie nämlich in zwei Wochen auch die Erhöhung der US-Schuldenobergrenze blockieren – mit unabsehbaren Folgen für die Weltwirtschaft.

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