EU und NATO vereinbaren engere Zusammenarbeit

EU-Ratspräsident Tusk, Stoltenberg (NATO) und Kommissionspräsident Juncker
Die strategische Partnerschaft sieht ein abgestimmtes Vorgehen in Flüchtlingskrise und gegen Cyber-Attacken vor.

Angesichts der wachsenden Bedrohungen durch Konflikte und Krisen haben die EU und die NATO eine stärkere Zusammenarbeit vereinbart. Beide Seiten unterzeichneten am Freitag am Rande des NATO-Gipfels in Warschau eine gemeinsame Erklärung, um ihrer "strategischen Partnerschaft" einen neuen Schub zu verleihen.

Vorgesehen ist unter anderem ein abgestimmtes Vorgehen in der Flüchtlingskrise im Mittelmeer und gegen Cyber-Attacken gegen wichtige Infrastruktur wie Energienetze oder das Bankensystem. "Unsere Sicherheit ist verflochten und wir sehen uns einer Reihe nicht da gewesener Herausforderungen gegenüber", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, zu der Zusammenarbeit gebe es angesichts der Vielzahl von Krisen und Bedrohungen "keine Alternative".

EU und NATO vereinbaren engere Zusammenarbeit
A general view of the temporary buildings where NATO Summit meetings are taking place are seen inside Stadion Narodowy in Warsaw, Poland July 8, 2016. REUTERS/Jonathan Ernst
Ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit ist die sogenannte hybride Kriegsführung, die Russland im Ukraine-Konflikt vorgeworfen wird. Dabei geht es um Taktiken, die auf Täuschung und Verschleierung beruhen statt auf dem offenen Einsatz herkömmlicher militärischer Mittel. Sie reicht von Propaganda und Desinformation über wirtschaftlichen Druck und Hacker-Angriffe bis zum Einsatz von verdeckt arbeitenden Militäreinheiten.

Mehr Militärmanöver, Stärkung der Verteidigungsindustrie

Stoltenberg zufolge gibt es bereits "Drehbücher", auf welche Bedrohungen die EU und auf welche die NATO reagieren würde, wenn es zu solchen Angriffen auf Mitglieder kommt. Vorgesehen sind auch mehr abgestimmte Militärmanöver von EU und NATO sowie die Stärkung der Verteidigungsindustrie in den Mitgliedstaaten.

Zudem sehen beide Seiten im Mittelmeer ein ausbaufähiges Feld der Zusammenarbeit, nachdem die NATO vor der türkischen Küste mit einem Marineeinsatz erstmals in der Flüchtlingskrise aktiv geworden ist und eng mit der EU-Grenzschutzbehörde Frontex zusammenarbeitet. Nun wird auch eine Kooperation der NATO mit der EU-Marinemission "Sophia" geprüft.

Russland wirft NATO Kurzsichtigkeit vor

Russland hat der NATO Kurzsichtigkeit bei ihren Plänen für Truppenverlegungen nach Osteuropa vorgeworfen. "Es ist absurd, über eine Bedrohung aus Russland zu sprechen, wenn im Nahen Osten täglich Hunderte Menschen sterben", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag der Agentur Interfax zufolge in Moskau.

Die NATO will bei ihrem Gipfel in Warschau beschließen, etwa 4.000 Soldaten ins Baltikum und nach Polen zu schicken. "Wir hoffen, dass sich der gesunde Menschenverstand und der politische Wille durchsetzen, eine Konfrontation zu vermeiden", sagte Peskow. Zugleich begrüßte er die Worte von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, das Bündnis sei nicht auf Konfrontation aus. Moskau sei zum Dialog mit der NATO bereit, bekräftigte Peskow.

Der russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschjow kritisierte das NATO-Treffen als "Gipfel großer Worte und kleiner Taten". Es werde viel geredet über Russland und die Sicherheit osteuropäischer Staaten. Aber auf die echten Gefahren für Europa wie Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Migration habe die NATO keine Antworten, meinte Kossatschjow.

Spannender werde das Treffen des NATO-Russland-Rates im Anschluss an den Gipfel, sagte er. "Dort werden wir sehen, wie dialogbereit die Allianz ist."

Es ist – von den Sicherungsmaßnahmen her gesehen – das wohl wichtigste Ereignis, das die polnische Hauptstadt je veranstaltet hat. Und vom konkreten Austragungsort der womöglich ungewöhnlichste Gipfel in der NATO-Geschichte: Alle zentralen Treffen finden im Fußball-Nationalstadion im Zentrum der Stadt statt. Die wie ein Flechtkorb aussehende, rot-weiße Arena wurde bereits bei ihrer Errichtung anlässlich der Fußballeuropameisterschaft 2012 mit einem integrierten Kongresszentrum ausgestattet. Wegen des Gipfels wurde am Stadion nun eine zusätzliche drei Kilometer lange Schutzmauer errichtet. In dieser "Null-Zone" gilt die höchste Sicherheitsstufe umfasst. Die Mauer soll auch Proteste gegen Gipfel und NATO auf Distanz halten.

Gästeliste

Für NATO- und Kriegsgegner wird es dabei allerhand internationaler Persönlichkeiten geben, gegen die sie protestieren können. Denn erwartet werden Staats- und Regierungschefs sowie Minister aus 28 NATO-Staaten, 26 Partnerländern und Vertreter von Institutionen wie EU und UN. Unter den Gästen sind etwa US-Präsident Barack Obama, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie EU-Ratspräsident Donald Tusk. Die österreichische Delegation wird von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) angeführt.

Rund 7000 Polizisten, teilweise aus anderen Landesteilen herangezogen, werden für ihre Sicherheit sorgen. Hinzu kommen weitere Sicherheitskräfte, vor allem Personal des Büros zur Verteidigung der Regierung (BOR), das für den Schutz der VIPs verantwortlich zeichnen wird. Regierungsvertreter der in Warschau regierenden nationalkonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) unterstreichen dabei immer wieder, dass die Sicherheit der Gäste garantiert sei. "Das Ereignis wird ein Durchbruch, wenn es um die Sicherheit des polnischen Staates geht", sagte Innenminister Mariusz Blaszczak. Sein Ressort ist maßgeblich für die Sicherheitsmaßnahmen verantwortlich, etwa 10.000 Mitarbeiter der beteiligten Dienste sind dem Innenministerium unterstellt.

Umstrittene Befugnisse

Die Koordination der Sicherheitsmaßnahmen erfolgt dabei über einen Führungsstab, der im hauptstadtnahen Legionowo seine Zentrale hat. Neben Polizei, BOR und Grenzschutz wird von dort aus auch die Arbeit des Inlandsgeheimdienstes ABW koordiniert, der für den Antiterror-Schutz verantwortlich ist. Die ABW hat seit der kürzlichen Einführung eines Anti-Terror-Gesetzes vom 1. Juli an weitgehendere Befugnisse als bislang, vor allem beim Vorgehen gegenüber Ausländern. Unterstützung bekommen die polnischen Dienste während des Gipfels von der internationalen Polizeiorganisation Interpol – es sind Experten der Interpol-Einheit IMEST, die bei der Sicherheitskoordinierung von Großereignissen eingesetzt werden.

Die heiße Phase der Vorbereitungen läuft seit Wochen. Im Juni war es zu einer erheblichen Panne gekommen, als vertrauliche Schutzpläne mit detaillierten Angaben durch einen eMail-Fehler durchsickerten. Der Chef des Führungsstabs musste seinen Hut nehmen, obwohl die Polizei davon sprach, dass die Vorgänge "keine Gefahr für die Operation darstellen".

Auch der BOR-Dienst steht unter genauer Beobachtung. Laut Regierungsplänen könnte die Einheit noch im laufenden Jahr aufgelöst werden – zu Beginn des Jahres war Präsident Andrzej Duda in einen Autounfall verwickelt, für den der Dienst verantwortlich gemacht wird.

Luftüberwachung

Während des Gipfels werden über dem gesamten Landesgebiet mehrere Awacs-Aufklärungsflugzeuge für Überwachung sorgen, zugleich sind ab 6. Juli für fünf Tage Flüge von Kleinflugzeugen sowie Drohnen im Umkreis von 100 km rund um Warschau untersagt. Polizei- sowie BOR-Einheiten überprüfen bereits seit Tagen die maßgeblichen Orte und Trassen auf Sprengstoffe, ein gutes Dutzend Straßen wird an den beiden Tagen komplett gesperrt. Mehrere Spitäler in der Stadt sind auf die etwaige Aufnahme von Verletzten vorbereitet.

Und auch jenseits der Hauptstadt greifen Gipfel-Vorkehrungen. Anfang Juli führte der polnische Grenzschutz vorübergehend Grenzkontrollen auch an den Grenzen zu den EU-Staaten wieder ein. Diese sollen bis nach dem zweiten Großereignis des Monats, den katholischen Weltjugendtagen Ende Juli, greifen, werden jedoch nur stichprobenartig durchgeführt.

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