Brexit: Alte bestimmen die Zukunft der Jungen

Junge Remain-Befürworter nach der langen Wahlnacht
Junge waren mehrheitlich für den Verbleib in der Union, Ältere stimmten für den Austritt. Mit den Konsequenzen leben müssen aber die Jüngeren.

"Unsere Zukunft wurde von alten Leuten besiegelt, die nicht mehr lange genug leben, um die Konsequenzen wirklich mitzukriegen", schreibt eine Twitter-Userin. Und Imogen, die Tochter von Andrew Lloyd Webber, schließt sich den Tausenden wütenden 20ern und 30ern an: "Die Alten haben für die Jungen entschieden, aber müssen damit nicht leben. Verheerend." Die Generation Europa zeigte Wut, Enttäuschung, Ernüchterung gegenüber dem Abstimmungsverhalten älterer Briten in sozialen Medien – in denen sie die Mehrheit bildet.

Die über 65-Jährigen haben sich eindeutig (mit ca. 61 Prozent) für einen EU-Austritt ausgesprochen. Während die Jungen gerne EU-Bürger geblieben wären. Von den unter 25-Jährigen waren es sogar mehr als 70 Prozent.

Gleich wie in Österreich

Großbritannien ist tief gespalten. Ähnlich wie Österreich bei der vergangenen Bundespräsidentenwahl zeigen sich "stark ausgeprägte generative wie sozioökonomische Differenzen", analysiert Politikwissenschaftler Fritz Plasser im KURIER-Gespräch.

"Die Muster aus den britischen Exit-Polls decken sich völlig mit jenen in Österreich, aber auch Deutschland oder Frankreich", sagt Plasser.

Die Altersgruppen, aber auch andere Faktoren ziehen tiefe Gräben durch europäische Länder: Auf der einen Seite stehen die jungen, gebildeten, wohlhabenderen Bürger; auf der anderen Seite ältere, weniger gebildete, ärmere Bevölkerungsgruppen.

Das zeigte sich auch bei Brexit: 62 Prozent der oberen sozialen Schichten und 70 Prozent der Universitätsabsolventen stimmten für den Verbleib. 60 Prozent der unteren sozialen Schichten bzw. 68 Prozent der schlechter Gebildeten für Brexit. Die FPÖ in Österreich nährt sich an dieser Kluft ebenso wie der FN in Frankreich oder die AfD in Deutschland.

Emotion und Fortschritt

Die Kluft der Generationen wurde am Donnerstag besonders sichtbar. Junge, die ihr ganzes bzw. einen großen Teil ihres Lebens als EU-Bürger verbracht haben, sehen in der EU nicht nur eine Vereinigung von Mitgliedern. "Sie sehen wirtschaftliche Stabilität, Prosperität, Wachstumschancen, Offenheit und Pluralität. Für sie sind die Niederlassungsfreiheit und die damit zusammenhängenden Mobilitätschancen durchaus attraktiv, während sie für Ältere nicht mehr so relevant sind", gibt Plasser zu denken.

Ältere hätten oft das Gefühl, dass die EU eher eine "Bedrohung" darstellt. "Es dominiert der Kontrollverlust, der Eindruck, bestimmt zu werden." Hinzu komme, dass die EU offenbar kein geeignetes Mittel gefunden hat, um einer Finanzkrise entgegenzusteuern.

Ältere blicken auf eine Tradition der Souveränität zurück – durchaus mit Nostalgie. Der emotionale Verlust stehe dem Fortschritt gegenüber, den die Jungen mehrheitlich in der EU erkennen können. Plasser spricht von einer "scharfen generativen Trennung" bei der Einstellung zur EU. "Ich würde es fast einen Generationenkonflikt nennen".

Sieht so aus, als hätte sich Noch-Premier David Cameron auch bei den Generationen verzockt: Im Vorfeld des Referendums hatte er den Vorschlag von Labour, Liberaldemokraten und Schottenpartei abgelehnt, 16- und 17-Jährige zur Abstimmung zuzulassen. Lib-Dem-Chef Tim Farron: "Junge haben für ihre Zukunft gestimmt, aber sie wurde ihnen weggenommen."

Zunächst sah es so aus, als wäre aus dem Brexit nichts geworden. Kurz nach Wahlschluss prophezeiten Umfragen und Gerüchte noch einen Sieg des Remain-Lagers. Nigel Farage, der Chef der nationalistischen UKIP-Partei, sah sich bereits veranlasst, Journalisten zu erzählen, wen er für die Schuldigen hielt: jene tausende Bürger, die sich zwei Wochen zuvor in letzter Minute noch für die Wahl registriert hatten, unter ihnen viele junge Menschen. „Sie haben eine Riesenmenge junger Leute gekriegt, das wird den Unterschied machen“, sagte er.

Sie machten ihn nicht. Die Briten stimmten am Ende doch noch für den Austritt aus der EU. Wäre es aber nach den Jungen gegangen, das „Ja“ zur EU wäre überwältigend gewesen. 75 Prozent der 18 bis 24-Jährigen stimmten laut einer Umfrage für den Verbleib. Bei den 25 bis 49-Jährigen waren es immer noch 56 Prozent. In der Generation 65+ wählten hingegen 61 Prozent den Austritt.

Nicht nur das Alter, auch Einkommenshöhe, Bildungs- und Urbanitätsgrad trennten die Lager. Doch am Tag nach der Wahl herrschte trotzdem die Auffassung vor, dass die ältere Generation eine langfristige Entscheidung getroffen habe, deren Konsequenzen aufgrund der längeren Restlebenszeit vor allem die Jungen tragen werden, die dagegenstimmten. Der Politologe Fritz Plasser spricht gegenüber dem KURIER von einer "scharfen generativen Trennung" bei der Einstellung zur EU. "Ich würde es fast einen Generationenkonflikt nennen".

Der Generationenkonflikt zieht sich derzeit quer durch Europa. Junge Menschen sind bei Wahlen und Referenden für Politik zwar offenbar für Politik zu begeistern. Aber an den Wahlurnen geben noch immer ihre Eltern und Großeltern den entscheidenden Ausschlag. Auch beim schottischen Referendum im Jahr 2014 waren es vor allem die älteren Wähler, die sich gegen die Unabhängigkeit des Landes aussprachen. Die Jungen waren mehrheitlich dafür. In Österreich wählte eine 2013 eine große Mehrheit der Jungen für die Abschaffung der Wehrpflicht. Die Alten sagten "Njet", die Wehrpflicht blieb. Ist das System ungerecht geworden?

"Beim Brexit-Referendum haben wieder einmal die Alten der jüngeren Generation ihre Meinung aufgedrückt", sagt Wolfgang Gründinger, Buchautor und Sprecher der deutschen Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Der 32-Jährige nennt sich "Zukunftslobbyist" und ist in Deutschland eine der lautesten Stimmen in der Debatte um die politischen Rechte der Jungen. "Die älteren Generationen gewinnen immer mehr an Macht, was Wählerstimmen und Ressourcen angeht, die Politik zu beeinflussen" , sagt er. "Da wird die Jugend zu einer unbedeutenderen Minderheit." Er sehe die Entwicklung, dass "immer mehr Menschen zurück in die Vergangenheit wollen und versuchen, ein Land für ewig im Weckglas einzuschließen".

Lobbying für die Jugend

Um das zu verhindern betreiben Gründinger und seine Mitstreiter klassisches Lobbying. Sie sprechen bei Politikern vor, erstellen Gutachten oder organisieren Flashmobs, um die politische Willensbildung zugunsten der Jungen zu beeinflussen. Sie treten für Jugendquoten in Parteien ein, in der Hoffnung, dass ihre Stimme so eher gehört werden könnte.

Diese Bestrebungen scheitern jedoch meist an der Realpolitik. In Österreich sind die Pensionistenverbände nach wie vor mächtige Player, Senioren verlässliche Wähler der beiden Regierungsparteien. Die Generation der Babyboomer verschiebt das Machtgefüge zusätzlich immer weiter in höhere Altersstufen. Weil es die Geburtenrate nicht schafft, lässt sich der Einfluss der jüngeren Bürger hauptsächlich durch Wahlrechtsreformen, also die Erweiterung des Wählerpools bewerkstelligen. Österreich hat mit der Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre eine Vorreiterrolle eingenommen. Beim Referendum im Vereinigten Königreich betrug es 18 Jahre.

Kinder an die Urnen?

Geht es aber nach dem Jugend-Aktivisten Gründinger, sind auch 16 Jahre noch zu hoch gegriffen. Er gilt als Verfechter des Kinderwahlrechts, bei dem es keine fixe Altersgrenze gäbe. Kinder und Jugendliche sollten mitbestimmen dürfen, weil sie durchschnittlich am längsten mit politischen Entscheidungen zu leben haben, so lautet eines Hauptargumente für die Idee.

Das bedeutet in der Regel zwar nicht, das Säuglinge wahlberechtigt wären. Wählen würde aber jeder können, der es ausdrücklich will. "Man könnte das Wahlalter für Kinder und Jugendliche öffnen, ihre Interessen würden dadurch gestärkt werden", sagt Gründinger. "Es gibt schließlich auch keine Altersgrenze nach oben."

Tatsächlich dürfen selbst sehr alte oder schwerkranke Personen, die längst nicht mehr im Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten sind, wählen. Kinder aber nicht. Fritz Plasser hält die Bestrebungen das Wahlalter weiter nach unten zu setzen grundsätzlich für "nachvollziehbar und diskussionswürdig". "Ich habe aber große Vorbehalte", sagt er.

"Die Frage ist, ob eine Person mit 13 befähigt ist, eine selbstständige, auf ihr Urteil begründete Wahlentscheidung abzugeben, auch wenn der Informationsstand der Jungen heute ungleich fortgeschrittener ist, als noch vor ein paar Jahrzehnten." Er glaube auch, sagt Plasser, dass eine solche Regelung auf Unverständnis stoßen würde.

Die Auffassung, dass Kinder nicht reif genug zum Wählen seien, steht der Senkung des Wahlalters bisher felsenfest im Weg. In Deutschland wird die Debatte jedenfalls immer wieder geführt. Im Jahr 2005 brachte ein Abgeordneter der deutschen FDP einen diesbezüglichen Antrag im Bundestag ein, der jedoch abgelehnt wurde. Auch eine parteienübergreifende Initiative im Jahr 2008 scheiterte letztendlich.

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