Geheimdienst-Affäre erreicht Merkel

Er wurde in künstlichen Tiefschlaf versetzt und befand sich am Montagnachmittag noch in Lebensgefahr.
Kooperation BND mit NSA: SPD-Chef Gabriel macht Druck auf die deutsche Kanzlerin.

Eine Abhöraffäre mit rasch wachsender Sprengkraft beschäftigt Berlin: Die enge Zusammenarbeit des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND mit dem US-Abhördienst NSA zeigt Spuren, die nach deutschem Recht illegal sind. Weil die Geheimdienste vom Kanzleramtsminister kontrolliert werden, trifft das nun auch Kanzlerin Angela Merkel: SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel betonte, sie habe ihm zwei Mal versichert, dass der BND keine Wirtschaftsspionage treibe. Sein Hinweis auf Merkels Mitverantwortung gilt in Berlin als Affront gegen die sonst so unangreifbar scheinende Regierungschefin – und als neuer Riss in der Koalition.

Begonnen hatte die Aufregung im Bundestags-Untersuchungsausschuss zur exzessiven Datenüberwachung, die der Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden verraten hatte. Das Innenministerium räumte ein, dass in der BND-Abhöranlage im bayerischen Bad Aibling jahrelang Telefone und Computer überwacht wurden, die nicht als feindlich gelten durften.

Dazu gehörten französische Regierungsstellen und andere in der EU, auch österreichische. Der BND habe 2000 von den USA angefragte Adressen ausgespäht und die Inhalte auch selbst genutzt. Darunter waren Unternehmen wie der französisch-deutsche Flugzeug- und Rüstungskonzern EADS.

Weil die NSA die Begründungen dafür geheim hält, sind die Informationen des Ausschusses bruchstückhaft. Und damit auch die der Presse, in die sie trotz Vertraulichkeit gelangten. Daher ist unklar, wie illegal das Abhören war: Ginge es um Proliferation von geheimer Militärtechnik oder den Bruch der Iran-Sanktionen, wäre das vertretbarer als US- Wirtschaftsspionage.

Auf jeden Fall verstieß der BND gegen das Verbot aller Kanzler seit Helmut Kohl, Verbündete zu bespitzeln – auch wenn viele das in Deutschland selbst tun, am meisten wohl Frankreich.

Aufrufe zum Rücktritt

Der damals verantwortliche Kanzleramtschef, der jetzige Innenminister Thomas de Maiziere (CDU), versicherte bisher, dass die Abhöraktion "völlig legal" gewesen sei. Das widerlegte am Montag die BND-Spitze erstmals selbst: Ab 2002 hätte die NSA teils freie Hand in Bad Aibling gehabt, der Schaden sei aber nicht relevant gewesen.

Die Opposition und auch die SPD versuchen seit Tagen, BND-Chef Gerhard Schindler und de Maiziere zum Rücktritt zu treiben. Dass Gabriel nun aber Merkel in den Focus rückt, gibt der Affäre eine neue Qualität – und Merkels baldiger Befragung im Ausschuss Sprengkraft: Verbale Widersprüche sind oft gefährlicher für die Befragten als der Anlass selbst.

Den wiederholten Versprechen von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die Rolle amerikanischer Geheimdienste in Österreich aufzuklären, schenken die Grünen keinen Glauben. Sicherheitssprecher und Nationalratsabgeordneter Peter Pilz verweist auf die vertraglich fixierte enge Zusammenarbeit zwischen österreichischen und amerikanischen Diensten. Österreichs Nachrichtendienste seien so quasi „Filialen“ der CIA und der NSA. Österreich nennt Pilz eine „geheimdienstliche Bananenrepublik“. Nachsatz: „Wegen der Unterwürfigkeit.“

Und Pilz verweist auch darauf, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung zugleich für Spionageabwehr zuständig sei – dass also eine Ministeriums-interne Aufklärung schon wegen der Kompetenzen zu nichts führen könne. Notwendig sei eine parlamentarische Aufklärung. Denn wenn in Österreich das Parlament nicht untersuche, dann untersuche niemand: „Das Innenministerium schläft, das Verteidigungsministerium schläft, die Staatsanwaltschaft schläft“, so Pilz. Alle machten sich „in die Hose“, wenn die US-Botschaft finster dreinschaue. Dabei wisse man aus Dokumenten, die über WikiLeaks oder Edward Snowden publik wurden, wer die US-Spione in Österreich seien, wo sie säßen, wie sie arbeiteten, und dass sie von der US-Botschaft dirigiert würden.

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