Israel verkündet humanitäre Waffenruhe

Eine vierstündige Waffenruhe soll vorerst zu einem Ende der Qualen führen
In einem Gebiet, in der die Waffenruhe nicht gilt, wurden mindestens 15 Menschen getötet.

Bei einem Luftangriff der israelischen Armee auf einen Markt im Gazastreifen sind am Mittwoch nach palästinensischen Angaben 15 Menschen getötet und 150 weitere verletzt worden. Ziel der Attacke war ein gut besuchter Markt in Schedschaija, einem Vorort von Gaza-Stadt, wie der Sprecher der palästinensischen Rettungskräfte, Ashraf al-Kudra, mitteilte.

Zuvor hatte Israel hatte eine vierstündige humanitäre Feuerpause im Gazastreifen angekündigt. Diese sollte von 14.00 bis 18.00 Uhr MESZ gelten, sagte eine israelische Militärsprecherin in Tel Aviv. Nach Angaben israelischer Medien gilt die Feuerpause nicht im gesamten Gebiet des Gazastreifens. Jene Bereiche, wo das israelische Militär nach den Tunnelsystemen der Hamas sucht, seien von der humanitären Waffenruhe ausgenommen.

Unterdessen gab die Hamas offen zu, sie hoffe, dass "die libanesische Front eröffnet wird, damit wir dieses Gebilde ( Israel) bekämpfen können". Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte vor kurzem erklärt, dass seine Bewegung den Palästinensern im Gazastreifen gegen die israelischen Angriffe zur Seite stehen werde. Bis jetzt hat die Hisbollah aber keine Anstalten gemacht, sich in die Kämpfe einzuschalten.

Medien: Demonstranten erschossen

Nach einem Bericht des israelischen Fernsehsenders Channel 10 sollen im kriegszerstörten Stadtviertel Shajaiya in Gaza dutzende Palästinenser auf die Straße gegangen sein, um gegen die Fortsetzung der Kampfhandlungen zu protestieren. 20 von ihnen seien von Hamas-Kämpfern erschossen worden, hieß es in einer am Mittwoch der APA übermittelten Aussendung des "Jüdischen Medienforums".

Der Report stützt sich demnach auf die Übersetzung von Berichten aus palästinensischen Quellen. Die Demonstranten sollen die Hamas für die Zerstörung ihres Viertels verantwortlich gemacht haben. Die Antwort der Hamas sei gewesen, alle sofort zu töten, hieß es während einer Studio-Diskussion bei Channel 10. Einer der Teilnehmer spekulierte, dass es sich nicht um die einzige Demonstration dieser Art gehandelt habe.

Ein anderer Diskutant wies darauf hin, dass während des gesamten Gaza-Kriegs kein einziger Hamas-Führer in der Öffentlichkeit aufgetreten sei, um die Gruppe zu repräsentieren.

Botschafter ziehen sich zurück

Fünf lateinamerikanische Länder haben ihre Botschafter aus Israel zu Konsultationen zurückgerufen. Brasilien, Chile, Ecuador und Peru protestierten damit gegen die israelische Militäroperation im Gazastreifen, am Mittwoch folgte El Salvador, wie die israelische Zeitung Haaretz berichtete. Der israelische Außenamtssprecher Yigal Palmor kritisierte, mit diesem Schritt werde die "Terrororganisation" Hamas ermutigt.

Die Staaten des südamerikanischen MERCOSUR-Blocks riefen unterdessen bei ihrem Gipfel in Caracas zum sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen auf. "Wir glauben, dass der israelisch-palästinensische Konflikt das Potenzial hat, die ganze Region zu destabilisieren", sagte Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff.

UN-Schule getroffen

Am Mittwochmorgen hat die israelische Armee eine Schule der UNO-Hilfsorganisation UNRWA im Flüchtlingslager Jabalia beschossen. Zwei Klassenräume wurden von Panzergranaten verwüstet, mindestens 16 Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Umgehend hatte das UN-Hilfswerk Israel einen "schweren Verstoß gegen das internationale Recht" vorgeworfen. "Ich verurteile in der schärfsten möglichen Formen diese schwere Verletzung des internationalen Rechts durch die israelischen Streitkräfte", erklärte der UNRWA-Leiter Pierre Krähenbühl am Mittwoch.

Indes beschuldigt Israel die Hamas, in öffentlichen Einrichtungen Waffen zu verstecken. Der Rundfunk berichtete am frühen Mittwochmorgen, dass wieder Waffen in einer UNRWA-Schule in Gaza gefunden worden seien. Auch die UNO zeigte sich bestürzt und beschuldigte militante Palästinenser, "die Neutralität einer unserer Einrichtungen verletzt" zu haben.

Die israelische Armee hatte wiederholt auch Schulen oder Moscheen nach einer kurzen Vorwarnung angegriffen, wenn sie dort Waffenlager vermutete. Der israelische Regierungssprecher Mark Regev sagte dem US-Fernsehsender CNN, die Hamas sei für alle Toten aufseiten der Palästinenser und Israels verantwortlich, da sie dafür sorge, dass der Konflikt weiter gehe. Bei einem weiteren Angriff sind sechs Mitglieder einer palästinensischen Familie getötet worden, darunter drei Kinder.

Israel verkündet humanitäre Waffenruhe
Light streak trail is seen as a rocket is launched from the northern Gaza Strip towards Israel July 29, 2014. Israel knocked out Gaza's only power plant, flattened the home of its Islamist Hamas political leader and pounded dozens of other high-profile targets in the enclave on Tuesday, with no end in sight to more than three weeks of conflict. A number of rockets were fired from Gaza toward southern and central Israel, including the Tel Aviv area. At least one was intercepted by Israel's Iron Dome anti-missile system. No casualties or damage were reported. REUTERS/ Amir Cohen (GAZA - Tags: POLITICS CIVIL UNREST MILITARY)

Jüdische Auszeichnung

Am Mittwoch wurde zudem bekannt, dass der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan eine ihm 2004 verliehene Auszeichnung des American Jewish Congress (AJC) zurückzugeben wird. Die jüdische Gruppe hatte die Rückgabe verlangt, nachdem Erdogan scharfe Kritik an Israel wegen des Gazakonflikts geäußert hatte. Erdogan, der sich um das türkische Präsidentenamt bewirbt, hatte Israel wegen des Vorgehens im Gazastreifen unter anderem des Völkermordes beschuldigt und mit dem Hitler-Regime verglichen.

Wie die israelische Zeitung Haaretz unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AP weiter berichtete, schrieb der türkische Botschafter in den USA, Serdar Kilic, im Namen Erdogans einen Brief an AJC-Präsident Jack Rosen. Darin heißt es, Erdogan gebe den Preis mit Freude zurück wegen Israels Vorgehen im Gazastreifen und der "bedauernswerten Haltung der gegenwärtigen Führung des AJC angesichts der jüngsten Angriffe auf unschuldige Zivilisten in Gaza".

Waffenruhe dementiert

Die Tunnel (siehe unten), mit denen Ausrüstung in den Gazastreifen geschmuggelt wird, stehen im Zentrum der israelischen Angriffe. Israel begründet seine Offensive mit dem anhaltenden Raketenbeschuss radikaler Palästinenser. Der Militärchef der Hamas machte wiederum eine Waffenruhe vom Ende der Militäroffensive abhängig. Auch die Blockade der Enklave müsse aufgehoben werden, sagte Mohammed Deif am Dienstag in einer über den TV-Sender der Hamas verbreiteten Audio-Botschaft.

Die radikal-islamische Hamas dementierte zudem eine Mitteilung des PLO-Funktionärs Jasser Abed Rabbo, wonach die militanten Palästinenser-Fraktionen in Gaza einer 72-stündigen Waffenruhe zugestimmt hätten. Das sei erst denkbar, wenn sich auch Israel dazu verpflichte und es internationale Garantien gebe, sagte Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri in Gaza.

Schutzsuchende

Die Zahl der Schutzsuchenden gab UNRWA-Sprecher Gunness am Dienstagabend mit mehr als 200.000 an. Das waren fast 20 000 mehr als noch am Morgen. Zudem wurde auch noch das einzige Kraftwerk des Gazastreifens von Granaten in Brand gesetzt. In weiten Teilen des Gebiets fiel der ohnehin nur stundenweise zur Verfügung stehende Strom ganz aus. Palästinenser und Israelis bezichtigten sich gegenseitig, die Geschosse abgefeuert zu haben.

Auch in Israel litten die Menschen unter den Folgen des Krieges. Erstmals wurden die Bürger der israelischen Mittelmeermetropole Tel Aviv auch mitten in der Nacht von Luftalarm aus den Betten geholt. Zwei Raketen aus dem Gazastreifen seien nahe Rishon Lezion südöstlich von Tel Aviv eingeschlagen, teilte die Armee mit.

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epaselect epa04334915 Smoke rises from Tuffah neighbourhood after Israeli air strikes in the east of Gaza City, 29 July 2014. Violence escalated overnight, as Israel renewed intense airstrikes on Gaza in response to barrages of Palestinian rockets after an attempted unofficial truce for the three-day Eid al-Fitr holiday crumbled. EPA/MOHAMMED SABER

Mehr als tausend Tote

Ungeachtet aller internationalen Appelle für eine Waffenruhe hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu eine Fortsetzung der Militäroffensive angekündigt. "Wir werden den Einsatz nicht beenden, bevor wir die Tunnel zerstört haben", erklärte er am Montag in einer Fernsehansprache.

Seit Beginn des israelischen Militäroffensive am 8. Juli starben nach neuesten Angaben des Gesundheitsministerium in Gaza mehr als 1.240 Menschen, über 7.000 wurden verletzt. Laut israelischem Militär starben 53 Soldaten und 3 Zivilisten. Auch fünf UN-Mitarbeiter, darunter drei für UNRWA tätige Lehrer, starben bei Angriffen.

Tag für Tag: Der Krieg und seine Opfer

Ein angeblicher Mitschnitt eines Telefonats zwischen US-Präsident Barack Obama und dem israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sorgt für Empörung in Israel. Nach Informationen der Times of Israel, die sich auf den israelischen TV-Journalisten Oren Nahari (Channel 1), der das Gespräch öffentlich gemacht hat, beruft, habe Obama Ministerpräsident Netanyahu "harsch" zurechtgewiesen.

Das Transkript zeigt eine "angespannte" und "feindselige" Konversation, so der Moderator im Fernsehen. Obama habe mit harschem Ton auf eine sofortige Waffenruhe gepocht und sich weiterhin besorgt um die Zahl der zivilen Opfer gezeigt. Die Regierungen in Washington und Jerusalem stellten umgehend die Echtheit des Transkripts in Frage und leugneten die Darstellung:

Weder Berichte noch ein angebliches Transkript spiegeln die Realität wieder.

Der TV-Journalist Nahari bleibt dennoch bei seinen Aussagen. Ihm sei das 35-minütige Transkript von einem hohen Beamten der Amerikaner zugesandt worden.

Auf Obamas Verlangen einer sofortigen Waffenruhe, reagierte Netanyahu mit der Frage: "Und was wird Israel für die Feuerpause bekommen?". In dieser Tonart ging das Gespräch auch weiter (englische Fassung finden SIe hier):

Obama: "Ich bin mir sicher, dass Hamas aufhören wird, Raketen zu schießen."

Netanyahu: "Aber Hamas hat alle fünf Waffenstillstände gebrochen. Es ist eine Terrororganisation, die sich der Zerstörung Israels verpflichtet hat."

Obama: "Ich wiederhole: Ich erwarte von Israel, alle Militäroperationen einseitig zu beenden. Die Bilder von der Zerstörung Gazas lassen die Welt von Israels Position abrücken."

Netanyahu: "Kerrys Vorschlag war völlig unrealistisch und hätte Hamas diplomatische und militärische Vorteile verschafft."

Obama: "Innerhalb einer Woche nach dem Ende der israelischen Militäroperationen werden Katar und die Türkei Verhandlungen mit der Hamas auf Basis des Waffenstillstands von 2012 beginnen, eingeschlossen der Belagerung und weiterer Beschränkungen Israels gegenüber Gaza."

Netanyahu: "Katar und die Türkei sind die größten Unterstützer der Hamas. Es ist unmöglich, auf sie als unabhängige Vermittler zu vertrauen."

Obama: "Ich vertraue Katar und der Türkei. Israel ist nicht in der Position, sich seine Vermittler aussuchen zu können."

Netanyahu: "Ich protestiere. Hamas wird weiter in der Lage sein, Raketen zu schießen und Tunnel für Terrorangriffe zu nutzen ..."

Obama (unterbricht Netanjahu): "Der Ball liegt bei Israel. Alle militärischen Operationen müssen gestoppt werden."

Obwohl der US-Präsident weiterhin Israels Recht auf Selbstverteidigung unterstützt, endete das Gespräch "unfreundlich" und "feindlich".

Auch wenn beide Seiten den Mitschnitt des am Sonntag getätigten Telefonats dementieren, könnte die Veröffentlichung des Telefonats die Beziehung zwischen Israel und USA weiter belasten. Die US-Regierung hatte sich bereits verstimmt zu Israels Kritk an John Kerry, US-Außenminister (Bild oben), geäußert.

Ihm wird aufseiten israelischer Medien vorgeworfen, sich bei seinen diplomatischen Friedensbemühungen nur mit den Veteranen von Katar und Türkei zu treffen. Somit öffne er einen Weg zur Gleichstellung Israels mit der radikalislamischen Hamas, erklärte die Presse in Israel.

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Benjamin Netanyahu (li.) und Barack Obama (re.)

In der Nacht auf Dienstag ist es zu den schwersten Kämpfen seit Beginn der israelischen Militäroffensive vor drei Wochen im Gazastreifen gegen die radikal-islamische Hamas gekommen. "Wir werden den Einsatz nicht beenden, bevor wir die Tunnel (der Hamas) zerstört haben", erklärte Israels Premier Benjamin Netanyahu neuerlich. Von diesem operativen Ziel wird sich Israel offenbar nicht abbringen lassen.

Tatsächlich sind die Tunnel, die aus dem Gazastreifen unter der Grenze nach Israel führen, eine ernst zu nehmende Bedrohung für israelische Zivilisten. Nach offiziellen Angaben des israelischen Militärs wurden bisher 32 Tunnel entdeckt, ein Teil davon Verbindungstunnel innerhalb des Gazastreifens. Gut ein Dutzend sind grenzunterschreitende, die in die Nähe von Dörfern und Kibuzzim in Israel führen. Der Zweck: Über die Tunnel können Hamas-Kämpfer eindringen und Terroranschläge verüben. Etwa die Hälfte der Tunnel wurden zerstört.

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Komplexes Netzwerk

Die Tunnel befinden sich zehn bis 20 Meter unter dem Boden und reichen bis zu drei Kilometer nach Israel hinein. Innen sind sie rund 170 mal 80 Zentimeter groß, meist mit Licht und Telefon ausgestattet. Die Tunnel sind oft in Zweier- oder Dreier-Paaren angelegt und miteinander verbunden. Auf israelischer Seite spalten sie sich in verschiedene Ausgänge, offenbar damit Hamas-Kämpfer von mehreren Seiten Siedlungen angreifen können. Eindringen von Hamas-Kämpfern nach Israel hat es schon gegeben, erst vergangene Woche wurden Radikale abgefangen, dabei starben auch israelische Soldaten.

Doch nicht nur unter Israel, sondern auch unter dem Gazastreifen selbst befindet sich ein komplexes Tunnel-Netzwerk, das verschiedene Waffenlager mit den nach Israel führenden Tunneln verbindet.

Israels Armee wirft der Hamas vor, wertvolle Ressourcen für Tunnelbau und Terrorzwecke verschwendet zu haben, anstatt sie in Infrastruktur im Gazastreifen zu investieren. Der Bau eines solchen Tunnels ist keineswegs billig – Israels Militär schätzt die Kosten auf rund drei Millionen US-Dollar je Tunnel.

"Selbst überrascht‘‘

Die Entdeckung dieses Anlagen-Netzes vor knapp zwei Wochen durch den Beginn der Bodenoffensive im Gazastreifen hat ganz Israel schockiert. Zwar sind Tunnel keine kriegstechnische Innovation, aber des Ausmaßes dieser Bedrohung war sich weder das Militär noch der Geheimdienst bewusst. Viele Tunnel aus dem Gazastreifen, das war bekannt, führen nach Ägypten, um Waffen und Drogen zu schmuggeln. Doch die Tunnel, die das Militär sucht, dienen einzig und allein dazu, Terroranschläge auf Zivilisten auszuüben und Terroristen in Israel einzuschleusen.

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An Israeli army officer stands at the entrance of a tunnel said to be used by Palestinian militants for cross-border attacks, during an army organised tour for journalists on July 25, 2014. U.S. Secretary of State John Kerry pressed regional leaders to nail down a Gaza ceasefire on Friday as the civilian death toll soared, and further violence flared between Israelis and Palestinians in the occupied West Bank and Jerusalem. REUTERS/Jack Guez/Pool (POLITICS CIVIL UNREST CONFLICT)

Die Zerstörung der Tunnel ist ein komplizierter Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Die Technologie zum Aufspüren von unterirdischen Gängen ist laut der israelischen Zeitung Haaretz zwar schon entwickelt, jedoch noch nicht vom Militär in Verwendung. "Man kann die Tunnel nicht auf einmal explodieren lassen‘‘ , erklärt der Pressesprecher der israelischen Armee, Major Arye Sharuz Shalicar, dem KURIER, "denn dabei würden wir gleichzeitig zivile Einrichtungen in die Luft sprengen.‘‘

Warum wurden die Tunnel nicht längst von israelischer Seite aus zerstört? Die meisten wären erst unmittelbar vor einem Anschlag der Radikalen geöffnet worden. Wie viele Tunnel es noch zu entdecken gibt? Shalicar weiß es nicht: "Wir sind selbst überrascht, wie viel da gegraben worden ist.‘‘

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