Gaza: "Es gibt keine militärische Lösung"

futurezone.at-Redakteur Jakob Steinschaden hat Israel bereist - und Stimmen zum Gaza-Konflikt eingefangen.

Seit 22. November herrscht Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel - die Woche davor dominierten die Luftangriffe der Israel Defense Force (IDF) auf terroristische Ziele im Gaza-Streifen und die Raketenangriffe auf israelische Städte die Nachrichten. Die blutige Auseinandersetzung mit mehr als 140 Toten konnte man aber nicht nur auf Nachrichten-Seiten und im TV verfolgen, sondern auch im Social Web. Videos auf YouTube und Facebook zeigten auf schaurig-verwackelten Bildern die Bombeneinschläge in Gebäuden im Gaza-Streifen quasi hautnah - und spalteten die Meinungen: Israel verteidigt sich zurecht gegen Terroristen, sagen einen. Die Palästinenser im größten Freiluftgefängnis der Welt rächen sich zurecht an ihren Erzfeinden, sagen die anderen.

Auf meiner Reise nach Tel Aviv und Jerusalem vor einigen Wochen habe ich einige Israelis kennengelernt, die ich zu den jüngsten Geschehnissen befragt habe.

Breite Unterstützung, aber auch Gegenstimmen

“Die Israelis haben es nicht mehr ertragen. Hamas schießt seit Jahren jeden Tag auf Zivilisten, und zuletzt hat es überhand genommen. Und das, obwohl Israel sich schon vor Jahren aus Gaza zurückgezogen hat. Deswegen wollen die meisten Israelis, dass die Regierung dem ein Ende setzt”, schreibt mir Yossi L. aus Tel Aviv. Auch Rick M., ein israelischer Internet-Unternehmer, bekräftigt: “Die Regierung hatte die Unterstützung einer großen Mehrheit der Bevölkerung, dass sie nach Gaza geht und das Terroisten-Nest ausräuchert.”

Doch es gibt auch Kritik an der Militäroperation. “Es gibt definitiv Gegenstimmen von der politischen Linken und vor allem in Social Networks, hauptsächlich Facebook”, erzählt mir Eyal E. aus Tel Aviv. “Die Leute in Israel sind grundsätzlich gespalten in jene, die Frieden wollen und jenen, die meinen, dass wir unser Land verteidigen müssen. Es ist dieser Tage das Hauptthema auf Facebook, und die eine Hälfte meiner Freunde unterstützt die Operation, die andere Hälfte ist dagegen.”

Leben unter dem “Iron Dome”

Mit dem Raketen-Abwehrsystem Iron Dome hat Israel eine potente Technologie, die in Sekunden Raketen abfangen kann, die auf israelische Städte geschossen werden. “Ich glaube, die Leute vertrauen Iron Dome, aber sie laufen trotzdem in die Schutzräume, wenn eine Rakete kommt”, sagt Yossi L. “Das System hat eine 90-prozentige Treffsicherheit, und du willst einfach nicht von den restlichen 10 Prozent erwischt werden. Man kann nicht einfach seinen Kaffee weiter in Ruhe trinken, wenn die Sirenen heulen.” Rick M. ist von der Technologie zwar begeistert, meint aber: “Iron Dome hat funktioniert und ist ein gutes Beispiel für die hervorragende israelische Technologie. Aber es ist nicht die Lösung für das Problem!”

Der neue Krieg hat viele der Israelis aber auch von anderer Seite voll erwischt. Zehntausende Reservisten wurden zu den Waffen gerufen - fast jeder hat Freunde, Familienmitglieder oder Bekannte, die vom Militär einberufen wurden. “Viele Menschen wurden eingezogen, und sie haben verstanden, warum sie in Gaza kämpfen müssten”, so Rick M. Das ganze Land hätte tiefe Solidarität erfasst, meint er.

Trotz breiter Unterstützung der israelischen Bevölkerung für die Militäroperation, bei der mehr als 1500 terroristische Ziele von der IDF angegriffen wurden, glaubt Yossi L.: “Auf lange Sicht müssen wir verstehen, dass es keine militärische Lösung für das Problem gibt, unsere Führer müssen sich zusammensetzen und reden. Allerdings erkennt die Hamas (die einzige Terrororganisation, die Land besitzt) Israel nicht an. Das verhindert Gespräche.”

Schwere Verhandlungen

Doch auch umgekehrt sind Verhandlungen schwer - die israelische Führung würde mit der Hamas, die auch von der EU als terroristische Gruppe eingestuft wird, niemals direkt verhandeln - und es gibt auch andere Gruppen neben der Hamas. “Bekanntlich ist `Jihad’ nicht nur ein Begriff für `Heiliger Krieg’, sondern auch ein Bewegung, unter anderem auch in Gaza. Die Jihad in Gaza unterwirft sich nicht der Hamas”, schreibt mir der österreichische Benediktinermönch Johannes Paul Abrahamowicz, der Israel schon oft bereist hat und die Region gut kennt. “`Raketen aus Gaza’ bedeutet nicht unbedingt `Raketen der Hamas’, sondern es kann sich auch um Raketen der Jihad handeln. Außerdem gibt es in Gaza noch Privatleute, die selbstgebastelte Raketen aus ihrem Hintergarten schießen. Von all den Raketen, die seit Jahren immer wieder auf Israel geschossen werden, sind manche größer, andere kleiner – beinahe spielzeugartig.”

Auch Propaganda auf beiden Seiten verhindert gegenseitige Anerkennung. “Die Hamas sorgt dafür, dass Palästinenser von Geburt an glauben, dass Juden getötet werden müssen”, sagt Eyal E. “Und die Israelis werden von den Medien mit der Vorstellung gefüttert, dass die Palästinenser der Feind sind.”

Hoffen, dass die Waffenruhe hält

Die Waffenruhe auf Vermittlung Ägyptens hält bisher - die Hamas hat sogar eine Fatwa (islamisches Rechtsgutachten) ausgesprochen, die den Bruch der Waffenruhe als Sünde einstuft. Doch ob diese hält und wie es genau weitergeht, ist unklar. Israel hat die Blockade des Gazastreifens gelockert (z.B. für Importe von Gütern), während die Hamas Beschwerde bei der UNO wegen der Tötung eines palästinensischen Demonstranten durch israelische Schüsse eingelegt hat.

“Es schaut so aus, als würde die Operation nicht ausgeweitet werden, was eine Erleichterung ist”, sagt Eyal E. “Ich hoffe, dass sie effektiv war und die Palästinenser nicht wieder anfangen, Raketen auf Israel zu schießen - dann wären wir zurück am Start.”

Anmerkung: Zum Schutz ihrer Identität habe ich einige der zitierten Personen anonymisiert und falsche Namen verwendet.

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