Jung, freundlich, rechts – Hinter der Fassade des Front National

Der Front National begeistert immer mehr junge Franzosen. Zwischen Rassismus, EU-Hass und modernem Image: Ein Besuch bei Marine Le Pens Nachwuchspopulisten in Paris.

Ein baufälliges Haus, eine hölzerne Tür. Nichts deutet darauf hin, dass hinter Nummer 165 der Rue Jeanne d’Arc das Pariser Büro des Front National (FN) liegt. Nach mehrmaligem Klopfen öffnet sich die Tür, argwöhnische Blicke einer jungen Frau: "Du bist neu, oder? Journalistin?" Wer für ein Medium arbeitet, muss sofort wieder gehen. Wer sich hingegen als interessierte Österreicherin vorstellt, bekommt Sympathien. "FPÖ? HC Strache und seine Rapsongs!"

Jeden Mittwoch treffen sich junge Mitglieder des rechtspopulistischen FN in diesem unscheinbaren Haus, in einem holzvertäfelten Raum mit Bücherwand. Alles sieht ein bisschen improvisiert aus, wie das Vereinslokal einer Studentengruppe. Meist hält ein bekannter FN-Politiker einen Vortrag, man trinkt, tauscht sich aus, ist unter Gleichgesinnten. "Du spionierst doch nicht die Faschisten aus?", scherzt ein blonder Mittzwanziger. Hier kennt man einander und wird mit Küsschen begrüßt.

An diesem Abend sind es etwa zehn Aktivisten. Manche haben asiatische oder arabische Gesichtszüge: Längst hat der FN seine Türen für die zweite Generation der Einwanderer geöffnet. In der ersten Reihe stehen nicht mehr die rechtsextremen Weggefährten des greisen Parteigründers Jean-Marie Le Pen, sondern dessen Tochter Marine, umringt von jungen und gut aussehenden Funktionären. Jedes dritte Parteimitglied ist mittlerweile unter 30. Dem Vater gefiel die Provokation, Marine Le Pen hingegen will regieren. Sie ergänzte den strammen Nationalismus mit sozialen Themen, protestiert gegen Finanzmärkte und Sparpolitik. Die Strategie geht auf: 25 Prozent könnte der FN bei der EU-Wahl einholen und damit stärkste Kraft werden. Bei den Jungen ist die Zahl noch höher.

"Brauchen die EU nicht"

Jung, freundlich, rechts – Hinter der Fassade des Front National
"Ich bin beim FN, weil ich mein Land liebe und es durch die jetzige Politik dem Untergang geweiht ist", sagt Gaëtan Dussausaye, der Veranstalter der Treffen, am nächsten Tag in einem offiziellen Gespräch. "Unsere Nation ist großartig, wir brauchen die EU nicht. Frankreich ist schließlich das Land von Napoleon." Fremdsprachen lehnt er ab, nur die Sprache der nationalen Identität sei legitim. Der 19-jährige Philosophiestudent repräsentiert den Prototypen des von Marine Le Pen konzipierten FN-Politikers der Zukunft: jung, adrett, motiviert. Mit 16 ist er beigetreten. Seine Eltern waren nicht schockiert, erzählt er. Auch wenn in seinem privaten Umfeld niemand Le Pen wählt: Die Rechtspopulisten sind salonfähig geworden. Bei der Kommunalwahl im März war die Nachwuchshoffnung bereits Spitzenkandidat für einen Pariser Bezirk.

Der höfliche Literaturfan hat ein einnehmendes Lächeln, spricht schnell und eloquent. Kein unüberlegtes Wort kommt ihm über die Lippen. Im Rollkragenpullover und mit eleganter Uhr am schmalen Handgelenk erklärt er ohne mit der Wimper zu zucken: "Es gibt keinen Rassismus im Front National." Wie zur Bestätigung erzählt er von seinem Freundeskreis: Araber seien darunter, sowie Juden und Afrikaner.

Rassismus und Holocaust-Leugnungen

Jung, freundlich, rechts – Hinter der Fassade des Front National
"Das neue Image ist nur eine Fassade", betont hingegen die investigative Journalistin Claire Checcaglini. Sie hat sich acht Monate unter falschem Namen in die Partei eingeschleust und anschließend ihre Erfahrungen veröffentlicht. Innerhalb kürzester Zeit stieg sie auf, war bei unzähligen Besprechungen dabei. Marine sei zwar nicht so radikal wie ihr Vater, doch immer noch dürfe intern der Holocaust verleugnet werden. Blanker Rassismus werde nicht nur toleriert, sondern beklatscht, erzählt Checcaglini. Dieser doppelte Diskurs der Partei erkläre auch die unverhohlene Skepsis gegenüber Journalisten.

"Wir verstecken nichts", sagt hingegen Gaëtan Dussausaye. Die Gegner würden den Front diabolisieren. Dabei werde jeder, der sich rassistisch äußere, ausgeschlossen. Die Erfahrungen von Checcaglini sprechen eine andere Sprache: "Im FN gibt es keine moralische Verurteilung, es herrscht unbegrenzte Meinungsfreiheit." Wer ein Video vom Ku-Klux-Klan auf seinen Blog stellt, müsse keine gröberen Konsequenzen fürchten, erzählt sie. Tatsächlich: Wer bei heiklen Themen nachbohrt, bekommt eine Gereiztheit hinter der freundlichen Fassade zu spüren. So mag der sonst so charmante Dussausaye es gar nicht, wenn man ihn zu Homo-Ehe und Einwanderung befragt. Als Antwort rattert er dann die offizielle Parteimeinung herunter: "Die Immigration ist das größte Problem und muss gestoppt werden. Gegen Migranten haben wir nichts, wenn sie sich assimilieren und arbeiten." Die Homo-Ehe lehnt er wie die meisten Frontisten als unnatürlich ab. Dennoch finden sich sogar Homosexuelle unter den Rechten.

Idol Marine

"Le Pen verführt mit ihrer rebellischen Persönlichkeit. Sie ist geschieden, Anwältin, eine moderne Frau. Vielen gilt sie als Idol", erklärt Journalistin Checcaglini die wachsende Anziehungskraft der FN-Chefin. Außerdem könne man in keiner anderen Partei so schnell aufsteigen: "Wer nicht widerspricht, kann sofort Karriere machen." Fällt in der Rue de Jeanne d’Arc, im Büro des Front National Paris, das Stichwort Marine, dann leuchten die Augen. Der Ton von Dussausaye ist dann ganz sanft: "Eine mutige Frau! Sie verteidigt unser Land, während die anderen Brüssel die Füße küssen."

Passend zur Adresse des Büros wird sie in der Partei gerne als moderne Jeanne d’Arc (Johanna von Orléans, Anm.), als Figur des Widerstands, verehrt. "Wollen Sie wissen, wer Frankreich retten wird?" Der 19-jährige Student Dussausaye zeigt über seinen Kopf auf ein Plakat mit einer siegessicher lächelnden Marine Le Pen. "Unsere Jeanne d’Arc."

Der Politologe Hans Stark, Professor an der Pariser Sorbonne und EU-Experte am "Institut français des relations internationales" (Ifri), sprach mit dem KURIER über ...

... die Hintergründe für den wachsenden Zuspruch für den Front National

Wirtschaftsflaute, Arbeitslosigkeit sowie die schwache Performance der Regierung könnten den Rechtspopulisten den Sieg bei der EU-Wahl ermöglichen. Durch die Strategie der Entdiabolisierung hat die Partei ihr Image verbessert. Front National ist salonfähig geworden, man kann sich als Wähler dazu bekennen. Das Profil ist sozial und national - damit spricht Le Pen auch linke Wähler an.

... eine mögliche Regierungsverantwortung

Diese ist zu befürchten. Abhängen wird das vor allem von den Bürgerlichen, die sich als Koalitionspartner anbieten müssten. Da diese aber pro EU sind, ist eine Zusammenarbeit wohl unwahrscheinlich.

... die Reaktionen der etablierten Parteien

Sie wollen die Frontisten verteufeln. Hollande appelliert an die moralische Identität und die republikanische Souveranität. Aber nur ein wirtschaftlicher Aufschwung würde den Rechtspopulisten effektiv etwas entgegensetzen.

... die Bedeutung der EU-Wahl in Frankreich

Im öffentlichen Diskurs dienst die EU nur als Abschreckung, sie ist der Sündenbock. Sie steht nicht mehr für Wohlstand, sondern für den Niedergang. Dementsprechend niedrig wird die Wahlbeteiligung sein. Besonders da viele linke Wähler aus Frust über Hollande wegbleiben werden.

... die Gefahr der Rechten für die EU

Wenn im künftigen EU-Parlament jeder vierte Abgeordneter ein Rechtspopulist ist, wird das dem Ansehen der Institution gravierend schaden. Die Europäer werden sich abwenden.

Der oder die französische Front National (beide Schreibweisen möglich, Anm.) wurde 1972 von Marine Le Pens Vater gegründet. Die Partei gilt als rechtspopulistisch bis rechtsextrem. Hauptforderungen sind ein Ende der "Massen-Einwanderung", nationale Souveränität, Austritt aus der Eurozone, Verbot der Homo-Ehe.
Le Pen setzt auf Nachwuchsrekrutierung und eine öffentliche "Entdiabolisierung" des FN. Der Zuspruch wächst aufgrund hoher Jugendarbeitslosigkeit und stagnierender Wirtschaft. Bisher verfügt der FN über drei Sitze im EU-Parlament, nach der EU-Wahl könnten es bis zu 15 sein.

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