Vorstadt-Schüler störten Trauerfeiern

Karikaturen und "Charlie Hebdo" auf dem Sarg: Letzter Weg für den Zeichner Bernard Verlhac ("Tignous") in Montreuil am Donnerstag.
Jugendliche an Hunderten Schulen verweigerten Trauerminute für Terror-Opfer mit Pfeifkonzerten.

Frankreichs Öffentlichkeit durchlebt ein Wechselbad der Gefühle. Nach den überwältigenden Märschen im Zeichen des Zusammenhalts der gesamten Nation gegen den Terror, die mit vier Millionen Teilnehmern alle Rekorde brachen, tritt jetzt der Vertrauensverlust zwischen den Muslimen und der übrigen Bevölkerung umso deutlicher hervor.

Am meisten gehen die Enthüllungen über Vorfälle an Schulen unter die Haut. Ursprünglich hieß es, in 60 Schulen hätten Schüler die Schweigeminute für die Terroropfer verweigert. Dann wurde klar, dass es sich um Pfeifkonzerte gehandelt hatte. Inzwischen weiß man, dass Hunderte Schulen betroffen waren. Die Zeitung Le Parisien veröffentlichte einen vertraulichen Behördenbericht, in dem die Autoren zugeben, vom Ausmaß des Phänomens überrascht worden zu sein. Einmal wurden Trauerplakate für Charlie zerrissen, ein anderes Mal Lehrer mit Todesdrohungen bedacht. Und Dutzende riefen: "Allahu Akbar" (Gott ist groß). Vorgeladene Eltern fanden, daran sei nichts auszusetzen, weil "Charlie den Propheten beleidigt hat".

Islamisten-Verehrung

Daneben gibt es natürlich Beispiele aus Schulen mit starkem Anteil an muslimischen Schülern, in denen Besinnung und Trauer überwogen. Aber andere Lehrer hatten die Schweigeminute ebenso wie jede Diskussion vermieden, um sich eine Flut von Provokationen zu ersparen. Dem Parisien berichtete ein Lehrer, gleich nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo habe er "Schreckliches" zu hören bekommen: "Alle Journalisten gehören umgelegt, damit sie die Schnauze halten." Während die Nachrichten über die Geiselnahme im jüdischen Supermarkt auf Smartphones eintrafen, zeigten sich Schüler erfreut. Ganze Klassen versteiften sich darauf, die Anschläge als "Manipulation" abzutun: Wahlweise erklärten sie, der französische Staat oder Israel hätten den Terror organisiert, um die Muslime anzuschwärzen. Die Schüler, die damit nicht einverstanden waren, wagten nicht, sich zu äußern.

Einiges davon kann als pubertäre Wichtigtuerei im Rahmen der üblichen Unterrichtsprobleme in sozialen Randvierteln relativiert werden. Aber es ist beunruhigend, dass in diesen Vierteln, aus denen die Attentäter stammen, ein Trend zu Dschihadisten-Verehrung und Judenhass spürbar ist. Was Premier Manuel Valls in einer Parlamentsrede auf den Punkt brachte: "Es ist unerträglich, wenn Schüler angesichts der Anschläge erklären, ihr Feind sei ,der Jude‘".

Angriffe auf Moscheen

Muslime ihrerseits klagen darüber, dass sie ständig unter Rechtfertigungsdruck stünden, Passanten würden sie scheel ansehen und sogar bedrohen. In Kleinstädten wurden mehrere Dutzend Angriffe auf Moscheen verübt: Es fielen Schüsse, Brandsätze und Schweinsköpfe wurden in die Gebäude geschleudert. Eine 19-jährige Muslimin wurde durch einen Messerstich verletzt.

De facto ist es so, dass in kleinen Provinzstädten sich eher die Muslime vor Gewaltakten fürchten, während in den volkstümlichen Vierteln der größeren Städte die übrige Bevölkerung dem Druck Jugendlicher, die sich an der Schnittstelle zwischen Kriminalität und Islamismus bewegen, ausgesetzt sehen. Diese gewalttätigen Jugendlichen versetzten aber auch die muslimischen Familien in Angst.

"Die Muslime sind die ersten Opfer des Fanatismus. Der Islam ist mit der Demokratie vereinbar", betonte Präsident Hollande in einer Rede im Pariser Institut der Arabischen Welt: "Wir müssen Verallgemeinerungen zurückweisen. Die Franzosen muslimischer Konfession haben die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen."

Frankreichs Flugzeugträger "Charles de Gaulle" hat den Hafen Toulon Richtung Indischer Ozean verlassen. Dort könnte er nach den Worten von Staatspräsident François Hollande am Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) im Irak teilnehmen. Dabei soll der Flugzeugträger eng mit den Koalitionstruppen zusammenarbeiten.

Gleichzeitig ließ Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian mit der Ankündigung aufhorchen, künftig bei der Terrorbekämpfung mehr auf Reservisten zu setzen. Nach den Anschlägen in Paris hatte die französische Regierung mehr als 10.000 Soldaten mobilisiert, um Einrichtungen im ganzen Land zu schützen. Das ist durchaus üblich. Auch bei den Anschlägen in Madrid, London und in Oslo waren Soldaten im Einsatz. Denn in allen europäischen Staaten ist die Personaldecke der Polizei rasch erreicht.

Allerdings hat Frankreich bei der Umstellung auf eine Berufsarmee den Personalrahmen der Landstreitkräfte auf 130.000 Soldaten reduziert. Die sind bei einer flächendeckenden Sicherungsoperation rasch ausgespielt. Daher kommt nun der Ruf nach einer starken Reservestruktur, um bei länger dauernden Einsätzen die aktiven Soldaten ablösen zu können. Das Problem: Als Berufsarmee müssen die Franzosen Freiwillige für die Reserve auf dem freien Markt anwerben – mit mäßigen Erfolg.

Wehrpflicht

Das ist Wasser auf die Mühlen der Wehrpflichtbefürworter in Österreich. Ihr Hauptargument in der Wehrpflichtdebatte war der Umstand, dass im Terrorfall eine Berufsarmee zu wenig Ordnungskräfte aufbieten könnte. Erich Cibulka, Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft, verweist darauf, dass das Bundesheer mit seiner Mischung aus Berufssoldaten, Rekruten und Milizsoldaten bei Übungen in Tirol und in Wien nun genau diese drohenden Szenarien erfolgreich geübt habe. Er zeigt aber auch auf, dass sich Mängel bei Mobilität und Ausrüstung auf die Einsatzbereitschaft auswirken würden.

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