Linksregierung streitet über Roma-Migranten

Roma-Familie in Croix, nahe Lille
Es sind wenige, aber ihre illegalen Lager ärgern die Anrainer.

Die Situation der aus Rumänien und Bulgarien einwandernden Roma in Frankreich beschäftigt seit Wochen die französische Öffentlichkeit und hat zuletzt zu schweren Spannungen innerhalb der Linksregierung geführt. Es handelt sich um eine verhältnismäßig kleine Personengruppe – Schätzungen sprechen von rund 20.000 – aber ihre Lebensumstände sorgen örtlich für Spannungen mit Anrainern. Das hat wiederum die politische Debatte über dieses Thema im Vorfeld der landesweiten französischen Kommunalwahlen, im kommenden März, angeheizt.

Die Roma aus Osteuropa siedeln in annähernd 400 behelfsmäßig errichteten Lagern in Baulücken, auf Industriebrachen und leeren Grundstücken an Ortsrändern. Häufig gibt es weder Strom, noch Fließwasser, noch sanitäre Anlagen. Einige übernachten auch auf Gehsteigen im Zentrum von Paris. In einzelnen Fällen sorgen Kommunen oder Solidaritätskomitees für Hilfsmaßnahmen, etwa die Hälfte der Kinder wird in öffentlichen Schulen unterrichtet. Mehrere linke Stadtverwaltungen haben Roma-Familien in provisorischen Wohnanlagen aus Containern untergebracht, wo sie diese Migranten intensiv betreuen. Mehr ist kaum möglich, wo doch in Frankreich über eine Million Menschen seit Jahren auf der Warteliste für eine Sozialwohnung stehen.

Jene Stadtverwaltungen, die Roma betreuen, konnten diesen Jobs als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, bei Reinigungsfirmen, im Gastgewerbe und auf dem Bau verschaffen – meistens zur größten Zufriedenheit ihrer Arbeitgeber. Davon unberührt bleibt aber die Situation der Mehrheit der Roma in den Elendssiedlungen, die, um zu überleben, Blumen anbieten, Mülleimer durchsuchen, Unrat unter freiem Himmel entsorgen, insistierend betteln und auch Diebstähle begehen. In einigen Fällen kam es zu Konflikten mit der Nachbarschaft – meistens Sozialbau-Siedlungen, in denen Familien mit Migrationshintergrund bereits unter prekären Bedingungen leiden. Es gab auch schon gewaltsame Vertreibungen von Roma durch Jugendliche aus dem Migrantenmilieu.

Französische Nomaden

Weil ihre Hüttensiedlungen an den Stadträndern von der Polizei immer wieder platt gewalzt werden, weichen die Roma in ländliche Gemeinden aus, wo sich die selben Konflikte ergeben. Das Terrain ist zusätzlich belastet durch Spannungen mit der französischen Wanderbevölkerung – rund 400.000 Menschen – die zum Teil in Wohnwagen durch das Land ziehen. Diese Bevölkerung lebt von Saisonarbeiten, mobilen Handwerksberufen und Wandermärkten – immer schlechter. Ein Teil ihrer Jugendlichen sind in Hehlerei und Diebstahl abgeglitten. Gesetzlich sind alle Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern verpflichtet den Wohnwagen dieser Bevölkerungsgruppe befristete Aufenthaltsplätze zur Verfügung zu stellen, aber etliche Bürgermeister kommen dieser Verordnung nicht nach. Andere überlassen der Wanderbevölkerung nur unwegsame und unwirtliche Flächen. Versuchen Angehörige dieser Gruppen sesshaft zu werden, stoßen sie oft auf kaum überwindbare ökonomische Barrieren und behördliche Auflagen, etwa wenn sie auf einem ihnen gehörenden Grundstück, auf dem bisher nur ihr Wohnwagen stand, ein Haus errichten wollen.

Es waren Zusammenstöße zwischen diesen – französischen – Wander-Bürgern und der Gendarmerie, die Ex-Präsident Nicolas Sarkozy im Juli 2010 zum Anlass für die Ankündigung machte, innerhalb von drei Monaten sämtliche Lagerstätten der osteuropäischen Roma-Migranten in Frankreich zu räumen und ihre Insassen in ihre Ursprungsländer auszuweisen. Die EU-Kommission wies damals Sarkozy in die Schranken: Kollektiv-Ausweisungen würden gegen europäische Grundrechte verstoßen, der freie Personenverkehr gelte für alle EU-Bürger. Auch die sozialistische Opposition forderte humane Alternativlösungen.

Als der Sozialist Francois Hollande 2012 das Präsidentenamt übernahm ließ er eine Gesetzesverordnung beschließen, die bei jeder Räumung einer illegalen Lagerstätte soziale Begleitmaßnahmen, darunter vor allem Unterbringungsmöglichkeiten vorschreibt. Tatsächlich aber kommen diese Begleitmaßnahmen fast nie zur Anwendung, hauptsächlich weil die vorhandenen Quartiere für Obdachlose bereits heillos überbelegt sind.

Räumungs-Rekord

Dabei wurden seit Hollandes Amtsantritt noch mehr illegale Hüttensiedlungen als unter Sarkozy von der Polizei gestürmt. Bei den oft überraschenden Polizei-Aktionen wird das gesamte vorhandene Hab und Gut durch Bulldozer zerstört. „Amnesty International“ spricht von einem „Rekord“: allein seit Jahresbeginn wurden bei solchen Räumungen über 10.000 Roma vertrieben. Humanitäre Organisationen beklagen, dass der Schulbesuch der Kinder dadurch unterbrochen wird. Die verjagten Roma-Familien verstreuen sich auf die weitere Umgebung oder kommen nach einiger Zeit wieder zu den selben Lagerplätzen zurück.

SP-Innenminister Manuel Valls, der als harter Ordnungspolitiker zum populärsten Regierungsmitglied aufstieg, erklärte Mitte September, dass die osteuropäischen Roma wegen der „extremen Andersartigkeit ihrer Lebensgewohnheiten“ in ihre Ursprungsländer zurückkehren müssten. Damit reagierte Valls auf gleichlautende Wahlkampf-Propaganda konservativer und rechter Politiker aber auch auf die Forderung von SP-Bürgermeistern nach Räumung örtlicher Roma-Lager.

Daraufhin gab es wiederum Schelte von Seiten der EU-Kommission für Frankreichs Staatsführung, wie zu Zeiten von Sarkozy. Vor allem aber beschuldigte die grüne Wohnbauministerin Cécile Duflot ihren Regierungskollegen Valls, dieser gefährde den gemeinsamen „Pakt republikanischer Werte“. Auch mehrere SP-Politiker empörten sich darüber, dass Valls eine bereits schwer geprüfte und diskriminierte Migrantengruppe, wegen ihrer vorgeblichen kollektiven Eigenschaften für nicht integrierbar erklärt habe und damit der Suche rechter Hetzer nach einem Sündenbock Vorschub leiste.

SP-Premier, Jean-Marc Ayrault, der in seiner Ursprungsgemeinde, der westfranzösischen Stadt Nantes, als Bürgermeister eine vorbildliche Eingliederungspolitik für Roma-Familien ermöglicht hatte, wies schließlich ebenfalls seinen Innenminister zurecht: „Aufgabe von Staatsmännern ist es konkrete Lösungen voran zu bringen, statt schwierige Situationen durch gegenseitiges Aufhetzten noch zu verschärfen“.

Wo ist der Chef?

Valls, der die Mehrheitsstimmung in der Bevölkerung für sich verbucht, hält diese Zurechtweisungen für „unerträglich“ und warnt: „Wer den Engel spielt, holt am Ende den Teufel herbei“ – ein Verweis auf die wachsenden Umfragewerte für die Rechtspolitikerin Marine Le Pen.

Der einzige, der sich in der Öffentlichkeit diesbezüglich bedeckt hält, ist Staatschef Hollande. Bei einer jüngsten Ministerratssitzung verpasste er zwar seiner Regierung wieder einmal einen Maulkorb und verbat sich jeden weiteren Zwist. De facto aber lässt er, wie so oft schon zuvor, die Querelen zwischen seinen Ministern weiterschwelen in der Hoffnung, dass sie sich von alleine erschöpfen und einem pragmatischen Konsens weichen. Für die ungeduldigen französischen Medien ist das freilich nur ein weiteres Zeichen für den Mangel an Führungskraft und Entschlossenheit, den sie bei Hollande orten: „Aber wo ist denn der Chef?“ fragte in Balkenlettern am vergangen Dienstag das Massenblatt „Le Parisien“. Einen Tag zuvor hatte das linksliberale Intellektuellenblatt „Libération“ mit der Schlagzeile aufgemacht: „Hollande, eine Frage der Autorität“.

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