Frankreich: Ein Attentäter trug Fußfessel

Ein Polizist sichert das Rathaus der nordfranzösischen Stadt
19-Jähriger stand schon länger im Visier von Anti-Terror-Ermittlern. Premierminister Manuel Valls sprach von "Krieg der Religionen".

Frankreich ist am Dienstag von einem weiteren Terroranschlag erschüttert worden. Zwei Attentäter nahmen in einer Kirche in Saint-Etienne-du-Rouvray bei Rouen mehrere Geiseln und schnitten dem 84-jährigen Priester die Kehle durch. Die alarmierte Polizei tötete die beiden Angreifer. Der an den Tatort geeilte Präsident Francois Hollande sprach von einem "schändlichen Terroranschlag" von IS-Anhängern. Der sogenannte "Islamische Staat" habe sich zu dem Attentat bekannt.

Attentat in Kirche: "Sie filmten sich, während sie den Pfarrer erstachen"

Valls: "Krieg der Religionen"

Das Ziel des Anschlags war nach Ansicht von Premierminister Manuel Valls ein "Krieg der Religionen". "Wenn sie einen Priester angreifen, die katholische Kirche, dann sieht man gut, was das Ziel ist", sagte Valls am Dienstagabend in einem Interview des Senders TF1. "Die Franzosen gegeneinander aufhetzen. Eine Religion angreifen, um einen Krieg der Religionen zu provozieren." Er rief die Franzosen auf, zusammenzustehen. "Unsere Antwort ist die Demokratie."

Attentäter mit Fußfessel

Einer der beiden Angreifer war erst 19 Jahre alt. Der bei der Geiselnahme von der Polizei erschossene Adel K. sei im März 1997 in Mont-Saint-Aignan nahe der Stadt Rouen geboren worden, sagte der Pariser Staatsanwalt Francois Molins am Dienstagabend. Der zweite Angreifer wurde bisher nicht formell identifiziert. Molins bestätigte vorherige Ermittlerangaben, wonach Adel K. im vergangenen Jahr zwei Mal versuchte, nach Syrien zu reisen. Er wurde beide Male vorher festgenommen, das erste Mal in Deutschland, beim zweiten Versuch in der Türkei. Bei seiner Rückkehr nach Frankreich wurde daraufhin ein Anklageverfahren eröffnet und Untersuchungshaft angeordnet. Unter strengen Auflagen kam er jedoch im März diesen Jahres mit einer elektronischen Fußfessel wieder frei. Laut Molins hatte er aber die Erlaubnis, unter der Woche vormittags und am Wochenende nachmittags das Haus zu verlassen.

Die beiden Attentäter hatten zunächst fünf Geiseln in der Kirche St. Etienne de Rouvray genommen. Unter ihnen waren auch zwei Ordensfrauen. Eine weitere Geisel, ein 86-jähriges Gemeindemitglied wurde schwerst verletzt, ist laut Staatsanwalt Francois Molins jedoch außer Lebensgefahr. Drei Geiseln konnten unverletzt befreit werden.

Frankreich: Ein Attentäter trug Fußfessel
French police officers and firemen arrive at the scene of a hostage-taking at a church in Saint-Etienne-du-Rouvray, northern France, on July 26, 2016 that left the priest dead. A police source meanwhile confirmed that police killed two hostage-takers. / AFP PHOTO / CHARLY TRIBALLEAU
Eine Nonne hatte am Vormittag die Polizei verständigt und von einer Geiselnahme gesprochen (mehr dazu hier) Die Sicherheitskräfte trafen kurz vor 11.00 Uhr ein und schossen im weiteren Verlauf auf die Attentäter. Auch Bombenexperten waren im Einsatz. Sie durchsuchten die Kirche nach möglichen Sprengsätzen. Die Anrainer wurden von der Polizei aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen.

Premierminister Manuel Valls sprach auf Twitter von einer "barbarischen Attacke".

Kirchen als Anschlagsziele befürchtet

In der Vergangenheit wurde immer wieder befürchtet, dass auch Kirchen in Frankreich Ziel von Islamisten werden könnten. Im April 2015 wurde in Paris ein algerischer Student festgenommen, der einen Anschlag auf eine Kirche geplant und eine junge Frau erschossen haben soll.

Frankreich war in den vergangenen eineinhalb Jahren immer wieder das Ziel schwerer Anschläge. Zuletzt tötete ein 31-Jähriger 84 Menschen, als er am Nationalfeiertag mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge auf dem Strandboulevard von Nizza raste. Die Polizei erschoss den Mann. Seit den verheerenden Pariser Terrorattacken vom 13. November gilt im Land der Ausnahmezustand, in Paris patrouillieren teilweise schwer bewaffnete Soldaten.

Sarkozy: "Das ist ein Krieg"

In einer ersten Reaktionen kritisierte Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy die Pariser Regierung scharf. "Das ist ein Krieg", sagte Sarkozy am Dienstag. "Und wir haben keine andere Wahl, als diesen zu führen und zu gewinnen."

Sarkozy forderte die französische Regierung auf, unverzüglich Maßnahmen umzusetzen, die seine Partei seit Monaten fordere. "Wir müssen unerbittlich sein", sagte Sarkozy. Juristische Spitzfindigkeiten, Vorsicht und Vorwände seien nicht akzeptabel. Der Feind kenne kein Tabu, keine Grenzen, keine Moral.

Auch die Vorsitzende der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, äußerte sich: "Die Verantwortung derer, die uns seit 30 Jahren regieren, ist immens." Sie schwätzen zu sehen, sei empörend, schrieb Le Pen auf Twitter.

Kern "erschüttert über bestialische Tat"

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) zeigte sich "erschüttert über die bestialische Tat" des Terroranschlags. Er übte gleichzeitig indirekte Kritik an der Ansicht, der derzeitige Terrorismus in Europa hänge mit der Flüchtlingskrise zusammen. Vielmehr gehe dieser über die "unmittelbare Zuwanderung in Syrien" hinaus.

Seiner Ansicht nach müsste eher "auf der Ebene der Integration eine Diskussion" gestartet werden, sagte Kern nach einem Treffen mit dem ungarischen Premier Viktor Orban in Budapest.

Orban: "Jeder einzelne Migrant bedeutet Terrorrisiko"

Orban wiederum stellte - unabhängig vom konkreten Fall in Frankreich - einen direkten Zusammenhang zwischen Migration und Terrorgefahr her. "Jeder einzelne Migrant bedeutet für uns ein Sicherheits- und Terrorrisiko", sagte er. Über die Geiselnahme und den Mord an einem Priester in Frankreich zeigte er sich ebenfalls entsetzt: "Das bedeutet eine neue Qualität der terroristischen Angriffe gegen das christliche Europa", meinte der Regierungschef.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich "tief betroffen" gezeigt. "Noch einmal hat der Terrorismus zugeschlagen, diesmal im Norden Frankreichs, in einer Kirche", erklärte Steinmeier am Dienstag am Rande einer Reise nach Moldau. "Der fanatische, mörderische Hass macht jetzt noch nicht einmal Halt vor Gotteshäusern und Gläubigen."

Steinmeier teilte weiter mit: "Wir trauern mit den Opfern der heutigen Bluttat und ihren Angehörigen. Wir stehen an der Seite unserer französischen Freunde, in guten Zeiten und, wie jetzt, auch in Zeiten der Trauer."

Deutschland will Terrorismus "die Stirn bieten"

Deutschland sei entschlossen, gemeinsam mit seinen Partnern "dem Terrorismus die Stirn zu bieten", erklärte Steinmeier. "Die Täter wollen nicht nur Terror verbreiten, sondern auch Zwietracht in unseren Gesellschaften säen. Es ist unsere Aufgabe, die von jedem Einzelnen, in besonderer Weise aber der politisch Verantwortlichen, diese Rechnung nicht aufgehen zu lassen."

Der belgische Premier Charles Michel sagte den Franzosen seine Solidarität zu. "Schon wieder ein Horror. Die Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen, und die Solidarität gibt es mit ganz Frankreich". Frankreichs Premier Manuel Valls erklärte ebenfalls auf Twitter: "Schrecken angesichts der barbarischen Attacke auf eine Kirche von Seine-Maritime. Ganz Frankreich und alle Katholiken wurden zutiefst verletzt. Wir sind geeint".

Papst verurteilt Gewalttat

Papst Franziskus verurteilte die "absurde Gewalttat". "Wir sind von dieser Tat geschockt, weil sie in einer Kirche verübt worden ist, einem heiligen Ort, in dem die Liebe Gottes verkündet wird. Wir sind der Kirche in Frankreich, der Erzdiözese von Rouen, der betroffenen Gemeinschaft und dem französischen Volk nahe", hieß es in einer schriftlichen Erklärung.

In einem Telefonat sagte Präsident Hollande Papst Franziskus zu, alles für den Schutz der Kirchen im Land zu tun. Wenn ein Priester attackiert werde, sei ganz Frankreich verletzt, sagte Hollande nach Angaben des Elyseepalastes. "Und in diesen so schmerzhaften und bedrückenden Umständen hat er den Wunsch geäußert, dass der Geist der Eintracht über den Hass siegt", hieß es in der Mitteilung vom Dienstagabend weiter.

Der Erzbischof von Rouen, Dominique Lebrun, rief nach der Gewalttat zum Gebet auf. "Die katholische Kirche kann keine anderen Waffen ergreifen als das Gebet und die Brüderlichkeit unter den Menschen", sagte Lebrun der katholischen Zeitung Famillle Chretienne. Er berichtete, dass ihn die Nachricht erreicht habe, als er gemeinsam mit jugendlichen Gläubigen das Grab des unter dem kommunistischen Regime in Polen ermordeten Priesters Jerzy Popielusko besucht habe. Die Teilnehmer des Weltjugendtages in Krakau forderte er auf, "angesichts der Gewalt nicht den Mut zu verlieren und zu Aposteln einer Zivilisation der Liebe zu werden

MADRID - 11. März 2004: Bei islamistisch motivierten Bombenanschlägen auf Pendlerzüge in Madrid sterben 191 Menschen, rund 1.500 werden verletzt.

LONDON - 7. Juli 2005: Vier Muslime mit britischem Pass zünden in der Londoner U-Bahn und einem Bus Sprengsätze. 56 Menschen sterben, etwa 700 werden verletzt.

BRÜSSEL - 24. Mai 2014: Im Jüdischen Museum erschießt ein französischer Islamist vier Menschen. Kurz darauf wird er festgenommen. Als selbst ernannter "Gotteskrieger" hatte er zuvor in Syrien gekämpft.

PARIS - 7. Jänner 2015: Bei einem Attentat auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" sterben in Paris zwölf Menschen. Die beiden Täter kommen später bei einer Polizeiaktion ums Leben. Zu dem Anschlag bekennt sich die Terrororganisation Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel.

KOPENHAGEN - 14. Februar 2015: Ein arabischstämmiger 22-Jähriger feuert auf ein Kulturcafe, ein Mann stirbt. Vor einer Synagoge erschießt der Attentäter einen Wachmann, bevor ihn Polizeikugeln tödlich treffen.

PARIS - 13. November 2015: Bei einer koordinierten Anschlagsserie in Paris töten Anhänger des IS 130 Menschen, Hunderte werden verletzt.

ISTANBUL - 12. Jänner 2016: Ein Selbstmordattentäter des IS reißt im historischen Zentrum der türkischen Metropole zwölf Deutsche mit in den Tod. Der Angreifer zündet die Bombe mitten in einer deutschen Reisegruppe nahe der Hagia Sophia und der Blauen Moschee.

BRÜSSEL - 22. März 2016: Mit mehreren Bomben töten islamistische Attentäter in der belgischen Hauptstadt am Flughafen und in einer Metrostation 32 Menschen.

ISTANBUL - 28. Juni 2016: Bei einem Anschlag auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen werden 45 Menschen getötet und mehr als 260 verletzt. Die türkischen Behörden weisen den Anschlag der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) zu. Offiziell bekannte sich niemand zu der Tat, die von drei Selbstmordattentätern verübt wurde. Die Attentäter stammten laut der türkischen Regierung aus Russland, Usbekistan und Kirgistan.

NIZZA - 14. Juli 2016: Der Tunesier Mohamed Lahouaiej steuert mit einem Lastwagen in eine Feier zum französischen Nationalfeiertag auf der Strandpromenade der Mittelmeerstadt Nizza, 84 Menschen sterben.

ROUEN - 26. Juli 2016: Zwei Attentäter, die sich nach Angaben des französischen Staatspräsidenten Francois Hollande auf den IS berufen, nehmen fünf Geiseln in einer Kirche in St. Etienne-du-Rouvray, unter ihnen einen Priester, zwei Nonnen und zwei Gläubige. Dem 84-jährigen Geistlichen schnitten sie die Kehle durch, eine weitere Geisel wurde schwerst verletzt und schwebte nach letzten Angaben zwischen Leben und Tod. Die Polizei erschoss die beiden Attentäter. Papst Franziskus sprach in einer ersten Reaktion von einer "absurden Gewalttat" an einem "heiligen Ort, in dem die Liebe Gottes verkündet" werde.

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