Ruf nach gemeinsamer Operation gegen Schlepper

Der Kampf gegen Schlepperei wird Hauptthema beim EU-Sondergipfel sein.
Nach der jüngsten Flüchtlings-Katastrophe im Mittelmeer nimmt Südeuropa die EU in die Pflicht.

27 Flüchtlinge, völlig erschöpft und mit leerem Blick – sie sind die wenigen Überlebenden der größten Katastrophe im Mittelmeer seit Jahren, bei der 950 Menschen starben. In Catania wurden sie von Italiens Verkehrsminister Graziano Delrio an der Hafenmole empfangen, als sie an Bord des Küstenwacheschiffes "Gregoretti" eintrafen.

Auslöser der Tragödie war laut Staatsanwaltschaft in Catania eine Kollision zwischen dem völlig überfüllten Flüchtlingsboot und dem portugiesischen Handelsschiff, das den Menschen helfen wollte. Nach dem Zusammenstoß brach Panik an Bord des seeuntauglichen Bootes aus. Nachdem die Menschen auf eine Seite des Bootes, in Richtung des rettenden Frachters gestürmt waren, geriet es in Seitenlage und kippte um.

Kapitän festgenommen

Sofort nach ihrer Ankunft auf Sizilien wurden auch zwei mutmaßliche Schlepper, der Kapitän des Unglücksschiffes und ein Besatzungsmitglied, festgenommen. Den Männern aus Tunesien und Syrien wird Menschenschmuggel vorgeworfen.

Der Kampf gegen Schlepperei ist auch zentrales Thema des EU-Sondergipfels am Donnerstag. Premier Matteo Renzi reist mit großen Erwartungen nach Brüssel. Er will der EU eine Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels vorlegen und fordert einen gemeinsamen Einsatz gegen Schlepperbanden: "Es bedarf einer Reihe von gezielten Interventionen gegen die neuen Menschenhändler. Italien hat bisher 976 Personen verhaftet, warum aber nur wir? Es ist ein unglaublicher Kraftakt, den wir für die internationale Justiz leisten. Aber wir brauchen eine gemeinsame Operation, die von ganz Europa getragen wird", betonte Renzi.

"Libyen stabilisieren"

Dringend müsse auf dem EU-Gipfel nach Lösungen für das Chaos in Libyen gesucht werden. "Man muss das Problem an der Wurzel lösen und Libyen stabilisieren. Libyen muss für Europa zur Priorität werden", meinte Renzi. Nur so könne man verhindern, dass das Mittelmeer zu einem schwimmenden Friedhof wird. Laut UNHCR warten bis zu eine Million Menschen in Libyen auf die Überfahrt nach Europa.

Einhelliger Tenor in allen politischen Lagern ist, dass Brüssel das Flüchtlingsthema nicht mehr alleine auf den Schultern Südeuropas austragen kann. "Es ist unerlässlich, dass die Operation Triton/Frontex verstärkt wird. Diesbezüglich gibt die Antwort aus Brüssel Hoffnung", erklärte Außenminister Paolo Gentiloni. Menschenrechtler und die Staatsanwaltschaft in Catania kritisierten, dass Brüssels Plan, "Triton" aufzustocken, nicht ausreicht, um Menschenleben zu retten.

Die " Mare Nostrum"-Rettungsmission kostete 9,5 Millionen Euro pro Monat, der Einsatzbereich erstreckte sich bis weit vor die libysche Küste. Im November 2014 wurde die Mission von "Triton" (monatlich 2,9 Millionen Euro) abgelöst. "Triton" ist im kleinen Radius bis zu 30 Seemeilen vor Italiens Küsten im Einsatz und vorwiegend für Grenzsicherung zuständig.

Der Bürgermeister von Catania, Enzo Bianco, fordert unterdessen, dass der Sitz der EU-Grenzschutzagentur Frontex von Warschau nach Sizilien verlegt wird.

Im Bürgerkriegsland haben Schlepper freie HandSchon mehrmals mussten die Retter heuer ohnmächtig zusehen: Nachdem die Bootsflüchtlinge auf hoher See von internationalen Helfern an Bord geholt wurden, kaperten die bewaffneten Schlepper ihr Schiff wieder und rauschten nach Süden davon. Für die Mitarbeiter der EU-Agentur Frontex ein sicheres Indiz, dass in Libyen die Menschenschmugglerschiffe knapper werden. Aber auch dafür, dass noch Hunderttausende Migranten und Flüchtlinge darauf warten, die lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer anzutreten.

Die Schiffe und Boote der Schmuggler zerstören, lautet deshalb eine der Forderungen einiger europäischer Politiker. Tatsächlich brachten die EU-Außenminister bei ihrer Suche danach, wie die Flüchtlingswellen aus Libyen gestoppt werden könnten, den Plan auf den Tisch: Eine militärische EU-Mission könnte die Schleppernetze aufspüren und ihre Schiffe zerstören. Doch diesem Auftrag gibt der renommierte Sicherheits- und Politik-Analytiker Wolfgang Pusztai kaum Erfolgschancen: „Wenn die Boote in Libyen im Hafen vor Anker liegen, wie unterscheidet man da ein Schlepperboot von einem Fischerboot?“

Schlepper-Kooperation

Was die Europäische Polizeibehörde Europol hingegen genau kennt, sind die Schlepperrouten ebenso wie viele der Menschenhändlernetze. 144 Gruppen listet Europol allein für Libyen auf. Pusztai zum KURIER: „Verschiedene Gruppen und Stämme holen die illegalen Migranten über die Grenze nach Libyen herein und übergeben sie dann anderen, die sie wiederum nach Norden bringen. Und obwohl diese Stämme teils untereinander verfeindet sind, funktioniert dort die Zusammenarbeit problemlos.“
Im zerfallenden Libyen, zerrissen in Kämpfen zwischen zwei Regierungen und zahllosen weiteren bewaffneten Gruppen, haben Menschenhändler praktisch freie Hand. Könnte militärisches Eingreifen von außen das Chaos im Wüstenstaat beenden? Und könnten so die Flüchtlingswellen gestoppt werden?

„Illusorisch“

„Eine UN-Mission für Libyen ist illusorisch, allein von der Größe des Landes her unbewältigbar“, weiß Brigadier Walter Feichtinger. Der Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) an der Landesverteidigungsakademie hält es auch für „absolut unmöglich, dass man gegen den Willen der Regierung ins Land geht“ – und sei es auch nur, um die Küsten unter Kontrolle zu bringen. Die ausländischen Truppen wären sofort Angriffsziel.

Derzeit, so Feichtinger zum KURIER, gebe es in Libyen keine Rahmenbedingungen für einen EU- oder UN-Einsatz. „Man muss den Hebel bei der legitimen Regierung und auch bei der nicht-legitimen Regierung ansetzen.“ Also verhandeln und noch mehr verhandeln, auch mit Hilfe der Nachbarstaaten Ägypten und Tunesien, bis es einen „politischen Minimalkonsens“ gebe. Erst dann, sagt Feichtinger, wenn ein Hilfsansuchen aus Libyen komme, sei absehbar, um welche Art Mission sich der Einsatz handeln könnte. „Denkbar wäre, an Land eine gewisse Kontrolle auszuüben und so die Flüchtlingsströme zu bremsen– in Verbindung mit lokalen libyschen Kräften oder zusammen mit Truppen der arabischen Liga oder einfach einer Koalition williger Staaten.“

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