Fluchtroute Libyen–Italien

Fluchtroute Libyen–Italien
In Libyen warten Hunderttausende Flüchtlinge auf die lebensgefährliche Überfahrt nach Europa.

Wir können diese biblische Auswanderungswelle nicht mehr allein meistern. Die Migrantenankünfte werden von Tag zu Tag mehr. Wir brauchen dringend Unterstützung", wandte sich der Bürgermeister der südsizilianischen Hafenstadt Porto Empedocle diese Woche händeringend an die Regierung in Rom. Allein in der Vorwoche sind auf Sizilien 6500 Migranten eingetroffen.

Doch ob Lampedusa, ob Sizilien – überall das gleiche Bild. Jeden Tag rettet Italiens Marine derzeit Hunderte Flüchtlinge aus überfüllten, vom Sinken bedrohten Booten. Insgesamt sind heuer bereits mehr als 20.000 Bootsflüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien gelangt – zehn Mal mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Mit dem besser werdenden Wetter könnte der Ansturm auf die süditalienischen Küsten in den nächsten Wochen noch einmal dramatisch ansteigen, schlagen Italiens Behörden Alarm. Die große Mehrheit der Flüchtlingsboote startet von Libyens aus. Und dort warten nach Angaben des italienischen Innenministers Angelino Alfano bis zu 600.000 Menschen auf die lebensgefährliche Überfahrt. Im Chaos Libyens gibt es kaum Behörden, die die Migranten stoppen. Wer dennoch von der Küstenwache abgehalten wird, wie in der Vorwoche 400 Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea, wird kurz interniert – und versucht sein Glück ein weiteres Mal.

Gescheiterter Staat

Nahezu alles, was einen funktionierenden Staat ausmacht, fehlt derzeit in Libyen: Eine handlungsfähige Regierung, ein Präsident, Stabili-tät, Sicherheit. Bewaffnete Milizen setzen ihre Ziele mit Gewalt durch, die Staatsbehörden sind machtlos. In diesem sicherheitspolitischen Vakuum hat sich eine riesige Flüchtlingsindustrie entwickelt: Menschenhändlerringe und Schmuggler transportieren Migranten aus Schwarzafrika in klapprigen Lastwagen quer durch die Wüste nach Norden an die Küste.

Eine zweite Route, die vor allem immer mehr Flüchtlinge aus Syrien nutzen, hat sich von Osten her über die ägyptisch-libysche Grenze etabliert. Gegen mehrere Tausend Dollar pro Kopf karren Milizen oder Clans oder Familienunternehmen die Flüchtlinge an eine Hafenstadt. Oft sind die Migranten monatelang allein in Libyen unterwegs – wenn das Geld ausgeht, wenn sie ausgeraubt oder wieder vom Lkw geholt werden. An jedem Kontrollposten sind Bewaffnete zu bestechen – und spätestens vor der mehrtägigen Überfahrt nach Europa kassieren die Schlepper nochmals 1000 Euro pro Flüchtling. Mitnehmen dürfen sie fast nichts: Jede zusätzliche Wasserflasche wäre zu schwer für die oft 400 Menschen auf einem Boot, das für 80 gebaut ist.

Kommentare