Ungarn sperrt Grüne Grenze zu Kroatien

Flüchtlinge gehen über die Grüne Grenze von Kroatien nach Ungarn: Seit Mitternacht ist diese Grenze zu
Orban will Flüchtlingsströme durch Ungarn eindämmen. Ankara dementiert Einigung mit der EU.

Ginge es nach den Wünschen von Ungarns national-konservativem Premier Viktor Orban, würden alle Wege für Flüchtlinge bereits von der Türkei nach Griechenland geschlossen. An der Grenzsicherung müsse die EU mit Tausenden Beamten mitarbeiten, hatte Orban immer wieder gefordert, und Ungarn würde ebenfalls Grenzschutzbeauftragte entsenden.

Doch sowohl die EU als auch die Türkei legten sich quer. Und weil sich Orbans Pläne, die Flüchtlingsströme durch Ungarn einzudämmen, so nicht umsetzen ließen, schuf der ungarische Regierungschef am Freitag vollendete Tatsachen: Er lässt in der Nacht die 330 Kilometer lange, grüne Grenze zu Kroatien schließen. Ein Stacheldrahtzaun zum südwestlichen Nachbarn war bereits in den vergangenen Wochen in Windeseile hochgezogen worden. Damit steht nun erstmals ein Grenzwall zwischen zwei EU-Staaten.

Die regulären Grenzen zwischen Ungarn und Kroatien bleiben offen, die Kontrollen aber werden verschärft.

Schon Mitte September hat Ungarn die Grenze für aus Serbien kommende Flüchtlinge geschlossen. Seither weicht der Strom der Flüchtlinge über Kroatien – und dann wiederum erneut über Ungarn aus. Die ungarischen Behörden transportierten die Menschen dann weiter an die Grenze zu Österreich, fast immer nahe dem burgenländischen Nickelsdorf.

Kärnten, Steiermark

Ungarn sperrt Grüne Grenze zu Kroatien
Nachdem nun ab Mitternacht auch die Grenze zwischen Kroatien und Ungarn versperrt ist, dürften die Flüchtlinge direkt von Kroatien nach Slowenien ausweichen. Nächste Ziele wären dann unweigerlich Kärnten und die Steiermark.

In beiden österreichischen Bundesländern werden daher ab heute Abend die Grenzkontrollen verstärkt. Zusätzlich zu den Übergängen am Karawankentunnel und Loiblpass wird nun auch in Lavamünd, am Seebergsattel, am Wurzenpass und in Grablach bei Bleiburg mit systematischen Grenzkontrollen begonnen.

In der Steiermark läuft die verstärkter Überwachung vorerst in Spielfeld, Mureck und Bad Radkersburg an. Zur Verstärkung wurden zwei Kompanien des Bundesheeres angefordert.

Sorgen in Slowenien

Das kleine Slowenien wiederum hatte bisher gehofft, weiter abseits der großen Flüchtlingsströme zu bleiben. Damit ist nun nach der Sperre der ungarisch-kroatischen Grenze Schluss: Der slowenische Regierungschef Miro Cerar berief gleich für heute den Nationalen Sicherheitsrat ein.

Slowenien, das zu Kroatien eine Schengen-Außengrenze besitzt, will alle Flüchtlinge registrieren. Das kleine Alpen-Adria-Land besitzt nach Behördenangaben derzeit 7500 Plätze für die Erstaufnahme von Flüchtlingen.

Die Europäer haben geschafft, was in der stark polarisierten politischen Landschaft der Türkei eigentlich unmöglich erschien: Regierung und Opposition in Ankara sind sich einig – und zwar in ihrer Skepsis angesichts der von der EU verkündeten Einigung in der Flüchtlingsfrage.

Europa wolle die Türkei zum "Subunternehmer" machen, der das Flüchtlingsproblem schultere, kritisierte der regierungskritische Journalist Namik Cinar. Die Regierungspartei AKP sprach vom Versuch der "politischen Bestechung" durch die EU. Außenminister Feridun Sinirlioglu bestritt, dass es bereits eine Einigung gebe, und forderte mehr Geld von der EU. Migrationsexperten betonten, der von der EU als Durchbruch angepriesene Plan werde das Problem nicht lösen.

Laut EU soll die Türkei u. a. schärfere Grenzkontrollen einführen und so den Zustrom von Flüchtlingen nach Europa eindämmen. Im Gegenzug kann Ankara mit rascheren Visa-Erleichterungen, neuen Impulsen in den Gesprächen über einen EU-Beitritt sowie mit ein paar Milliarden Euro rechnen.

Reiseerleichterungen sind für viele Türken sehr wichtig, doch große Begeisterung wollte am Freitag dennoch nicht aufkommen. Ohne direkt auf die von Brüssel verkündete Grundsatzvereinbarung einzugehen, beschwerte sich Präsident Recep Tayyip Erdogan, die EU unterstreiche derzeit zwar, wie sehr sie die Türkei brauche, wolle das Land aber nach wie vor nicht aufnehmen. Auch Ömer Celik, Sprecher der Erdogan-Partei AKP, dementierte, dass es eine Einigung gibt: Es werde weiter verhandelt, sagte er.

In einem Seitenhieb auf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte Erdogan, in Europa reiche schon die Bereitschaft, ein paar Zehntausend Flüchtlinge aufzunehmen, um zum Kandidaten für den Friedens-Nobelpreis erklärt zu werden. Die Türkei versorge 2,2 Millionen Syrer und 300.000 Iraker und werde gar nicht erwähnt. Kritiker des Präsidenten sagten, Erdogan sei offenbar enttäuscht, dass er den Preis nicht erhalten habe.

Reformer besorgt

Vertreter des türkischen Reformlagers äußerten die Sorge, dass die EU in ihrem Werben um türkische Kooperationsbereitschaft in der Flüchtlingsfrage die bisherigen politischen Forderungen an Ankara fallen lassen könnte. So fragte der angesehene Leitartikler Murat Yetkin in der Online-Plattform Radikal, ob die EU nun etwa ihre Kritik an den rechtsstaatlichen Mängeln in der Türkei zurückstellen werde.

Andere Beobachter betonten, eine Umsetzung der Einigung mit der EU werde die Türkei überfordern. Der Migrationsforscher Murat Erdogan von der Ankaraner Hacettepe-Universität wies darauf hin, dass die EU in Zukunft in geordneter Weise Tausende Flüchtlinge aus der Türkei einreisen lassen wolle. Diese Chance auf eine legale Weiterreise nach Europa werde noch mehr Flüchtlinge in die Türkei treiben. "Wenn 100.000 Menschen in die Türkei können, können vielleicht 10.000 von ihnen nach Europa. Die restlichen 90.000 bleiben in der Türkei", sagte er.

Experte Erdogan betonte zugleich, dass die Türkei die Syrer bisher lediglich dulde (es gibt kein Asylrecht für sie, Anm.), ihnen aber keine Arbeitsgenehmigungen gebe. Wenn sich an diesem System nichts ändere, würden auch die Milliardenzahlungen aus der EU die Wanderungsbewegung Richtung Europa nicht stoppen.

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