Faymann über Ungarn: "Erinnert an dunkelste Zeiten"

Werner Faymann findet deutliche Worte.
Bundeskanzler vergleicht Orbáns Politik mit Nazizeit. Österreichischer Botschafter ins Außenamt zitiert.

Mit ungewohnt harschen Worten kritisiert Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann osteuropäische EU-Regierungen. Diese argumentieren, dass ein massiver Zuzug von muslimischen Flüchtlingen ihre Gesellschaften überfordern würden. "Menschenrechte nach Religionen zu unterteilen, ist unerträglich", wird der Kanzler in einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel zitiert.

Das harte Vorgehen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán vergleicht Faymann in dem Interview sogar mit der NS-Politik. "Orbán handelt unverantwortlich, wenn er jeden zum Wirtschaftsflüchtling erklärt. Er betreibt bewusst eine Politik der Abschreckung. Flüchtlinge in Züge zu stecken in dem Glauben, sie würden ganz woandershin fahren, weckt Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Kontinents", sagte er in dem Interview.

Botschafter ins Außenamt zitiert

Aufgrund der Aussagen Faymanns ist der österreichische Botschafter in Ungarn für Montag ins Außenministerium in Budapest zitiert worden. Das teilten Diplomaten der APA am Samstag mit.

In Ungarn waren vor rund einer Woche hunderte Flüchtlinge in einen Zug gestiegen, der angeblich in Richtung der österreichischen Grenze fahren sollte. Stattdessen stoppten die ungarischen Behörden den Zug nach kurzer Fahrt, um die Insassen in ein Flüchtlingslager zu bringen. An dem Bahnhof spielten sich dramatische Szenen ab, hunderte Menschen weigerten sich über viele Stunden, auszusteigen. Ungarn errichtete zudem in den vergangenen Wochen einen Stacheldrahtzaun an seiner Grenze zu Serbien, um Flüchtlinge abzuhalten. Die Strafgesetze wurden verschärft, auf "illegalen Grenzübertritt" drohen künftig bis zu drei Jahre Haft.

7,5 Millionen könnten kommen

Bemerkenswert ist auch Faymanns Analyse für die kommenden Jahre: "In den nächsten Jahren könnten nach Schätzungen rund 7,5 Millionen Menschen nach Europa kommen, das wären 1,5 Prozent der EU-Bevölkerung. Mir kann keiner weismachen, dass wir die nicht ordentlich behandeln können", erklärte Faymann. Natürlich müsse man jene Migranten, die kein Recht auf Asyl in der EU haben, zurückschicken: "Dazu dienen ja die Hotspots an den EU-Außengrenzen. Aber ohne faire Quote wird es auf Dauer nicht gehen."

Vor dem heiklen Treffen der EU-Innenminister Anfang nächster Woche stellt der Kanzler all jenen Regierungen, die Quoten-Gegner sind, die Rute ins Fenster: "Wenn sie nicht zu Kompromissen bereit sind, sollten wir versuchen, die Quote mit qualifizierter Mehrheit (also mit den Stimmen von rund 2/3 der EU-Staaten) durchzusetzen. Und wir sollten auch über Sanktionen nachdenken, zum Beispiel indem wir Gelder aus dem Strukturfonds kürzen, von denen vor allem osteuropäische Mitgliedsstaaten profitieren."

In der Vergangenheit sei es um wirtschaftliche und soziale Ungleichheit gegangen, "jetzt um humanitäre Ungleichheit", so Faymann. "Es ist ein und dieselbe Europäische Union. Deutschland und Österreich zeigen ja auch seit Jahren Solidarität, beide Länder sind Netto-Zahler."

Es gebe zu Recht Strafen gegen Defizitsünder, die sich nicht an die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts halten. "Zur Bewältigung der Flüchtlingsbewegung brauchen wir notfalls Strafen gegen Solidaritätssünder."

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Ungarns Regierungschef Viktor Orbán will Flüchtlinge künftig zurückschicken. Sie müssten dorthin, wo sie herkämen, sagte Orban der Bild-Zeitung laut Voraus-Bericht. "Diese Migranten kommen ja nicht aus dem Kriegsgebiet zu uns, sondern aus Lagern in den Nachbarstaaten Syriens. (...) Dort waren sie in Sicherheit."

Viele Flüchtlinge kämen eben nicht nach Europa, weil sie Sicherheit suchten, sondern sie wollten ein besseres Leben als in den Lagern. "Sie wollen ein deutsches Leben, vielleicht ein schwedisches." Diese Haltung könne er persönlich zwar verstehen. "Aber fest steht: Es gibt kein Grundrecht auf ein besseres Leben, nur ein Grundrecht auf Sicherheit und Menschenwürde."

Deutschland hat "Revolte ausgelöst"

Orban kritisierte erneut die deutsche Bundesregierung. "Wir müssen ernsthaft über die Folgen der deutschen Entscheidung sprechen, die Migranten nach Deutschland zu lassen. Diese Ankündigung hat in Ungarn eine Revolte ausgelöst." Migranten seien aus ihren Unterkünften ausgebrochen und hätten Polizisten angegriffen. "Sie verweigerten, sich registrieren zu lassen, wie es das EU-Recht vorschreibt." Zuvor habe sein Land, wenn auch mit Mühe, die Lage im Griff gehabt. Erst als die deutsche Regierung angekündigt habe, EU-Regeln vorübergehend außer Kraft zu setzen, sei in Ungarn das Chaos ausgebrochen.

Er werde den Ministerpräsidenten der EU-Länder bei ihrem nächsten Treffen einen eigenen Plan zur Lösung der Krise vorlegen. Dazu gehöre, dass man die Nachbarstaaten Syriens - die Türkei, Libanon und Jordanien - mit massiven Finanzhilfen unterstütze. Er denke dabei an eine Summe von drei Milliarden Euro. Wenn mehr nötig sei, müsse aufgestockt werden.

"Verehrer" des Islam

Orban sagte zudem, durch die Zuwanderung würden Muslime in absehbarer Zukunft in Europa in der Mehrheit sein. "Wenn Europa einen Wettkampf der Kulturen zulässt, dann werden die Christen verlieren. Das sind die Fakten." Der einzige Ausweg für jene, die Europa als christlichen Kulturkreis erhalten wollten, sei, nicht immer mehr Muslime hereinzulassen. "Aber darüber reden Europas Spitzenpolitiker nicht gern."

Orban versicherte zugleich, er persönlich sei ein "Verehrer" des Islam. "Ohne die Philosophie des Islam wäre ein Teil der Welt längst der Barbarei verfallen."

Mit scharfen und kritischen Worten sprach Bundeskanzler Werner Faymann am Freitag in Österreich zur Öffentlichkeit. "Dienst nach Vorschrift" sei nicht angebracht, alle Ressourcen müssen in dieser Krise aktiviert werden. Aus Ungarn würden Informationen fehlen, manchmal würden Tausende Flüchtlinge in Nickelsdorf ohne Ankündigung des Nachbarn ankommen. Mit Deutschland würde die Zusammenarbeit deutlich besser funktionieren, so Faymann. "Wir müssen vorbereitet sein, dass niemand im Freien übernachtet. Wir müssen alles tun."

Maßnahmen

Die komplette Minister- und Staatssekretärsriege sowie die Klubchefs von SPÖ und ÖVP haben am Freitag mit Flüchtlingskoordinator Christian Konrad über konkrete Maßnahmen verhandelt und sie anschließend der Öffentlichkeit präsentiert. Die Flüchtlingskrise sei nur "menschlich zu bewältigen", sagt der Kanzler. Er bedankte sich bei allen Helfern, bei der Polizei und NGOs. Um mit der schwierigen Transportsituation angesichts der Tausenden täglich nach Österreich kommenden Flüchtlinge besser fertig zu werden, übernimmt das Bundesheer unter Leitung von Generalstabschef Othmar Commenda die Koordination.

2300 Menschen sind derzeit in Grundversorgung in Zelten. Konrad werde alles unternehmen, dass bis Mitte Oktober keiner im Zelt schlafen muss, der in die Grundversorgung gehört. Nur für überraschend Ankommende solle es Zelte geben. Zudem würden 75 Millionen für Integration bereitgestellt werden. Investitionen sind notwendig um Ordnung und Menschlichkeit zu beweisen, betont der Kanzler. Auch Reinhold Mitterlehner betonte: "Wir haben eine Notsituation, die alle Ressourcen benötigt."

Im Focus standen angesichts der für heuer 80.000 erwarteten Flüchtlinge, die in Österreich um Asyl ansuchen: die Quartiersuche sowie die Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen für Asylwerber. Zeitgleich zur Klausur machte sich Bundespräsident Heinz Fischer selbst ein Bild der Flüchtlingskrise am Westbahnhof.

Die Bundesregierung hat am Freitag bei ihrer Klausur ein Bündel von Maßnahmen präsentiert. Hervorgehoben wurde dabei unter anderem der Topf für Integration, der mit 75 Mio. Euro dotiert ist. Im Folgenden die Inhalte der Unterlage:

INTEGRATION:

Im Finanzministerium wird ein "Topf für Integration" eingerichtet, aus dem Projekte aller Ressorts finanziert werden können. Beispielhaft nennt die Regierung mehrere Maßnahmen, wie etwa den Ausbau der Deutschkursplätze, eine Abstimmung zwischen Kursanbietern sowie Deutschkurse für Personen in der Grundversorgung. In Schulen sollen Sprachstartkurse stattfinden für neue Schüler, deren Kenntnisse in Deutsch nicht ausreichen, um dem Unterricht zu folgen. Dies sei als "Ergänzung" zum Unterricht in der Stammklasse gedacht. Im Schulbereich soll es mehrsprachige mobile Einsatzteams geben, die die Arbeit mit den Eltern unterstützen. Ausgebaut werden soll das Jugendcoaching.

Derzeit werden rund 100 Asylwerber in Lehrberufen mit Lehrlingsmangel ausgebildet. Diese Maßnahme soll nun auf sämtliche Lehrberufe in Branchen mit Fachkräftemangel ausgedehnt werden. So soll etwa eine Lehre als Koch ermöglicht werden, hieß es. Die Lehrangebote sollen niederschwellig sein, ein Schwerpunkt wird etwa auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelegt.

Um die österreichischen Werte zu vermitteln, werde der Österreichische Integrationsfonds Orientierungskurse "Zusammenleben in Österreich" anbieten. Das Außen- und Integrationsministerium werde auch 2016 bundesweit Integrationsprojekte fördern, um Menschen mit Migrationshintergrund bei der Integration zu unterstützen.

Zur Betreuung von Flüchtlingen sollen vermehrt Zivildiener eingesetzt werden. Der Bedarf an Zivildienern sei aufgrund der aktuellen Situation "enorm".

ARBEITSMARKT:

Für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind bereits 70 Mio. Euro budgetiert. Im Ausland erworbene Ausbildungen und Qualifikationen sollen künftig besser und rascher anerkannt werden. Zur beruflichen Integrationen sollen in einem Kompetenzencheck Fähigkeiten erhoben werden - dieses Pilotprojekt durch das AMS Wien soll bundesweit umgesetzt werden. Dabei wird auch die Möglichkeit in Richtung Selbstständigkeit erhoben. Erste entsprechende Pilotprojekte seien ebenfalls in Wien bereits in Ausarbeitung.

Die Integrationsbeihilfe wird als Beihilfenart im System der Qualifizierungsförderung für Beschäftigte verankert und bestehende Arbeitsmarktprogramme werden intensiviert.

Um Asylberechtigten mit Mindestsicherungsbezug und Schwierigkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Beschäftigungsperspektive zu bieten, wird ihnen sowie subsidiär Schutzbedürftigen, die seit maximal zwei Jahren diesen Status haben, ein Integrationsjahr angeboten. Dabei handle es sich um kein Arbeitsverhältnis, sondern eine Maßnahme von sechs bis zwölf Monaten, vergleichbar mit dem Freiwilligen Sozialjahr. Neben gemeinnütziger Tätigkeit sind zusätzliche Integrationsmaßnahmen geplant. Die Träger können ein geringes Taschengeld zahlen.

UNTERSTÜTZUNG DER LÄNDER UND GEMEINDEN:

Im Rahmen des Stabilitätspakts wird das Finanzministerium mit den Ländern und Gemeinden Flexibilisierungsmaßnahmen von bis zu 0,1 Prozent des BIP verhandeln. Dies sind bis zu 345 Mio. Euro, hieß es aus der Regierung.

WOHNBAU:

Es seien von allen Seiten Anstrengungen "zu forcieren", um den zusätzlichen Bedarf am Wohnungsmarkt abdecken zu können, heißt es in der Unterlage.

UNTERKÜNFTE:

Bis Mitte Oktober gelte es, winterfeste Unterkünfte zu schaffen. Bis dahin soll es für die Asylwerber in der Grundversorgung keine Zelte mehr brauchen.

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