Faymann: Neutralität als Modell für Ukraine

Werner Faymann
Faymann reiste zum EU-Gipfel nach Brüssel. Er sieht die Ukraine als „neutralen Brückenstaat“.

Österreichs Neutralität als Modell für die Ukraine? „Ja, das ist überlegenswert und wäre vernünftig“, sagt Bundeskanzler Werner Faymann zum KURIER. Er sieht die Ukraine als „neutralen Brückenstaat“, der demokratisch und föderal organisiert ist. Sollte die Ukraine das sicherheitspolitische System der Neutralität für sich anwenden, wäre dies „ein Erfolg europäischer Soft Power“, betont der Bundeskanzler. Selbstverständlich sei für ihn aber, dass die ukrainische Regierung und das ukrainische Volk darüber entscheiden müssten.

Donnerstagabend hat Faymann diese Position beim EU-Gipfel im Kreise der Staats- und Regierungschefs eingebracht. Die Annexion der Krim durch Russland sei ein starker Impuls, „sich mit dem Sicherheitsstatus auseinanderzusetzen“, verlangte der Kanzler. „Die politische Option heißt Neutralität.“ Das bündnisfreie Finnland hat zuletzt ebenfalls in diese Richtung argumentiert.

Für Verhandlungen über den Neutralitätsstatus der Ukraine böte sich Wien an, sagt Faymann. „Das wäre ein guter Ort für solche Gespräche. Österreich könnte seine Erfahrungen einbringen.“ Eine neue gewählte ukrainische Regierung wird neue Gesetze formulieren und eine Verfassungsreform anpacken müssen.

Bundeskanzler Faymann hat das Konzept der Neutralität für die Ukraine am Mittwoch im Hauptausschuss des Parlaments diskutiert. Zuvor, bei Ausbruch der Krim-Krise, hat bereits der Sicherheitssprecher der Grünen, Peter Pilz, die Neutralität für die Ukraine nach österreichischem Vorbild ins Spiel gebracht. Außenminister Sebastian Kurz hat bei Ratstreffen in Brüssel und bei seinem Besuch in Kiew mehrmals betont, dass es zum jetzigen Zeitpunkt nicht klug wäre, der Ukraine die NATO-Mitgliedschaft anzubieten.

Ost-West-Balance

Die Zukunftsfrage für die Ukraine sei nämlich, wie einerseits eine Annäherung an die EU zu schaffen und gleichzeitig aber auch die Normalisierung des Verhältnisses zu Russland auf partnerschaftlicher Basis zu erreichen sei.

Kurz hatte der Ukraine auch angeboten, Österreich könnte als Vorsitzland des Europarates bei einer Verfassungsreform unterstützend zur Seite stehen.

In der Krim-Krise haben die USA weitere Sanktionen gegen Russland beschlossen. Es würden Strafmaßnahmen gegen weitere russische Regierungsbeamte sowie eine Bank verhängt, sagte US-Präsident Barack Obama am Donnerstag in Washington. Zudem sei ab sofort der Weg für Sanktionen gegen ganze Wirtschaftszweige frei.

Die Reaktion aus dem Kreml folgte prompt: Es wurden Einreisesperren gegen US-Vertreter angekündigt. Dazu zählten neun Politiker wie der republikanische Senator John McCain und der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, wie das Außenministerium in Moskau am Donnerstag mitteilte.

Drei ukrainische Kriegsschiffe gekapert

Unterdessen haben rund 20 Bewaffnete - offenbar Russen - am Donnerstag drei Schiffe der ukrainischen Marine auf der Krim gekapert. Sie hätten die in Sewastopol liegende Korvette "Ternopil" geentert, so ein ukrainischer Militärsprecher. Auch an einem Pier, an dem zwei weitere ukrainische Schiffe lagen, wehte die russische Flagge und die der russischen Marine - ein Zeichen, dass auch diese unter Kontrolle der Russen waren. Anscheinend hätten die Soldaten auch die ukrainische Flagge auf den Korvetten "Luzk" und "Chmelnitski" eingeholt, sagte der Militärsprecher. Der Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums auf der Halbinsel, Wladislaw Selesnjow, sagte der Agentur AFP, die Angreifer hätten Blendgranaten eingesetzt. Außerdem seien Salven aus Schnellfeuerwaffen zu hören gewesen.

EU-Gipfel in Brüssel

Vor dem EU-Gipfel verschärft auch Kanzlerin Merkel den Ton gegenüber Moskau. Sie sieht Russland nicht mehr im Kreis der G8 und droht mit Wirtschaftssanktionen. "Solange das politische Umfeld für ein so wichtiges Format wie die G8 nicht gegeben ist, gibt es die G8 nicht mehr - weder den Gipfel noch die G8 als solches", sagte die CDU-Vorsitzende am Donnerstag im Bundestag in einer Regierungserklärung zum EU-Gipfel. Gleichzeitig drohte sie Russland mit Wirtschaftssanktionen, wenn sich die Lage weiter verschärft.

Die Vorbereitungen für das G8-Treffen im Juni im russischen Sotschi sind wegen der Entwicklung auf der Krim bereits ausgesetzt worden. Die Gruppe wurde 1975 gegründet, Russland war 1998 als letztes Mitglied aufgenommen worden. Die Staats- und Regierungschef haben sich bisher einmal im Jahr zu Gipfeln getroffen.

Die Staats- und Regierungschefs der EU beraten ab Donnerstagnachmittag zwei Tage lang über Konsequenzen aus der Krim-Krise.

Als Reaktion auf die Krim-Annexion sagt die Europäische Union offenbar auch den nächsten EU-Russland-Gipfel ab. Es werde "eine Aussetzung der politischen Beziehungen geben", kündigte Frankreichs Staatschef Francois Hollande am Donnerstag an. Der für Juni geplante EU-Russland-Gipfel könne unter den derzeitigen Bedingungen nicht stattfinden.

"Befreiung der Krim nie aufgeben"

Im Vorfeld hat die Ukraine ihren Anspruch auf die Halbinsel Krim bekräftigt. "Die Ukraine wird niemals den Kampf um die Befreiung der Krim aufgeben, so lang und schmerzhaft er auch sein mag", hieß es in einer am Donnerstag vom Parlament in Kiew verabschiedeten Resolution. Das ukrainische Volk werde die "Annexion der Krim niemals anerkennen".

Die Abgeordneten forderten auch die internationale Gemeinschaft auf, die "sogenannte Krim-Republik" nicht anzuerkennen. Die Bewohner der ukrainischen Halbinsel hatten sich am Sonntag in einem umstrittenen Referendum für eine Abspaltung von der Ukraine ausgesprochen. Der russische Staatschef Wladimir Putin unterzeichnete am Dienstag einen entsprechenden Aufnahmevertrag, den das Verfassungsgericht am Mittwoch einstimmig bestätigte. Bis zum Wochenende will der Kreml den Anschluss vollziehen. In einer Sondersitzung des Parlaments ratifizierten die Abgeordneten in Moskau zudem den Beitrittsvertrag.

Abzug des Militärs

Ebenfalls angekündigt wurde der Rückzug des ukrainischen Militärs auf das Festland. Die Maßnahme sei allerdings nur vorübergehend, sagte der Chef des nationalen Sicherheitsrates in Kiew. Bereits am Dienstag hatten prorussische Kräfte das Hauptquartier der ukrainischen Flotte in der Hafenstadt Sewastopol gestürmt. Der Sicherheitsrat der früheren Sowjetrepublik versetzte das eigene Militär in volle Kampfbereitschaft.

Die ukrainische Regierung hat die Vereinten Nationen aufgefordert, die von Russland besetzte Krim zur entmilitarisierten Zone zu erklären. Diese würde bedeuten, dass sowohl die russischen als auch die ukrainischen Soldaten die Halbinsel verlassen müssten, sagte der nationale Sicherheitschef Parubij vor Journalisten. So ließe sich die Lage am besten entspannen.

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