"Es bleiben viele Fragezeichen"

Konflikte auf dem Weg zum Brexit vorprogrammiert: Premierministerin May, Außenminister Johnson (re.)
Britische Politologin sieht Entschlossenheit der Regierung skeptisch.

Eines wollte Theresa May als allererstes deutlich machen: "Brexit bleibt Brexit", erklärte die britische Premierministerin zum Auftakt der ersten Sitzung ihres Kabinetts in diesem politischen Herbst: "Wir werden nicht versuchen, irgendwie über Umwege in der EU zu bleiben." Der Weg sei vorgezeichnet, so die Konservative, die nach dem britischen Nein zur EU-Mitgliedschaft im Juni David Camerons Nachfolge angetreten hatte: "Und wir werden daraus eine Erfolgsgeschichte machen."

Demonstrative Entschlossenheit, die aber offene Gegensätze in Mays Regierung nicht übertünchen kann. Da gibt es entschlossene EU-Gegner, die auf einen sogenannten "hard Brexit", also das Kappen aller Verbindungen, drängen. Deren vorrangiges Ziel ist die strikte Kontrolle über die Zuwanderung nach Großbritannien, auch jene aus der EU. Die Anhänger des sogenannten "soft Brexit" wollen vor allem den Zugang des Landes zum gemeinsamen europäischen Markt sichern, auch wenn man dafür bei der Zuwanderung Kompromisse schließen müsste.

In einer Pressemitteilung der britische Regierung am Mittwochabend hieß es dann, man wolle eine Brexit-Lösung haben, die sowohl Kontrolle über die Einwanderung erlaube, als auch "einen positiven Effekt für diejenigen bringe, die mit Waren und Dienstleistungen handeln wollen". Man wolle keine Lösung "von der Stange", hieß es. Gemeint ist damit ein Abkommen mit der EU nach dem Vorbild Kanadas, Norwegens oder der Schweiz, die entweder nur sehr eingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt gewähren oder volle Arbeitnehmerfreizügigkeit beinhalten.

Doch nicht nur die innere Zerrissenheit des Kabinetts macht den Weg zum Brexit zum Hürdenlauf. "Es bleiben viele Fragezeichen und Unsicherheiten", analysiert die britische Politologin Melanie Sully vom Go-Governance-Institut, einem politischen Think Tank in Wien, die derzeitige Situation.

Gesetzesverstoß

Die nächste entscheidende Weichenstellung erwartet Sully für Anfang Oktober, dann wird ein Gericht in London entscheiden, ob Mays Regierung überhaupt den EU-Austritt einleiten darf. Solche Entscheidungen stehen der Premierministerin zwar zu, allerdings nur, wenn sie damit nicht gegen ein geltendes Gesetz verstößt.

"Es bleiben viele Fragezeichen"
Melanie Sully
Ein solches Gesetz existiert aber. Es regelte den britischen EU-Beitritt 1973 und könne nicht einfach per Regierungsbeschluss aufgehoben werden. Egal wie das Gericht entscheidet, ist danach der Oberste Gerichtshof Großbritanniens am Wort. Auch die EU ist laut ihren geltenden Verträgen dazu verpflichtet, zu überprüfen, ob ein Land mit einem EU-Austritt nicht gegen seine eigene Verfassung verstößt.

Ist das Londoner Unterhaus am Zug, hat es eine Vielzahl an Möglichkeiten, um den Zug in Richtung Brexit zu stoppen. Dass es sie nützt, ist wahrscheinlich. Schließlich haben die Gegner des Brexit im Parlament eine Mehrheit. Außerdem ist das "Nein" bei der Volksabstimmung von Juni keineswegs bindend, sondern gilt für Regierung und Parlament lediglich als Empfehlung.

Misstrauensantrag?

Es gibt eigene Tage im Parlament, an denen die Opposition die Agenda vorgibt, und da kann ein Abgeordneter relativ einfach einen Antrag stellen, über den auch diskutiert und zuletzt abgestimmt werden muss. So planen Abgeordnete der Labour-Partei zahlreiche Anträge: Etwa darüber, ob ein EU-Austritt nicht Arbeitnehmer-Rechte gefährden könnte. Auch eine neuerliche Volksabstimmung wollen einige fordern, wenn auch ein solcher Antrag, so die Einschätzung der Politologin, wenig Chancen haben dürfte. Sogar ein möglicher Misstrauensantrag gegen Premierministerin May steht im Raum. So könnten die Brexit-Gegner vorzeitige Neuwahlen auslösen.

Das aber wäre vor allem für die komplett zerstrittene Labour-Partei ein Schreckensszenario. Sie liegt in Umfragen sogar noch hinter ihrem miserablen Wahlergebnis vom Vorjahr (26 Parlamentssitze eingebüßt).

Sully rechnet jedenfalls fix damit, dass der Brexit die Tagesordnung im Parlament in nächster Zeit bestimmen wird – mit mehr als ungewissen Folgen. Bis die Premierministerin dann tatsächlich den Austritt auch nur einleiten könne, sei es noch ein langer Weg.

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