Hetze gegen Gülen-Anhänger in Deutschland: "Kauft nicht in diesen Läden!"

Präsident Erdogan bei einer Großdemo in Istanbul am 7. August
"Die Zeit" berichtet von Listen, in denen Gülen-nahe Unternehmer in Deutschland von Erdogan-Anhängern bedroht werden. Türkischer Präsident bezeichnet das Melden von Gülen-Anhängern als "patriotische Pflicht".
  • In Deutschland kursieren unter Anhängern des türkischen Präsidenten Erdogan Listen von Firmen, bei denen man nicht mehr einkaufen soll, berichtet die deutsche Wochenzeitung Die Zeit vorab.
  • Erdogan betont weiterhin die Notwendigkeit von "Säuberungen". Das Melden von Gülen-Anhängern bezeichnet er als "patriotische Pflicht".
  • Kritik aus dem Westen weist Erdogan zurück. Deutschland spricht er das Recht auf Kritik ab, und beruft sich dabei auf Entlassungen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung.
  • Restriktive Bankkredite werde Erdogan zukünftig als "Verrat" werten.
  • Türkischer Admiral beantragt Asyl in den USA

Die Verhaftung und Zwangsenteignung türkischer Unternehmer, die der Gülen-Bewegung nahestehen, wirkt sich bis nach Deutschland aus. Unter deutsch-türkischen Anhängern des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan kursieren Listen von Firmen, bei denen man nicht mehr einkaufen soll, berichtet die Wochenzeitung Die Zeit in ihrer am Donnerstag erscheinenden Ausgabe.

"Esst nicht in diesen Restaurants!", steht darin laut einer Vorausmeldung oder: "Kauft nicht in diesen Läden!". Es sind Boykottlisten, die bei Facebook und in Whats-App-Gruppen geteilt werden. Sie rufen dazu auf, gezielt Unternehmer in Deutschland zu boykottieren, die der Gülen-Bewegung nahestehen sollen: Friseure, Bauunternehmer, Restaurantbesitzer, Gemüsehändler, Ärzte.

"Wir sind zur Zielscheibe geworden"

Die Bewegung des in den USA lebenden muslimischen Predigers Fethullah Gülen wird von der türkischen Regierung für den Putschversuch gegen Erdogan Mitte Juli verantwortlich gemacht. Nun werden Gülens angebliche und tatsächliche Unterstützer auch in Deutschland verfolgt: "Wir sind zur Zielscheibe geworden", sagt ein Druckereibesitzer aus dem Rheinland, der sich selbst als Gülen-Anhänger bezeichnet.

Türkischstämmige Unternehmer aus Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg berichten der Zeit sie würden auf offener Straße angeschrien oder beleidigt: als Gülen-treue Vaterlandsverräter und Terroristen. Sie erhielten Morddrohungen, ihre Geschäfte würden beschmiert. In mehreren Städten werde in Moscheen öffentlich dazu aufgerufen, in bestimmten Läden nicht mehr einzukaufen.

"Wie in den dreißiger Jahren"

"Das ist wie in den dreißiger Jahren, als es hieß: Kauft nicht beim Juden", sagt ein Lebensmittelhändler aus Gelsenkirchen, der anonym bleiben möchte. Unternehmer seien in ihren Läden überfallen worden. Die örtlichen Polizeidienststellen bestätigen die Übergriffe. In Nordrhein-Westfalen ermittelt der Staatsschutz.

Hetze gegen Gülen-Anhänger in Deutschland: "Kauft nicht in diesen Läden!"
U.S. based cleric Fethullah Gulen at his home in Saylorsburg, Pennsylvania, U.S. July 29, 2016. REUTERS/Charles Mostoller

Melden von Gülen-Anhängern "patriotische Pflicht"

In der Türkei selbst erreichte der Aufruf zum Denunziantentum einen weiteren Höhepunkt. Erdogan erinnerte an die "patriotische Pflicht" der Türken, Gülen-Anhänger den Sicherheitskräften zu melden. Erdogan sagte in einer Ansprache vor Vertretern der türkischen Exportwirtschaft, auch unter deren Freunden könnten sich Anhänger der Gülen-Bewegung befinden.

"Sie sind überall eingedrungen, wie ein Virus", sagte er am Mittwoch im Präsidentenpalast in Ankara. Erdogan warnte, auch mehr als drei Wochen nach der Niederschlagung des Putsches könnten Anhänger der Gülen-Bewegung versuchen zu fliehen. Die Regierung werde auch die Geschäftswelt "säubern". "Wir haben kein Recht, Mitleid mit denen zu haben, die kein Mitleid mit ihrem Land und ihrem Volk haben", sagte er. "Nicht sie werden dieses Land, sondern wir werden sie in die Knie zwingen."

Mit Drohungen drängte Erdogan die Banken zu einer freizügigeren Kreditpolitik. "Banken, die in dieser Phase unseres Landes Kredite verweigern und mit erfundenen Vorwänden Kredite sogar zurückrufen, haben sich auf eine Seite gestellt, das will ich hier verkünden. Aber das ist nicht die Seite unseres Landes und unseres Volkes", sagt er. Wenn Banken Unternehmen in dieser kritischen Phase nicht unterstützten, sondern bei jeder Gelegenheit die Rückzahlung von Krediten forderten, dann "werte ich das als Verrat".

Egal, wieviele gehen müssen

Erdogan sagte: "Wir sind zur Säuberung gezwungen." Es sei irrelevant, wie viele Staatsbedienstete suspendiert werden müssten. "Egal, wie weit das gehen mag: Zehntausend, Zwanzigtausend, Fünfzigtausend, Sechzigtausend, Hunderttausend, Zweihunderttausend."

Seit dem Putschversuch vom 15. Juli wurden bisher mehr als 60.000 Staatsbedienstete suspendiert. Mehr als 16.000 Menschen sind in Untersuchungshaft. Sie werden verdächtigt, der Bewegung des Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen anzugehören, den Erdogan für den Umsturzversuch verantwortlich macht.

"Säuberungen" mit deutscher Einheit verglichen

wies Staatspräsident Erdogan erneut Kritik aus dem Westen an seinen Maßnahmen zurück. Die von ihm so genannten "Säuberungen" seit dem Putschversuch in der Türkei verglich er mit Entlassungen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. "Ihr habt das bei der Wiedervereinigung in noch größerem Ausmaß betrieben", sagte Erdogan am Mittwoch im Präsidentenpalast in Ankara an die Adresse Deutschlands. "Hunderttausende" Staatsbedienstete mit Verbindungen zum SED-Regime seien damals entlassen worden. "Ihr habt das gemacht, und dann wollt ihr uns belehren."

Restriktive Bankkredite sind "Verrat"

Ebenfalls hat Erdogan die Banken des Landes mit Drohungen zu einer freizügigeren Kreditpolitik gedrängt. "Wir werden den Finanzsektor in dieser Sache bedrängen", sagte Erdogan am Mittwoch vor Vertretern der türkischen Exportwirtschaft im Präsidentenpalast in Ankara.

"Banken, die in dieser Phase unseres Landes Kredite verweigern und mit erfundenen Vorwänden Kredite sogar zurückrufen, haben sich auf eine Seite gestellt, das will ich hier verkünden. Aber das ist nicht die Seite unseres Landes und unseres Volkes."

Erdogan fügte hinzu: "Wir werden uns nicht davor scheuen, Banken, bei deren Zins- und Kreditpolitik wir einen negativen Bruch sehen, zu notieren und im Rahmen der Regeln zur Rechenschaft zu ziehen." Wenn Banken Unternehmen in dieser kritischen Phase der Türkei nicht unterstützten, sondern bei jeder Gelegenheit die Rückzahlung von Krediten forderten, dann "werte ich das als Verrat". Sobald die Zinsen gesenkt und die Kreditvergabe freizügiger werde, werde sich für Unternehmen und Banken "eine neue Tür öffnen".

Erdogan kündigte Gespräche mit dem Ministerpräsidenten und dem Finanzsektor an. Der Präsident fordert seit längerem niedrigere Zinsen. Er will so das Wirtschaftswachstum durch einen höheren privaten Konsum ankurbeln.

Admiral beantragt Asyl in den USA

Ein türkischer Admiral beantragte unterdessen Medienberichten zufolge Asyl in den USA. Konteradmiral Mustafa Zeki Ugurlu, der wegen des gescheiterten Militärputsches in der Türkei per Haftbefehl gesucht wird und kürzlich aus den Streitkräften ausgeschlossen wurde, sei im Rahmen der NATO auf dem US-Marinestützpunkt von Norfolk stationiert gewesen, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch.

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