Breite Mehrheit gegen Erdogan

70 Prozent der Österreicher lehnen den Besuch des türkischen Premiers in Wien ab.

Der "private" Besuch des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan in Wien war von Anfang an umstritten. In der Bevölkerung ist die Akzeptanz gering, zeigt eine OGM-Umfrage im Auftrag des KURIER: 70 Prozent der knapp 800 befragten Bürger lehnen Erdogans Besuch ab, 24 Prozent "akzeptieren das".

Bevölkerung skeptisch

"Aber Akzeptanz heißt nicht, dass das auch begrüßt wird", analysiert OGM-Chef Wolfgang Bachmayer das Ergebnis. "Grundsätzlich sind diese Daten wenig überraschend. Die Menschen sind dagegen, dass er hier eine Wahlkampfrede hält. Es ist ja auch eine Novität. Kein anderer Regierungschef hat das je gemacht, kein Serbe, kein Kroate, und auch kein Deutscher, wo doch Deutschland die größte ausländische Bevölkerungsgruppe stellt."

Die Umfrage zeige aber auch generell die Skepsis der Österreicher gegenüber den Türken. "Und diese Ablehnung ist überraschend stark in allen Wählergruppen zu sehen, auch Grün-affine Wähler lehnen den Besuch mit 69 Prozent klar ab."

Am deutlichsten ist das Ergebnis bei der Generation 50+, 76 Prozent der Befragten sind dagegen. Bei den Jüngeren akzeptieren 35 Prozent den Auftritt Erdogans. Frauen sind im Urteil über Erdogans Besuch etwas milder, 66 Prozent sind gegen Erdogans Rede in der Eishalle, bei den Männern sind es 73 Prozent der Befragten.

Ein Bärendienst

Noch eindeutiger das Ergebnis bei der Frage, ob der Erdogan-Besuch die Integration der türkischen Migranten fördert, oder ob das kontraproduktiv ist. "Die Bevölkerung ist mit 82 Prozent klar überzeugt, dass das schadet. Und Erdogan schadet damit nicht nur der Integration, sondern auch der Akzeptanz der Türken in Österreich", erklärt der Meinungsforscher.

Das Problem dabei: "Ob bewusst oder nicht, Erdogan spaltet damit die heimische Bevölkerung in ein ,Ihr‘ und ein ,Wir‘. Das ist ein Bärendienst des türkischen Premiers für seine Landsleute in Österreich. Er schürt damit Ressentiments gegen die türkische Community ."

Auffallend sei zudem, dass auch bei den Grün-Wählern ("Die machen sich noch am meisten für eine Integration stark") Ablehnung und Skepsis sehr stark ausgeprägt sind. "Die grüne Wählerschaft ist gegen den Besuch und sieht eine Schädigung des Integrationsprozesses."

Blau profitiert

Kann eine Partei vom Besuch Erdogans profitieren? Bachmayer: "Ja, es ist ganz klar, dass die Freiheitlichen daraus einen Nutzen ziehen werden." Nicht zuletzt sind es die freiheitlichen Wähler, die mit 88 Prozent dem türkischen Premier am deutlichsten eine Abfuhr erteilen. Gerade einmal sieben Prozent der blau-affinen Wähler "akzeptieren" seinen Wahlkampfauftritt fern der Heimat.

Er ist mit Staatsgründer Atatürk die prägendste Figur der türkischen Republik: Premier Recep Tayyip Erdogan. Und er lässt niemanden kalt – die einen verehren ihn, die anderen hassen ihn. Dazwischen gibt es nichts. Das hat allerdings sehr mit der Politik des 60-Jährigen zu tun, die da lautet: Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich.

Diese Kämpfer-Mentalität hatte der Sohn eines Seemanns aus ärmlichen Verhältnissen schon früh entwickeln müssen, sie sollte eine Konstante seiner gesamten politischen Karriere werden. Schon als Bub musste er als Sesamkringel-Verkäufer das Einkommen der Familie aufbessern. Sein direkter Zug aufs Tor bescherte ihm später ein Angebot des Erstligisten Fenerbahce, dessen Fans, nebenbei bemerkt, heute zu den schärfsten Kritikern des Regierungschefs zählen.

Seit 2002 an der Macht

Doch nicht als Kicker sollte Erdogan seine Gegner aufmischen, sondern als Polit-Fuchs. Als Absolvent einer Religionsschule schloss er sich früh dem Islamisten-Ziehvater Necmettin Erbakan an. Mit nur 41 Jahren wurde er Oberbürgermeister der Bosporus-Metropole Istanbul. Bald schon erkannte er, dass mit der orthodoxen Ideologie Erbakans kein Staat zu machen ist. Er löste sich von seinem Mentor, gründete seine eigene Partei und gab ihr einen wirtschaftsliberalen Anstrich.

Der Coup ging auf. 2002 eroberte Erdogans AK-Partei die Mehrheit im Parlament und gab sie nicht mehr ab. Der charismatische Polit-Goalgetter eilte von Wahlsieg zu Wahlsieg. Gleichsam im Alleingang rang er die Allmacht des Militärs im Staat nieder und schoss die Opposition ins politische Abseits. Die Wirtschaft hob regelrecht ab – und mit ihr auch der Premier.

Zunehmend regierte er das Land, als ob er der Alleinherrscher wäre, was ihm den wenig schmeichelhaften Beinamen "Sultan" eintrug. Kritik oder Widerspruch duldet Erdogan nicht: Dutzende Journalisten sind inhaftiert oder wurden gefeuert; die Demonstranten des Gezi-Parks bezeichnete der Premier als Terroristen. Auch als Ende 2013 ein Riesen-Korruptionsskandal aufflog, der bis in die Regierung reichte, schaltete Erdogan in seinen bewährten Kampfmodus. Das sei ein Komplott von außen, Hunderte mit dem Fall befasste Justiz- und Polizeibeamte wurden zwangsversetzt.

Bei den Kommunalwahlen Ende März schnitt die AKP dann besser ab als erwartet – was den Polit-Polterer in seiner Strategie bestätigt haben dürfte.

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