Einigung in der Ukraine greift kaum

Der Deal über eine Beilegung der Krise in der Ostukraine stößt auf Widerstände.

Nach der Einigung ist vor der Einigung. Nach den doch recht klaren Deeskalations-Signalen beim Treffen der Außenminister in Genf, ging es am Freitag vor allem darum, die Einigung auf den Boden zu bringen – also in den Donbass, wo pro-russische Separatisten nach wie vor Regierungsgebäude und Barrikaden besetzt hielten. Und da zeichneten sich handfeste Schwierigkeiten ab. Die Aufständischen machten keinerlei Anstalten, ihre Positionen zu räumen - auch nicht, als Kiew das Zugeständnis gab, der russischen Sprache einen "Sonderstatus" einräumen zu wollen.

Viel eher stellte der Anführer der ausgerufenen Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin, Forderungen: Abziehen und Gebäude räumen werde man nur, wenn auch die Regierung in Kiew die von ihr besetzten Gebäude räume. Übergangspremier Arseni Jazenjuk ebenso wie Übergangspräsident Alexander Turtschinow müssten bedingungslos zurücktreten – dann sei man bereit, die Waffen niederzulegen.

Die in Genf von den Außenministern der USA, Russlands, der Ukraine sowie der EU-Außenbeauftragten getroffene Vereinbarung sieht vor, dass alle illegalen Milizen des Landes entwaffnet und besetzte Gebäude unverzüglich freigegeben werden. Die Entwaffnung betrifft pro-russische Separatisten als auch vor allem den ultranationalistischen Rechten Sektor, der unter Verweis auf die Bedrohung durch Separatisten und Russland wiederholt eine Abgabe seiner Waffen abgelehnt hat. Im Gegenzug hat die ukrainische Führung eine breite Amnestie für die Separatisten angeboten.

Vorerst jedoch hatte die Einigung keinerlei beruhigende Wirkung. Bei Kämpfen zwischen der ukrainischen Armee und Aufständischen an einer Straßensperre in der Stadt Slawjansk soll in der Nacht auf Freitag eine Person getötet worden sein.

In den Reihen der ukrainischen Führung scheint das Vertrauen in die Einigung gering zu sein. Übergangspremier Arseni Jazenjuk äußerte sich skeptisch, dass die Vereinbarung eine tatsächliche Beruhigung der Lage bringen wird. Das Vertrauen zwischen Kiew und Moskau ist gleich Null. In dieses Bild passt auch der Umstand, dass die Ukraine Russen zwischen 16 und 60 Jahren die Einreise verwährt – aus Angst, sie könnten die Aufständischen unterstützen.

In Genf wurde geredet, in Mariupol in der Ostukraine geschossen, und über den Äther sonnte sich Russlands Staatschef Wladimir Putin in eigenem Glanz und Gloria. Drei Stunden lang beantwortete er am Donnerstag sorgsam ausgewählte Fragen russischer Bürger – und zu diesen zählen jetzt aus Sicht Moskaus auch die Bewohner der völkerrechtlich zur Ukraine gehörenden Krim.

Es war eine TV-Show, die am Donnerstag allen diplomatischen Bemühungen in der Krise um die Ukraine die Show stahl. Schaltungen zwischen Ostsee und Pazifik sowie nach Sewastopol inklusive – und als Ass im Ärmel: Edward Snowden, der Putin per Videobotschaft fragte, ob denn die russischen Geheimdienste wie die amerikanische NSA agierten. "Gibt es in Russland auch eine solche Massenausspähung?" Die wenig überraschende Antwort: Natürlich erlaube man sich derartiges nicht. In Russland stünden Geheimdienste "unter strenger Kontrolle der Regierung und der Gesellschaft". Detail am Rande: Putin war ja selbst Geheimdienstoffizier.

Einigung in der Ukraine greift kaum
Den Rest der Sendung beherrschte ein Thema: die Ukraine. Und was das angeht, wartete Putin mit einigen Überraschungen auf. So gab er etwa zu, dass russische Militärs auf der Krim aktiv waren: "Hinter den Selbstverteidigungskräften standen natürlich unsere Militärs." Zur aktuellen Lage und den Vorwürfen, russische Spezialkommandos seien in der Ostukraine aktiv, sagte er: "Es gibt im Osten der Ukraine überhaupt keine russischen Einheiten. Es gibt keine Geheimdienste und keine Instrukteure." Und Putin, angesprochen auf die ukrainische Anti-Terror-Aktion gegen Separatisten: "Sind die dort jetzt völlig bescheuert?" Die Aktion sei ein "schweres Verbrechen der heutigen Machthaber in Kiew". Zugleich erinnerte er an die Erlaubnis des russischen Föderationsrates, militärisch in der Ukraine aktiv werden zu können – ein Recht, von dem er hoffe, nicht Gebrauch machen zu müssen. Nur Verhandlungen, eine neue Verfassung für die Ukraine und Wahlen könnten die Krise lösen. Die Präsidentenwahlen am 25. Mai werde Russland nicht anerkennen, sollte sich die Lage nicht beruhigen.

Es ist vor allem die russische Forderung nach einer Verfassungsreform und einer Föderalisierung, die in Kiew die Regierung verstören – sowohl der Inhalt als auch der Umstand, dass Moskau eine solche Verfassung diktieren möchte. Entsprechend deutlich war die Entscheidung des Parlaments in Kiew am Mittwoch, dass bei den Gesprächen mit Russland am Donnerstag in Genf keinesfalls interne Angelegenheiten verhandelt werden sollten. Sowohl russischen als auch von Separatisten geäußerten Forderung nach Föderalisierung wird in Kiew kein Glauben geschenkt.

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine lässt auch aus einem anderen Grund in den EU-Hauptstädten die Alarmglocken schrillen. Denn Europa ist massiv von Gas aus Russland abhängig.

Den Grünen liegt ein brisantes Papier des EU-Parlaments aus der "Generaldirektion für externe Politikbereiche", dem wichtigsten Think Tank des Parlaments, vor. Thema: erhöhte Dringlichkeit der Energieversorgungssicherheit im Rahmen der Krim-Krise.

Wie groß das Problem ist, wird schnell ersichtlich: "In dem unwahrscheinlichen Katastrophenszenario von steigenden geopolitischen Spannungen und gegenseitigen Vergeltungsmaßnahmen, bei dem alle Gaslieferungen aus Russland auf dem Spiel stehen, müsste theoretisch die beeindruckende Menge von 130 Milliarden Kubikmeter Gas kompensiert werden", steht am Anfang des 36-seitigen Dokuments. Nur zum Vergleich: Österreich hat eine Gas-Speicherkapazität von gerade einmal 7,5 Milliarden m³ (die Speicher sind derzeit halb voll).

Die Experten rechnen dann zwei Szenarien im Falle von Lieferstopps von Erdgas aus Russland vor:

Kurzfristig müsste Gas vor allem in Form des teuren Flüssiggases (LNG) aus Nordafrika und Asien und aus der einzig sicheren Quelle Norwegen importiert werden. Weiters müsste die Produktion des größten EU-Gasfelds in der EU im niederländischen Groningen deutlich gesteigert werden, auch wenn, wie der Bericht zugibt, Anrainerproteste zu befürchten sind, da die Gasförderung dort "zunehmend kleine Erdbeben" auslöse.

Weiters müsse ein Wechsel von Gas zum schädlicheren Öl erfolgen. Der Rest, immerhin noch ein Viertel der benötigen Energiemenge, soll einerseits kompensiert werden, indem EU-Haushalte gezwungen ("forced") werden, die Heizungswärme zu reduzieren. Andererseits sollen energieintensive Industrien (Stahl, Chemie) die Produktion vorerst einstellen. Kosten der Maßnahmen: bis zu 20 Milliarden Euro.

Atomkraft

Langfristig empfiehlt die Studie einen breiten Ausbau von Nuklearkraftwerken, den Abbau von Schiefergas, mehr Erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz.

Im Juni 2014 soll ein Vorschlag der EU-Kommission zum künftigen Energiemix vorliegen. Für die Grünen ist das Dokument ein erster Hinweis, was sich Kommission als auch die großen Parteienfamilien in Europa (Sozialdemokraten, Konservative und Liberale) überlegen. Grünen-Chefin Eva Glawischnig: "Setzt sich diese Linie durch, bedeutet das nichts anderes als das Ende der Klimaschutzpolitik in Europa und eine Vervielfachung des Atomrisikos durch den Neubau von Atomkraftwerken."

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