Ein Terror-Opfer war Syrien-Flüchtling

Trauer um die Opfer der Anschläge in Brüssel
Brüssel sucht nach einem Weg zurück in die Normalität – doch das ist derzeit (noch) unmöglich.

Kevin Pleunes hat Tränen in den Augen. Teilnahmslos starrt er auf die vielen Kerzen und Blumen auf dem Börseplatz in Brüssel. Mit zittriger Hand wuzelt er sich eine viel zu schiefe Zigarette. Darum hat er gebeten: Er will gerne sprechen, aber erst rauchen. Denn er kann kaum mehr stehen, so sehr zittern seine Knie. "Mein Vater starb in der U-Bahn", erzählt er dem KURIER. Um 8.35 Uhr hatte er auf Facebook noch die Warnung an seine Freunde gepostet, dass Brüssel nun von Terroristen angegriffen wird. Dass es Explosionen gab in der Innenstadt und am Flughafen. Nicht einmal eine Stunde später erfuhr er das Unbegreifliche.

Hass empfindet er dennoch keinen gegen die Männer, die seinen Vater Pierre, den Schauspieler, Autor und Beamten, getötet haben, sagt er mit zittriger Stimme: "Ich will nur eines: Frieden auf dieser Welt für alle. Das hätte auch mein Vater so gewollt."

Überall in der Brüsseler Innenstadt werden ständig neue Kränze, Blumen, Kerzen und Sprüche abgelegt: Es gibt bereits rund ein Dutzend Gedenkorte, die ganze Stadt wirkt wie eine riesige Gedenkstätte. Der Börseplatz ist das Zentrum der Einkehr, auch wenn dort rund 40 Kamerateams ständig Live-Einstiege machen. Die Sprüche, die mal mit Kreide aufgemalt, mal auf einen Pizzakarton gekritzelt wurden, sind berührend: "Brüssel, gib die Hoffnung nicht auf, denn du bist nicht alleine" oder auch "Terrorismus geh zur Hölle".

Opfer auch Muslime

Was am Börseplatz auffällt: Die Mehrheit der Menschen, die hierherkommen, sind Muslime. Denn diese sind nicht nur unter den Tätern, sondern auch unter den Opfern stark vertreten. Ein Toter ist etwa Bashar Sabbagh, der vor dem Terror in Syrien geflüchtet ist und nun ein Opfer der Selbstmord-Attentäter in Brüssel wurde. "Why? Porquoi? Warum?", steht auf einem Gedenkschild. Die Frage, die niemand beantworten kann.

Ob Österreicher zu Schaden kamen, ist noch unklar. "Wir stehen im ständigen Kontakt mit dem Krisenstab hier, aber viele Schwerverletzte und Tote sind noch gar nicht identifiziert", sagt der österreichische Botschafter Jürgen Meindl. Aber zumindest sind alle Österreicher aus der belgischen Hauptstadt weg, die es wollten. Der Botschafter spricht derzeit von einem "erhöhten Sicherheitsrisiko" für Besucher. Meindl: "Derzeit wollen aber sicher mehr Leute weg als hierher."

Razzien im EU-Viertel

Selbst das EU-Viertel blieb am Donnerstag nicht mehr von den ständigen Razzien verschont. Schwer bewaffnete Polizisten stürmten erstmals auch unweit des EU-Kommissionsgebäudes Häuser, nicht mehr nur in den Bezirken Anderlecht oder Molenbeek.

Während sich die Leute langsam so etwas wie Normalität erhoffen, kreisen tagsüber die lauten Polizeihubschrauber über der Innenstadt. Noch immer heulen die Sirenen im Minutentakt. Brüssel ist sicher nicht in Panik, aber zur Ruhe kommen kann es vorerst nicht.

Zwar sind die Straßen nun erstmals auch wieder in der City frei passierbar, aber Soldaten prägen das Stadtbild und in der U-Bahn herrscht weiter der Ausnahmezustand. Im Zentrum und im Osten der Stadt verkehren nur die (überfüllten) Ersatzbusse.

Die Menschen ertragen das alles mit einer stoischen Ruhe. "Wir müssen zur Normalität finden, auch wenn das gerade schwer ist", sagt Leonard Benedict. Die Frau ist schwanger und steigt am Brüsseler Zentralbahnhof in die U-Bahn. Angst habe sie keine, sagt sie. Beim Eingang wurden nun mehr Beamte zur Kontrolle abgestellt, seither geht es etwas schneller.

Doch beim Verlassen der U-Bahn gibt es nur Blockabfertigung. Hunderte Menschen müssen vor dem Ausgang ausharren – trotzdem: Es gibt kein Murren, es gibt kein Drängen und kein lautes Wort.

Die Mitarbeiter der Starbucks-Filiale im Zentralbahnhof verteilen Gratis-Capuccino an die Wartenden.

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